Avid Post Solution Tour: Cutter geben Einblick in ihre Arbeit
»Der Schnitt gibt einem Film die Form«: Cutter und Regisseur Andrew Ruszala und Cutter Constantin von Seld gaben in Berlin im Rahmen der Post Solution Tour von Avid Einblick in ihre jüngsten Werke — darunter »Schutzengel« von und mit Til Schweiger.
Für Til Schweigers Thriller »Schutzengel« konnte Constantin von Seld auf sage und schreibe 125 Stunden Material zurückgreifen. Wesentlicher Hintergrund dieser Materialfülle ist, dass vor allem bei den Action-Szenen bis zu sieben Kameras parallel zum Einsatz kamen, um möglichst viele Perspektiven zur Verfügung zu haben. Interessant: Das Drehen mit vielen Kameras gleichzeitig, spart an anderer Stelle Aufwand, Zeit und Geld, so müssen Special Effects wie Schusseinschläge in Wänden, spritzendes Blut und ähnliches nicht mehrfach eingesetzt werden, wenn man diese Szenen für mehrere Kameras parallel in Szene setzt, anstatt die erforderlichen Einstellungen und Perspektiven sequenziell zu drehen.
»Schutzengel« wurde aber nicht nur aus einer großen Fülle von Material montiert, sondern dieses wurde auch mit einer großen Bandbreite unterschiedlicher Quellen aufgenommen: Neben bis zu vier Alexa-Kameras von Arri kamen verschiedene Zusatzkameras für »aufregende und ungewöhnliche« Blickwinkel zum Einsatz, darunter DSLRs (Canon EOS 5D) und auch Sinacam-Miniaturkameras, von denen eine etwa direkt auf den Lauf einer Maschinenpistole montiert wurde. Eine Phantom-Highspeed-Kamera lieferte darüber hinaus Zeitlupen-Einstellungen mit 48 und 96 fps und zum Teil noch höheren Bildraten, berichtete Constantin von Seld. Das gesamte Material ließ er von seinem Assistenten in DNxHD36 in 8 Bit vorbereiten. Dieser Codec sei auch als Grundlage für die Ausspielung der digitalen Kinofassung qualitativ gut geeignet.
Wichtig war dem Regisseur, Produzenten und Hauptdarsteller Til Schweiger bei diesem Projekt die Möglichkeit der schnellen Materialsichtung — nicht nur von Dailies, sondern auch von ganzen, schon geschnittenen Montagesequenzen. Constantin von Seld arbeitete daher parallel zu den Dreharbeiten jeweils mit dem Material des Vortages und bereitete so ganze Sequenzen auf. Til Schweiger sichtete die Ergebnisse dieser Arbeit dann in den Drehpausen — und schnitt teilweise auch selbst. Zwar folgte die Montage wesentlich der Drehbuch-Vorgabe, Schweiger und von Seld konnten aber im engen Dialog beim Editing auch zusätzliche, neue Ideen berücksichtigen, die sich erst beim Drehen ergaben. Auf dieser Grundlage wurde dann entschieden, gegebenenfalls zusätzliche Einstellungen zu drehen.
»Wir versuchen, schon bei Drehschluss den Film zusammenhängend als Rohschnitt fertig zu haben«, beschreibt Constantin von Seld das Ziel der engen Zusammenarbeit mit Til Schweiger, für den er schon »Kokowäh«, »Zweiohrküken« und »Barfuss« geschnitten hat. Diese verdichtete Arbeitsweise ermöglichte es, dass schon frühzeitig eine 150-Minuten-Rohfassung vorlag, die kaum zwei bis drei Wochen nach Drehende schon für erste Test-Screenings eingesetzt wurde. Im weiteren Arbeitsprozess wurden dann teils komplette Nebenhandlungsstränge entfernt, um eine kinogemäße Länge zu erreichen.
Ergebnisse und einige Zwischenschritte demonstrierte von Seld am Beispiel einer längeren Action-Sequenz. Die Vorführung am Media Composer verdeutlichte auch seine Arbeit im Tonbereich: Schon früh griff von Seld auf eine vorab zusammengestellte Sound-Bibliothek mit diversen Varianten von Schussgeräuschen, brechendem Glas und ähnlichem zurück.
Wie ihm seine langjährigen Erfahrungen als Cutter in seiner aktuellen Tätigkeit nutzen, erläuterte Regisseur Andrew Ruszala, der seit etwa zehn Jahren Musikvideos und Werbespots inszeniert. Sein Vortrag illustrierte an zahlreichen Beispielen verschiedene Schnittprinzipien — etwa das Schneiden auf den Musiktakt oder die Aktion im Bild, das Aufnehmen von Zoombewegungen für den Schnittrhythmus oder den wiederholten Einsatz von Bildelementen. Besonders gefordert ist die Kreativität des Editors antürlich, wenn das ihm vorliegende Material eigentlich unzureichend ist. So zeigte Ruszala am Beispiel einer 28-Sekunden-Passage aus einem Musikvideo, wie diese ursprünglich eher langweilige Einstellung durch Unterschneiden und Einblendungen aufgebrochen werden und dadurch eine Spannung erlangen konnte.
Einleitend hatte Avid-Mitarbeiter Michael Bleser einige der neuen Möglichkeiten des Media Composer und von Symphony in den aktuellen Versionen 6.5 präsentiert. Er streifte dabei etwa den Import von 2K/4K-Material in Form von 16-Bit-Raw-Daten, die von der Sony-Kamera F65 stammten, und konzentrierte sich auf Neuigkeiten für file-basierte Workflows mit AS-O2-Containern, wie sie laut Bleser etwa bei Arte und HBO als Austauschformat Verwendung finden. Gestalterische Möglichkeiten erläuterte Bleser auch anhand der Boris Continuum-Complete-Plug-Ins.
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