Ach ja: der Grimme-Preis
Das Grimme-Institut zeichnet alljährlich Fernsehsendungen und –leistungen aus, »welche die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Fernsehen auf hervorragende Weise nutzen und nach Form und Inhalt Vorbild für die Fernsehpraxis sein können«. So kann man es zumindest auf der Homepage des Instituts nachlesen. Soweit, so gut.
In diesem Jahr sorgte das Grimme-Institut mit der Bekanntgabe der Nominierungen für den Preis, der im April vergeben wird, für einige Schlagzeilen — dabei ist es durchaus vorstellbar, dass das absichtsvoll geschah: In der Kategorie Unterhaltung steht das »Dschungelcamp 2013« von RTL in der Liste. Eine Sendung also, bei der es im wesentlichen darum geht, dass sich Menschen mit teilweise sehr diskussionswürdigem Promi-Status dabei beobachten lassen, wie sie sich selbst vor laufenden Kameras erniedrigen, um damit Geld zu verdienen und ihre Bekanntheit zu steigern. Dazu transportiert RTL diese Menschen in eine Art spartanisch ausgestatteten Freizeitpark in Australien, wo sie allerlei schmutzige Aufgaben erledigen, oft mit Reptilien und Insekten Hautkontakt aufnehmen und Dinge essen müssen, deren Verzehr Mitteleuropäer Überwindung kostet: Straußenanus, Kuhzitze, Kamelpenis, rohes Fischauge, lebende Sandwürmer, Buschschweinsperma. Während und zwischen solchen »Prüfungen« dürfen sich die Teilnehmer übergeben, heulen, sich möglichst nackt vor der Kamera präsentieren, über ihr selbst auferlegtes Leiden sprechen oder über die anderen Camp-Mitglieder lästern.
Das Ganze wird begleitet von einem Medienecho, das seinesgleichen sucht: Nicht mehr ausschließlich Boulevard-Medien berichten über diese Sendung, im Internet wie in der gedruckten Presse, im Radio- und auch im Fernsehprogramm konkurrierender Sender findet die RTL-Sendung ihren Niederschlag. Mit großem Erfolg für den Kölner Privatsender: Im Schnitt haben über sieben Millionen Zuschauer am heimischen TV-Gerät »Ich bin ein Star — Holt mich hier raus!« — so der offizielle Titel der Sendung — verfolgt.
Offenbar gibt es ein gesellschaftliches Bedürfnis, sich an der Unbill zu ergötzen, die andere durchleben müssen: In der Römerzeit, die ganz zweifellos enorme Kulturleistungen hervorbrachte, gab es schließlich auch Gladiatorenkämpfe und es wurden Menschen öffentlich gefoltert, getötet oder irgendwelchen Bestien zum Fraß vorgeworfen. Die Hoffnung, dass seither eine geistige Weiterentwicklung stattgefunden hätte, erlebt offenbar nur darin ihren Niederschlag, dass die Dschungelcamp-Teilnehmer heute nicht mehr umgebracht werden, wenn sie ihre »Prüfung« nicht bestehen.
Uwe Kammann, der Direktor des Grimme-Instituts, verteidigt in einem langen Artikel die Nominierungsentscheidung und erläutert ausführlich, dass die Nominierungskommission des Grimme Instituts nicht »zeitgeistig verlottert« sei, sondern »auf eine ernsthafte Auseinandersetzung« setze. Aber die Schlagzeilen, die die Dschungelcamp-Nominierung ganz nebenbei für sein Institut erbrachte, dürfte ihn sicher auch nicht gestört haben.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob in der heutigen Medienwelt inhaltlich überhaupt noch »ernsthafte Auseinandersetzungen« stattfinden und ob die Verleihung eines Preises dafür der richtige Auslöser sein könnte. Erinnert sich etwa noch jemand an den »Integrations-Bambi« für den Rapper Bushido? Und hat der eine »ernsthafte Auseinandersetzung« bewirkt? Außerdem: Bis zur nächsten Staffel des Dschungelcamps wäre auch eine »ernsthafte Auseinandersetzung« damit längst wieder vergessen und zerredet.
Ein kleiner, scheinbarer Trost noch für Pessimisten und Misanthropen: Wenn die inhaltliche Entwicklung des TV-Programms der vergangenen Jahre auch in Zukunft einfach so weiter läuft wie bisher, dann wird in fünf bis zehn Jahren das »Dschungelcamp« tatsächlich als hochwertige Unterhaltung gelten.
Sie werden sehen.
PS: Wer sich für die ausführliche Stellungnahme des Direktors des Grimme-Instituts interessiert, kann sie hier nachlesen: http://www.grimme-institut.de/html/index.php?id=1621