DVB-T2-Test in Berlin: HDTV für die TV-Terrestrik
Zwischen 2016 und 2019 soll mit DVB-T2 ein Sendesystem eingeführt werden, das den HDTV-Empfang auch per Hausantenne ermöglicht. In Berlin wird das System aktuell getestet. An dem Projekt sind Programmanbieter, Industrie und Verbände beteiligt, sie wollen damit wichtige Erkenntnisse für den späteren DVB-T2-Rollout gewinnen.
Insgesamt soll es bundesweit derzeit etwa 7,4 Millionen DVB-T-Haushalte geben. Damit wäre DVB-T nach Satellit und Kabel der drittstärkste Übertragungsweg für TV-Programme. In Ballungsräumen liegt der Anteil der DVB-T-Nutzer etwas höher und soll in machen Regionen bis zu 27 % Marktanteil erreichen. Das hält Ulf Heggenberger, Geschäftsführer Sales & Marketing des Netzbetreibers Media Broadcast, für »eine gute Voraussetzung«, um den den nächsten technischen Schritt hin zu DVB-T2 zu gehen. Hinter dem Kürzel verbirgt sich die Weiterentwicklung der Terrestrik-Variante des DVB-Standards, die neben anderen Dingen auch HDTV-Empfang über Hausantenne ermöglichen soll.
Bei der Umsetzung des DVB-T2-Rollouts verfolgen die Programmanbieter unterschiedliche Ziele: Für ARD und ZDF kommt eine Grundverschlüsselung von DVB-T2 aus prinzipiellen Erwägungen nicht in Frage. Aber die Privaten, zumindest die großen Senderfamilien ProSiebenSat1 und RTL — und wohl auch Discovery Networks — wollen ihre HDTV-Programme nicht unverschlüsselt und kostenlos ausstrahlen. Sie planen stattdessen auch bei DVB-T2 eine Grundverschlüsselung und kostenpflichtigen HD-Empfang, ähnlich wie schon beim Satellitenfernsehen mit HD+: Es werde auch bei DVB-T2 »neue Geschäftsmodelle, vergleichbar mit anderen Verbreitungswegen« geben, erläuterte Sebastian Artymiak vom Privatfunk-Dachverband VPRT am 13. November bei einer Präsentation des am 6. Oktober angelaufenen Berliner DVB-T2-Testprojekts, zu der Netzbetreiber Media Broadcast eingeladen hatte.
Beschlossene Sache ist, dass die Privaten ihr Wunschmodell der Grundverschlüsselung samt Vermarktung über eine Plattform bekommen — ganz ähnlich wie man das von HD+ via Satellit kennt. Bis 2015 wird mit einer Entscheidung darüber gerechnet, wer der Träger dieser Plattform sein soll. Artymiak deutet an, dass die Privaten die terrestrische Verbreitung auf »Mittelzentren« ausdehnen könnten – was Zuschauer außerhalb der bisher versorgten Ballungsräume interessieren könnte.
Premiere für HEVC-Codierung
Ulf Heggenberger und Stefan Krüger, der technische Leiter des Berliner Test-Projekts, heben hervor, dass sich niedrigere Kosten der DVB-T2 Verbreitung ergeben, unter anderem wegen der erheblich verbesserten Energieeffizienz der Sendeanlagen. Außerdem sei die Frequenznutzung aufgrund der HEVC-Kompression bei DVB-T2 effizienter. Dies verspricht – bei gleicher Bildqualität – eine Reduzierung der Sendebandbreite je Programm um 50 % gegenüber dem sonst für HDTV verwendeten MPEG-4 AVC (das gegenüber MPEG-2 bei DVB-T etwa um den gleichen Faktor besser arbeitet). Die Entscheidung für HEVC ebnet zudem einen späteren Weg in Richtung Ultra-HD.
Mehr Programme, mehr HDTV
Gegenwärtig werden in einem DVB-T-Multiplex in der Regel vier SDTV-Programme gesendet, zumeist mit einer Datenrate von 13,27 Megabit pro Sekunde. Das Parameterkonzept von DVB-T2 vergrößert die Datenrate eines 8 Megahertz breiten UHF-Kanals auf bis zu 27,6 Mbit/s. In Kombination mit HEVC können damit sieben HDTV- oder 16 SDTV-Programmen in einem Multiplex zusammengefasst werden.
Diese 27,6 Mbit/s sind der Maximalwert von vier Parameterkombinationen oberhalb von 18,32 Mbit/s, die in Berlin getestet werden. Als weitere Optimierungsstufe soll später der schon von DVB-T her bekannte »statistische Multiplex« hinzukommen. Dabei wird die Kompression der Programme innerhalb eines Multiplexes gegeneinander abgeglichen: Die Datenrate von Bildern mit eher geringeren Bewegungsanteilen (etwa Nachrichtensprecher) wird reduziert, und der Leistungsgewinn kommt anderen Programmen mit stark bewegten Bildern zugute (etwa Sport oder Action-Szenen).
Eines der Ziele des Berliner Projekts ist die Vorbereitung der für Mitte 2015 erwarteten Entscheidung für ein endgültiges Parameterset. Dieses soll sowohl den subjektiven Ansprüchen an die Bildqualität genügen, als auch die von DVB-T her gewohnte Flächenabdeckung im Empfangsmodus »portable in-door« — also mit eher geringem Antennenaufwand — erreichen. Das will man mit einer umfangreichen Messreihe im Stadtgebiet kontrollieren. Allerdings werde es wohl dabei bleiben, dass für Zimmerantennen der richtige Standort gesucht werden muss. Das liege weniger an der Sendetechnik, so Krüger zu dieser Zuschauer-Erfahrung: »Sie glauben nicht, wie schlecht viele Antennen sind.«
Deshalb werden nicht nur die Stäbe und Teleskope getestet, sondern die gesamte Systemkette evaluiert — angefangen bei der Signalanlieferung übers Multiplexing bis zum Bildschirm. Das Testgebiet, das von den Berliner Fernsehtürmen Alexanderplatz und Schäferberg mit je 50 kW ERP-Leistung im Kanal 42 versorgt wird, umfasst etwa 5 Millionen Einwohner mit Dachantenne und 2,3 Millionen mit Zimmerantenne. ARD, ZDF und Arte liefern laut Plan ihre HD-Varianten als 720p50-Bildsignal. RTL, ProSieben und eine Content-Schleife des VPRT sollen später grundverschlüsselt in 1080i25 dazukommen.
Sehen kann man die drei aktuellen Programme bereits jetzt — jedoch nur mit einem 4K-Fernseher, der neben dem UHF-Tuner bereits ein HEVC-Decoder aufweist. Solche Geräte sowie Prototypen von Set-Top-Boxen und USB-Sticks (letztere benötigen zusätzliche Software) sind ins Testfeld einbezogen. Ebenso erprobt wird das Zusammenwirken mit hybriden Diensten wie der HbbTV-Plattform »Multithek« von Media Broadcast und den Sender-Mediatheken.
Die Erkenntnisse des DVB-T2-Tests auf der Empfangsseite sollen in einen Katalog von technischen Mindestanforderungen einfließen. Die Deutsche TV-Plattform soll daraus eine Vorgabe für die Geräteindustrie erstellen; Erfahrungen mit Mindestanforderungen und einer darauf beruhenden Endgeräte-Zertifizierung hatte der Verband schon mit DVB-T gesammelt.
Laut Carine Chardon, Geschäftsführerin der Deutschen TV-Plattform und Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie, sollen ab 2015 Empfangsgeräte in größerem Umfang verfügbar werden. Das wären zunächst eher hochpreisige Fernseher. Als Gegenpol bekämen Set-Top-Boxen größere Marktbedeutung. Für die Privat-Plattform präferiert sie die bekannte CI+-Schnittstelle, das Verschlüsselungsverfahren steht noch nicht fest.
Frequenz-Ressourcen bis 2019 erhalten
Eine große Sorge unter den Fürsprechern der neuen TV-Terrestrik bleiben die Frequenz-Ressourcen, denn die Bundesnetzagentur will schon 2015 den 700-MHz-Frequenzbereich (»Digitale Dividende 2«) an Telekommunikationsunternehmen versteigern und vor 2019 für den Mobilfunk eingesetzt sehen. Das ist insofern problematisch, als der im Zuge des Umstiegs von DVB-T auf DVB-T2 notwendige, befristete Parallelbetrieb beider Techniken (Simulcast) die volle Verfügbarkeit des UHF-Spektrums bis zum Umstiegsfinale 2019 benötigt. Carine Chardon will Zusicherungen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung daher »beim Wort nehmen« und erwartet »einen gewissen Schutz der Migration«.
Der wird unter anderem spruchreif, wenn einige der bisher für DVB-T benutzten 500 Sendeantennen für neue Frequenzbereiche ausgetauscht werden müssten. Dieses Investment sollte aus dem Auktionserlös teilfinanziert werden, hatten sich Bund und Länder verständigt. Diese Gelder muss sich die Rundfunkverbreitung allerdings mit anderen Nutzern des 700-MHz-Bandes teilen: Von dessen Verlust sind auch Betreiber von Funktechnik betroffen, die Mikrofone, Mithörstrecken und Bildfunk bei der Film- und TV-Produktion, in Theater und für Kongresse einsetzen. Gerade sie haben die Zusage von Kostenerstattungen für die Auswirkungen der »Digitalen Dividende 1« (Umwidmung des 800-MHz-Bandes) aber wohl in eher unangenehmer Erinnerung.
Die Landesmedienanstalten wollen die Einführung von DVB-T2 mit Programmanbietern, Institutionen und Verbänden und dem Netzbetreiber Media Broadcast an einem »Runden Tisch« moderieren. Den Schlusspunkt der Vorbereitungsphase wird die nächste Funkausstellung (Berlin, 4. bis 9. September 2015) setzen. Dann sollen die Vermarktungsplattform der Privaten festgezurrt, die technischen Parameter beschlossen, die Zeitplanung des Umstiegsablaufs gediehen und Geräte in größerem Umfang verfügbar sein. Eine von allen Beteiligten getragene Marketing-Kampagne könnte zur IFA anlaufen. »Ab Mitte 2016 sollte den Bürgern zur Fußball-Europameisterschaft mit DVB-T2 hochauflösendes terrestrisches Fernsehen mindestens in den Ballungsräumen zur Verfügung gestellt werden«, versprach zumindest der CSU-MdB und Infrastrukturexperte Ulrich Lange den Zuschauern, die HDTV-Programme per Antenne empfangen wollen.
DVB-T2 im Test
Erste Tests mit DVB-T2 wurden bereits ab 2009 in Bayern und Niedersachsen sowie 2010 in Berlin durchgeführt. Der Berliner Probebetrieb soll mit dem laufenden Testbetrieb in München zusammenarbeiten, wo ebenfalls HEVC verwendet wird. Ein weiteres Projekt ist für den Raum Köln/Bonn ab Mitte 2015 angekündigt.
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