Editorial, Kommentar, Top-Story: 09.11.2012

Dress classy, dance cheesy

Bei Veranstaltungen wie den Medientagen München, diskutieren Fernsehmacher, Verleger und andere Medienmenschen über die Zukunft ihrer Branche: Welchen Herausforderungen müssen sich Medien stellen? Was ist das nächste große Ding im Medienbereich? Wie können sich die etablierten Medien im Konzert immer neuer Entwicklungen behaupten und mitziehen? Welche Medien werden weiter an Bedeutung gewinnen, wo liegen Sackgassen und Irrwege?

Echte Antworten auf diese Fragen liefern all diese Veranstaltungen kaum, oft bleibt am Ende kaum mehr als die Erkenntnis: »Schön, dass wir mal wieder darüber geredet haben …«

Gangnam Style
Weltweiter Youtube-Hit: »Gangnam Style« von Psy.

Regelmäßig werden alle Versuche, die Zukunft der Medien vorauszusagen und klare Entwicklungslinien zu beschwören, von der realen Welt überholt oder ad absurdum geführt. Aktuelles Beispiel gefällig? »Gangnam Style« der Hit des südkoreanischen Rappers Psy.

Psy war bis vor kurzem — ohne dem Künstler nahetreten zu wollen — eine lokale Größe in Südkorea. Dort einigermaßen erfolgreich, verhinderten Sprach- und Kulturbarrieren bislang seinen internationalen Durchbruch. Mal im Ernst: Wer in Deutschland kannte vor einem halben Jahr irgendeinen koreanischen Rapper — höchstens noch Amerikaner mit koreanischen Wurzeln als Teil der US-Formation Far East Movement (»Like a G6«).

Gangnam Style
»Dress classy, dance cheesy.«

Im Sommer 2012 aber stellte Psy dann das Video zu seinem Titel »Gangnam Style« bei Youtube online. Ein — wie man im Making-of sehen kann — mit einer Red-Kamera gedrehter, nicht all zu aufwändiger Clip. Darin lässt sich Psy auf koreanisch über den Lebenstil des Gangnam-Viertels in Seoul aus und tanzt dazu einen ziemlich albernen »Pferdetanz«. Das Video wurde zum Selbstläufer: Das Original erreichte bis dato über 620 Millionen Aufrufe und es gibt zudem noch zahllose Parodien davon.

Den unglaublichen Erfolg befeuerten offenbar auch die Tweets etlicher Promis, die das Video in ihren Twitter-Accounts anpriesen — und damit für noch mehr Zugriffe sorgten. Zwischenzeitlich imitieren nicht nur unzählige Fans den Tanz in eigenen Videos bei Youtube, selbst der chinesische Künstler Ai Weiwei übte sich in einer Variante des Gangnam Style mit politischen Anspielungen — natürlich nur, bis sein Gangnam-Video in China zensiert und abgeschaltet wurde.

Gangnam Style
Gegen alle Wahrscheinlichkeit: »Gangnam Style« und der zugehörige Tanz wurden ein weltweiter Megahit.

Doch Psy stürmte nicht nur die Youtube-Charts: Das Stück schoss in den USA — immer noch der größte Musikmarkt der Welt — und in zahllosen anderen Ländern in die Top-Ten der Charts. Auch die iTunes-Charts führte der Titel einige Wochen an — und Psy selbst ist derzeit in TV-Shows rund um den Globus zu sehen.

Spätestens seit vergangenem Samstag hat Psy auch in Deutschland weiteres Publikum für sich erschlossen: Bei der Saalwette des ZDF-Quotenhits »Wetten Dass?» fanden sich über 100 Bremer ein, die den Gangnam-Style tanzten — tatkräftig unterstützt von Gossip-Sängerin Beth Ditto.

Psy selbst charakterisierte seinen Pferdetanz in der Ellen-DeGeneres-Talkshow übrigens ganz einfach: »Dress classy, dance cheesy«. Vielleicht auch das richtige Motto, um dem ganzen Gefasel von Cross-Media-Vermarktung, dem exakt geplanten, richtigen Medienmix, dem passenden viralen Marketing und dem gezielten Einsatz von Social Media entgegenzutreten: Den Sensationserfolg, der dazu führte, dass nun Millionen Menschen weltweit einen koreanischen Rapper kennen, hat keiner geplant oder als Spindoctor eingefädelt, er ist durch tausend Zufälle entstanden. Aber solche Erkenntnisse sind eben bei einer »Zukunft-der-Medien-Veranstaltung« eher kontraproduktiv …

Also bleibt uns allen letztlich nur: Immer weiter probieren.

Sie werden sehen.

 

Nachtrag aus dem Jahr 2017: Im Herbst 2017 nähern sich die Youtube-Aufrufe des offiziellen Videos zu »Gangnam Style« der 3-Milliarden-Grenze …
Hier steht es bereit:
https://youtu.be/9bZkp7q19f0