Change-Management: wichtig für die Broadcast-Industrie?
Schneller als je zuvor müssen sich Medienunternehmen an neue Bedingungen anpassen. Kann Change-Management helfen, die Herausforderungen der digitalen Disruption zu meistern? Ein Gespräch mit Change-Manager Rainer Dunkel.
Was ist Change-Management?
Rainer Dunkel: Change-Management ist das Management von Veränderungsprozessen, in denen von einem bestehenden Ausgangszustand ausgehend ein neuer Zielzustand erreicht werden soll, der auch eine Verhaltensänderung beinhaltet.
In der Umsetzung begleitet der Change-Manager das Projekt im Idealfall von Anfang an, also bereits in der Planungs- und Konzeptionsphase. Ziel ist es, die Maßnahmen, die den Veränderungsprozess ausmachen, unter Beachtung aller Rahmenbedingungen wie etwa Unternehmenskultur, Technologie, strategische Ziele, operative Ressourcen möglichst reibungsfrei durchzuführen.
Im Vergleich zum Projekt-Management fokussiert Change-Management auf die Bedürfnisse der Betroffenen, ihr Verhalten und ihre Reaktionen – sowohl als Einzelperson, wie auch als betroffene Gruppe. Change-Management ist eine intensive Betrachtung der Umstände und Risiken, die sich insbesondere auch aus der Unternehmenskultur ergeben. Sie will ein Arbeitsumfeld erschaffen, in dem unausweichliche Veränderungen von allen Betroffenen durch aktive Mitwirkung und transparente Erläuterung konstruktiv und engagiert mit getragen werden. Sehr hilfreich dafür ist selbstverständlich eine gute Führungskultur mit ausgeprägter, offener Kommunikation.
Man könnte sagen, dass sich Change-Management um alle Einflussfaktoren kümmert, die einen Veränderungsprozess einerseits torpedieren oder andererseits sicherstellen, also in jeglicher Form beeinflussen können. Damit ist Change-Management auch eine notwendige Ergänzung zum Projektmanagement: Projektmanagement steuert die Implementierung von Neuem, Change-Management sichert dessen Nutzung, dessen Nachhaltigkeit und dessen positiven Einfluss.
Nehmen wir als Beispiel eine TV-Produktionsgesellschaft, die in einen neu gebauten Sendekomplex umzieht. Gutes Projektmanagement sorgt dafür, dass der Umzug gut geplant und vorbereitet ist und ohne Probleme oder Zeitverzögerung durchgeführt wird. Die am schwierigsten vorhersehbaren Probleme tauchen jedoch meist nach dem Umzug auf, wenn die Mitarbeiter und Dienstleister in neuen Abläufen und mit neuer Technik sofort funktionieren sollen. Change-Management hilft, dieses Risiko von vornherein zu minimieren und liefert damit einen wertvollen wirtschaftlichen Beitrag.
Welche Herausforderungen muss die Medienbranche in den kommenden Monaten und Jahren bewältigen?
Rainer Dunkel: In meiner Zeit bei der CPC habe ich viele Change-Projekte erlebt und mit begleitet. Die Veränderungen, etwa im Automobil- oder Banksektor, sind durchaus ernstzunehmende Herausforderungen, die entsprechend zu stärkerer Nachfrage nach Change-Management führen.
Die Medienbranche ist aber in meiner Einschätzung einem noch ungleich größeren Change-Bedarf ausgesetzt. Neben strategischen oder wirtschaftlichen Neuerungen sind es heute immer wieder technologische Veränderungen, die Unternehmen zwingen, ihre aktuellen Strukturen und Prozesse zu hinterfragen. Damit kam die Medienbranche in den letzten 30 Jahren wunderbar zurecht. Ob es die Einführung von Farbfernsehen und später 16:9 war, oder der Wechsel von analoger zu digitaler Studiotechnik und später zu HD. Das alles waren spannende Neuerungen und die meisten von uns, wie auch ich, haben diese Zeiten noch gut in Erinnerung.
Was der Medienbranche aber jetzt bevorsteht, liegt jenseits der bisherigen Erfahrungen. Wir haben es mit einer umfassenden, bereichsübergreifenden Gleichzeitigkeit von Disruptionen zu tun, die ich so in anderen Branchen bisher nicht gesehen habe.
In einer Studie von Devoncroft etwa, ist die Rede von einer strukturellen Veränderung der Branche, die nicht mit bisherigen Entwicklungen vergleichbar sei. Jetzt stünde eine gleichzeitige Transformation für die Geschäftsmodelle, den Sendebetrieb, die Unternehmenskultur und die Technologie an. Und die NAB denkt schon darüber nach, ihr jahrzehntelang bewährtes Messekonzept zu überdenken, hin zu einer komplett neuen thematischen Hallenaufteilung. Ich kann mich diesen Bewertungen nur anschließen.
Weshalb benötigt die Medienbranche hierfür aus Ihrer Sicht Change-Management?
Rainer Dunkel: Ich bin fest davon überzeugt, dass viele Unternehmen in der Medienbranche eine neue Herangehensweise an die kommenden Herausforderungen brauchen. Und es gibt auch schon viele gute Beispiele hierfür: Change-Management als Kompetenzfeld ist im Personalwesen der großen Unternehmen durchaus bekannt. Nun wird es von großer Bedeutung sein, wie schnell sich diese Disziplin weiter etablieren kann. Es gibt augenscheinlich sehr viel mehr Projekte in der Medienbranche, die einen »Change« bewirken, als es erfahrene Change-Manager gibt.
Aktuell wird die Einführung von IP-Technologien im Broadcast-Bereich viel diskutiert. Dabei stelle ich jedoch fest, dass sich die Gespräche darüber fast ausschließlich auf technische Aspekte beziehen. Aber was bedeutet das für die Kollegen in den betroffenen Abteilungen? Werden die Mitarbeiter mit in die Planungen einbezogen? Übernehmen jetzt die IT-Abteilungen das Ruder in der Sende- und Produktionstechnik? Wie begegnet man Ängsten und Sorgen in der Belegschaft, die nachweislich zu einem Abfall an Produktivität führen? Hier sind sicher viele versteckte Risiken zu finden. Change-Management befasst sich mit diesen Themen und bietet hierfür erprobte Lösungen.
Ich setze mich deshalb auch zusammen mit der CPC dafür ein, dass Standardisierungen und Zertifizierungen für Change-Management und für Change-Manager in Deutschland weiter ausgebaut werden. Wir haben die Initiative ergriffen und das Deutsche Chapter der internationalen »Association of Change Management Professionals« (ACMP) gegründet und unterstützen die Branche mit Beratung, Ausbildung und Austausch.
Change-Management trägt Sorge dafür, dass ein Plan funktioniert — und zwar über eine mängelfreie Technologieinstallation hinaus. Sobald eine Technologie oder Lösung zu einer Disruption im operativen Betrieb führt, liegt das größte Risiko für den Erfolg in den Menschen, die mit der neuen Situation, der neuen Technik, neuen Prozesse oder Rollen und Verantwortlichkeiten umgehen müssen.
Wir unterscheiden hier gerne zwischen der reinen »Installation« einer Technologie oder Lösung und der umfassenderen Implementation. Das Implementieren beinhaltet den erfolgreichen und erprobten Umgang im Betrieb etwa mit einer neuen Technologie.
Insofern kann man Change-Management mit einer Versicherung vergleichen. Es kostet Geld, es zu tun, aber der potenzielle Verlust bei Verzicht ist um ein vielfaches höher. Nach Prof. Kotter von der Harvard Business School, verfehlen 70% aller Change-Projekte ihr Ziel. Die Antwort darauf liegt im professionellen Change-Management.
Welche Chancen bietet der Ansatz für Medienunternehmen?
Rainer Dunkel: Ganz klar liegt die Chance in der wirtschaftlich erfolgreichen Anpassung an neue Geschäftsmodelle. Die Herausforderungen durch neues Nutzerverhalten, zunehmende Diversifizierung der Endgeräte, IP-Technologie in Produktion und Distribution sind weitläufig bekannt. Daraus entsteht der Bedarf nach neuen Organisationstrukturen in den Betriebsabläufen und neuen Geschäftsmodellen. Diejenigen, die die Veränderungsprozesse am besten bewältigen, werden einen klaren Wettbewerbsvorteil gewinnen.
Daneben sind natürlich die auch die wirtschaftlichen Konsequenzen aus den Veränderungen ein wesentlicher Faktor. Change-Management kann erheblich dazu beitragen, dass sich die erforderlichen Maßnahmen auch verlässlich in den wirtschaftlich angestrebten Ergebnissen abbilden.