Podiumsdiskussion: Mehr Geld für die Sender? Oder lieber weniger?
Der noch relativ junge Branchenverband Allianz Unabhängiger Filmdienstleister (AUF) lud gestern im Rahmen des Filmfests München zu einer Podiumsdiskussion ein. Zum Thema »Quo Vadis, Sender-Geld?« diskutierten Niels Maier vom veranstaltenden AUF und Vertreter von sechs anderen Verbänden.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Eine gemeinsame Marschroute oder Zielübereinkunft konnte das Podium nicht erzielen — das war aber ohnehin nicht zu erwarten: Jeder Verband verfolgt eben seine eigenen Ziele und ist seinen jeweiligen Mitgliedern am nächsten. Was die Verbände jedoch prinzipiell eint, ist die Frage, wie man es erreichen könnte, dass mehr öffentlich-rechtliches Sendergeld in den freien Produktionsmarkt fließt und nicht in den Strukturen der Sender und ihrer Tochterunternehmen versickert.
Die generelle Problematik, um die es in der Podiumsdiskussion ging, beschrieb der Branchenverband AUF in der Ankündigung der Veranstaltung wie folgt: »Die freie Produktionswirtschaft steht unter Druck. Sinkende Budgets und strikte Budgetvorgaben der öffentlich-rechtlichen Sender machen vielen Unternehmen zu schaffen — trotz anhaltend stabiler Einnahmen. Hinzu kommen expandierende Dienstleistungsbetriebe der Tochter- oder Enkelunternehmen der öffentlich-rechtlichen Sender. Zunehmend beanspruchen die Firmen der ÖR-Sender Marktanteile für sich. Mit großer Sorge beobachtet die AUF dieses wirtschaftlich hoch kompetitive Engagement der Sender. Vor allem geht der Fokus der Sender in die falsche Richtung: Hochwertige Produktionen, Bildung und Kultur lautet der Auftrag und nicht wirtschaftlicher Wettbewerb mit Filmdienstleistern.« (Weitere Infos hierzu bietet auch ein Artikel bei film-tv-video.de).
Zu diesen Themen diskutierten die Teilnehmer des Podiums und beleuchteten die unterschiedlichen Facetten der Problematik.
Das Podium
- Thomas Frickel ist erster Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Dok). Als größter Berufsverband fernsehunabhängiger Autoren, Regisseure und Produzenten, sieht sich die AG Dok als film- und medienpolitische Lobby des Dokumentarfilms.
- Nicole Joens ist Drehbuchautorin und Autorin des senderkritischen Buchs »Tanz der Zitronen«. Sie vertrat den Verband Deutscher Drehbuchautoren.
- Niels Maier ist stellvertretender Vorsitzender der Allianz Unabhängiger Filmdienstleister (AUF).
- Martin Moll ist Geschäftsführer der Bavaria Studios, die wiederum Mitglied im Verband technischer Betriebe für Film und Fernsehen (VTFF) sind.
- Dr. Michael Neubauer ist Geschäftsführer des Berufsverbands Kinematografie (BVK), der die Interessen von Kameraleuten vertritt.
- Der Verband Deutscher Filmproduzenten (VDF) schickte seinen Vorstandsvorsitzenden Arno Ortmair ins Rennen. Der VDF vertritt die Interessen der unabhängigen Produzenten.
- Irina Wanka vertrat die Position des Interessenverbands Deutscher Schauspieler, der aus Eigensicht einzigen berufsständische Organisation Deutschlands, die ausschließlich professionelle Schauspieler vertritt.
Als Anheizer der Podiumsdiskussion fungierte Dr. Michael Neubauer, der in seinem einleitenden Vortrag auch einige bewusst provokative Thesen in die Runde warf und damit die Grundfragen des Themenkomplexes anmoderierte. Aus seiner Sicht hat sich die Situation für viele Filmemacher dramatisch verschlechtert, sodass es höchste Zeit sei, die Probleme anzugehen und zu lösen. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk rund acht Milliarden Euro Gebührengeld zur Verfügung habe, davon aber nur sehr wenig im Produktionsmarkt ankomme, schreibt er mehreren Faktoren zu.
Einige der Kernthesen von Neubauer: Es sei zwar sehr ärgerlich, dass große Teile der Zwangsgebühren, die von den Bundesbürgern an die öffentlich-rechtlichen Sender entrichtet werden, gar nicht im Programm ankämen, aber in einigen Aspekten sei das wohl auch gar nicht zu ändern. So etwa bei den Pensionsrückstellungen, die einen immer größeren Anteil der Gebühren auffressen, also Geld kosten, das der Gebührenzahler zwar aufbringen muss, das aber dann eben gar nicht für die eigentlichen Aufgaben der Fernsehsender zur Verfügung steht. Hier sieht Neubauer keine Möglichkeiten für Änderungen früher gegebener Versprechen der Sender gegenüber pensionierten Mitarbeitern.
Wohl aber sieht Neubauer Potenzial beim Abbau des Wasserkopfes der Sender. Das ZDF als zweiter öffentlich-rechtlicher Sender in Deutschland hat aus Sicht von Neubauer seine Daseinsberechtigung gar ganz verloren, seit man alle ARD-Sender bundesweit empfangen kann.
Des weiteren geißelte Neubauer die gängige Praxis, dass Moderatoren von Talkshows auch gleichzeitig mit ihren privaten Unternehmen als Produzenten ihrer eigenen Sendungen auftreten. Das sei unnötig, die Sender selbst oder andere Produzenten, könnten diese Programme problemlos realisieren, es brauche keine nur auf diesen einen Zweck ausgerichteten wirtschaftlichen Aktivitäten.
All das gipfle darin, dass es bei den Öffentlich-Rechtlichen keine funktionierenden Kontrollgremien gebe und stattdessen ein undurchschaubares Geflecht an Tochterfirmen mit kommerziellen Interessen, die das Geld der Öffentlich-Rechtlichen verbrauchten, das eigentlich in der Produktion ankommen sollte.
Die Sender haben mit ihren Tochterunternehmen aus Sicht von Neubauer signifikante Marktanteile in Marktbereichen errungen, in denen sie eigentlich nichts zu suchen hätten, etwa im Rental- und Post-Markt. Konkret nannte er Firmen wie das Postproduktion-Unternehmen D-Facto Motion und den Verleiher Cine-Mobil, Studio Berlin Adlershof und Studio Hamburg, die Teil des öffentlich-rechtlichen Beteiligungsnetzwerks seien und wesentlich von dieser Zugehörigkeit profitierten. Das sei nicht erforderlich, der freie Markt könne alle Bedürfnisse der Sender problemlos abdecken. Außerdem habe sich die Praxis eingeschlichen, dass Projekte quasi automatisch an Sendertöchter vergeben werden. Hier fordert Neubauer die Pflicht zur Ausschreibung.
Neubauer bilanzierte: »Wir brauchen eine Re- oder Teilprivatisierung der Sendertöchter, wenn wir dieses System ändern wollen.« Damit wurde dann die Podiumsdiskussion eröffnet, moderiert von der Podiumsteilnehmerin Nicole Joens.
Diskussion
Den schwersten Stand auf dem Podium hatte ganz sicher Martin Moll, den die anderen Podiumsteilnehmer zum einen als Mitglied des Verbands technischer Betriebe für Film und Fernsehen (VTFF) adressierten, in dem zahlreiche Tochterunternehmen der öffentlich-rechtlichen Sender organisiert sind, aber auch als Geschäftsführer der Bavaria Studios, eines eng mit den öffentlich-rechtlichen Sendern verbundenen Unternehmens. Moll wurde somit in die Rolle des Verteidigers des bestehenden Systems gezwungen, das praktisch alle anderen Podiumsteilnehmer kritisierten.
Gleich zu Beginn der Diskussion gab Moll aber die Devise aus, es säßen letztlich alle Podiumsteilnehmer im gleichen Boot und diese Sichtweise bekräftigte er dann noch einmal in seinem Schluss-Statement: sinkende Budgets, harter Wettbewerb und ein fragmentierter Markt kennzeichnen laut Moll die aktuellen Marktbedingungen für alle Unternehmen außerhalb der öffentlich-rechtlichen Sender, zu denen er auch die Bavaria Film zählt — wofür er Gelächter und Zwischenrufe aus dem Publikum in Kauf nehmen musste.
Bavaria-Mann Martin Moll glaubt, dass das eigentliche Kernproblem letztlich darin bestehe, dass die Sender dem Bereich Produktion immer weniger Geld zuwiesen. Es müsse einfach insgesamt mehr produziert werden, dann gehe es allen besser, dahin müsse man die öffentlich-rechtlichen Sender bringen.
Dem letzten Punkt Molls könnte Niels Maier, Geschäftsführer von Maier Bros und Vertreter des Gastgebers AUF auf dem Podium, sicher zustimmen, aber ansonsten vertritt er in nahezu allen Aspekten die Gegenposition zu Moll. Maier sieht ein stetiges Wachstum der Sendertöchter auf Kosten privatwirtschaftlicher Marktaktivitäten.
Moll etwa verwies auf die Studie des VTFF, die für den Rental-Bereich ein Volumen von 150 Millionen ermittelt hat. Das Bavaria-Rental-Unternehmen Cine-Mobil komme aber auf weniger als 11 Millionen Umsatz, was nach dieser Rechnung einem ungefähren Marktanteil von unter 10 Prozent entspricht.
Niels Maier hakte hier ein und verwies darauf, dass nach Zahlen des AUF das Volumen des Rental-Markts eher bei 70 Millionen Euro liege und somit durchaus von einer Marktdominanz von Cine-Mobil gesprochen werde könne — vor allem wenn man die Umsatzentwicklung des Unternehmens in den vergangenen zehn Jahren betrachte. Maier sagte weiter: »Wenn die aktuelle Entwicklung so weitergeht, wie bisher, wird mein eigenes Unternehmen bis in zehn Jahren ganz sicher nicht mehr existieren.
Auch Produzent Arno Ortmair ist sich sicher, dass es den freien Produzenten in jedem Fall besser ginge, wenn es die zahlreichen Sendertöchter nicht gäbe. Er warf dann im späteren Verlauf der Diskussion die These auf, die Sender bräuchten nicht weniger, sondern mehr Geld, trauten sich aber nicht, das deutlich zu fordern. Täten sie es, dann käme auch in der freien Wirtschaft wieder mehr Geld an. Diesem Gedanken war auch Martin Moll nicht abgeneigt.
Dieser Position widersprach am klarsten Thomas Frickel von der AG Dok. Er glaubt, dass es falsch sei, das bestehende System immer weiter und immer höher zu alimentieren: »Den Sendern mehr Geld zu geben, wäre fatal, denn die können damit nicht umgehen«, führte Frickel aus. Mehr Geld zementiere die Verhältnisse und verhindere sogar die dringend nötigen Reformen, zeigte sich Frickel überzeugt.
Dass sich der Produktionsmarkt auch für die Akteure vor der Kamera verschärft, bestätigte Schauspielerin Irina Wanka, die weniger und schlechter bezahlte Jobs für immer mehr Schauspieler ausmacht und in der Folge eine erhöhten Beratungsbedarf für viele Branchenteilnehmer sieht.
Thomas Frickel von der AG Dok merkte an, dass die öffentlich-rechtlichen Sender allein im Jahr 2014 rund 900 Millionen Euro für Sportrechte ausgegeben hätten, mit diesen rund 27% ihres Budgets aber gerade mal 8% der Sendefläche gefüllt hätten. Angesichts solcher Zahlen sei klar, dass andererseits den freien Produktionen das Geld »hinten und vorne« fehle. Dennoch stelle sich die Frage, wo bei rund acht Milliarden Gebühreneinnahmen denn das ganze Geld hinfließe: »Offenbar wird nicht kontrolliert, was bei den Sendern mit dem Geld gemacht wird. Deshalb brauchen wir nicht noch mehr Geld fürs Programm, sondern eine Reform oder noch besser eine Revolution des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.«
Das sieht auch Niels Maier so, der mit dem Förderwesen ein weiteres kritisches Thema aufgriff und ausführte, dass viele Fördermittel bei öffentlich-rechtlichen Unternehmen landeten und dort für Quersubventionierung genutzt würden. Und warum landen diese Fördergelder bei den Sendern? Weil natürlich auch in den Fördergremien Leute aus den Sendern vertreten sind, so Maier.
Arno Ortmair erläuterte, dass die Gesamtsituation wesentlich komplexer sei, als man sie in einer kurzen Podiumsdiskussion darlegen könne. Dennoch sagte er, dass es einzelne Aspekte gebe, die man herausgreifen könne und führte einen weiteren Aspekt ein, der aus seiner Sicht die Absurdität der aktuellen Situation verdeutlicht: »Jedes Jahr bilden wir Massen an Leuten aus, lassen aber gleichzeitig zu, dass der Markt verschlossen wird.«
Niels Maier sieht aus einem weiteren Aspekt heraus dringenden Reformbedarf beim öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem in Deutschland: »Würde man heute ein solches System neu aufsetzen, sähe es mit Sicherheit ganz anders aus, als das, was wir heute haben.« Man müsse den Wildwuchs und die Neigung solcher Systeme, sich zu verselbständigen und zu wuchern, durch bessere Kontrollen und mehr Transparenz eindämmen.
Perspektiven
Wie lässt sich diese verfahrene Situation ändern, fragte Nicole Joens am Ende der Diskussion die Beteiligten in der Runde. Michael Neubauer ist sich sicher, dass es den Schulterschluss mehrere Verbände brauche, um etwas zu bewegen — und auch Arno Ortmair und Thomas Frickel glauben daran, dass es wichtig sei, mit einer Stimme zu sprechen und zumindest punktuell gemeinsam zu agieren. Niels Maier fasste das ganz plakativ in einem Aufruf an alle Branchenteilnehmer zusammen und forderte: »Engagiert euch, wenn ihr etwas ändern wollt.«
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