Vernetzt und filebasiert im SWR-Neubau
Der SWR ist als Zweiländeranstalt an drei Hauptstandorten angesiedelt: Baden-Baden, Mainz und Stuttgart. Am Standort Stuttgart, wo — redaktionell und produktionstechnisch gesehen — die aktuelle Berichterstattung aus und für Baden-Württemberg den Schwerpunkt bildet, stand eine grundlegende technische Modernisierung im TV- und Hörfunkbereich an. Was dabei vom Sender, den beauftragten Dienstleistern und Herstellern technisch geleistet wurde, ist derzeit europaweit beispiellos.
Ein wichtiger Stichtag, Prüf- und Meilenstein für das Großprojekt des SWR in Stuttgart war der 14. Mai 2012. An diesem Tag ging erstmals eine Live-TV-Sendung aus dem neuen Funkhaus des Südwestrundfunks (SWR) in Stuttgart on Air: die Nachrichtensendung »SWR Landesschau aktuell Baden-Württemberg«, die seit diesem Tag aus einem virtuellen Studio gesendet wird. Damit war ein — auch von außen gut sichtbarer — Beweis erbracht, dass das ambitionierte Modernisierungsprojekt des SWR erfolgreich war.
In der Person des »SWR Landesschau aktuell«-Moderators Dieter Fritz, der in dieser ersten Sendung vor der Kamera stand, zeigt sich auch, dass im Rahmen dieses Projekts in vielen Aspekten neue Wege beschritten wurden: Fritz war neben seiner Tätigkeit als Moderator auch als Projektleiter für die Realisation des virtuellen Studiosets der Sendung zuständig — was exemplarisch für die sehr enge Verbindung von Technik, Betrieb und Redaktion im Projekt steht. Allein daran lässt sich schon ablesen, dass der SWR bei der Modernisierung des Standorts Stuttgart nicht nur technische Geräte ausgetauscht, sondern ganz grundlegende, weit über die reine Erneuerung der Technik hinausreichende Veränderungen eingeleitet und teilweise schon vollzogen hat.
SWR-Intendant Peter Boudgoust fasst das so zusammen: »Der Neubau ist ein Symbol für den neuen, schlanken, zeitgemäßen SWR. Insofern haben wir auf Jahrzehnte hinaus die Basis dafür geschaffen, dass der SWR in Stuttgart bestes Programm aus dem Land machen kann.«
Sukzessive zogen vor und nach dem Sendestart der neuen »SWR Landesschau aktuell« weitere Bereiche des Senders in den Neubau um, der ohne jegliche Übertreibung zu den innovativsten Funkhäusern Europas zählt. Beeindruckend ist nicht nur die schiere Größe des Projekts, sondern die beabsichtigte und erreichte Tiefe der Integration, die in einem bisher beispiellosen Zusammenspiel aus Herstellern, Dienstleistern und verschiedenen Abteilungen des SWR realisiert wurde.
»Ein solches Projekt zum Erfolg zu bringen, erfordert das Zusammenspiel vieler ambitionierter, engagierter Mitarbeiter und die Kooperation vieler unterschiedlicher Bereiche inner- und außerhalb des Senders«, resümiert Heike Wieland. Sie ist als Projektleiterin Produktionstechnik Neubau Stuttgart gemeinsam mit Jürgen Pfeiffer für die Planung und Umsetzung des Projekts zuständig, das schon sehr weit gediehen, aber noch nicht ganz abgeschlossen ist. Beide haben die Modernisierung des Standorts Stuttgart auf der technischen Seite von den ersten Plänen bis zur Umsetzung begleitet. Für die Realisierung wurden Heike Wieland und Jürgen Pfeiffer, neben vielen anderen, insbesondere von Pierre Montagne und Udo Fettig sowie von Marc-Oliver Brehm und Bernhard Schreiber unterstützt.
|
---|
Ein komplexes Projekt mit klaren Oberflächen
Das Gesamtprojekt, das der SWR gemeinsam mit Dienstleistern und Herstellern gestemmt hat, ist in seiner Gesamtheit betrachtet so komplex, dass man problemlos ein Buch darüber schreiben könnte. Muss man aber gar nicht, den es gibt schon etliche: Allein die Ausschreibung für die filebasierte Produktionsumgebung hatte rund 700 Seiten, dann gibt es noch Pflichtenhefte und Workflow-Beschreibungen en masse. Deshalb kann sich dieser Report nur auf einen Überblick beschränken und wird nur einige Highlights herausgreifen.
Trotz der hohen Komplexität des Projekts, war es der Ehrgeiz der Planer, das Ganze für die einzelnen Anwender so einfach und praxisnah wie möglich zu gestalten. Was klingt, wie die Quadratur des Kreises, erforderte eine hohe Integration und Automation, die es schafft, komplexe Funktionalität einfach darzustellen und für den Anwender abrufbar zu machen: Im Hintergrund muss das Richtige passieren, ohne dass sich der Anwender um die Details kümmern muss.
Ein praktisches Beispiel dafür: Trotz zentraler Speicherung der Daten, ist es für manche, dazu berechtigte Anwender innerhalb eines Senders sinnvoll und wichtig, sich einen Beitrag auf CD oder DVD ziehen zu können. Beim SWR in Stuttgart geht das, ohne dass man dafür über spezielle technische Kenntnisse oder gute Beziehungen im Haus verfügen müsste, man muss auch nicht in einem SAP-System Anträge stellen, ewig warten, bis die entsprechende Technik frei ist und dann quer durch das ganze Haus wandern, um die Scheibe abzuholen. Stattdessen geht das Ganze von jedem PC im neuen Funkhaus aus, wenn man sich einloggt und die entsprechenden Rechte hat: Der Abruf des Materials, die notwendige Formatkonvertierung, alles funktioniert automatisch. Die Mitarbeiter können sich also auf ihren Job konzentrieren und ihre eigentlichen Aufgaben effizient erledigen.
Der Neubau im Überflug
Etwa 480 Mitarbeiter finden im Neubau in Stuttgart Platz. Neben Redaktions- und Büroräumen sowie Hörfunkstudios, verfügt er auf insgesamt rund 22.000 qm auch über vier Fernsehstudios. Die Ausstattung der Fernseh- und Hörfunkstudios, der Schnitt- und Tonbearbeitungsräume und Regien machen den Neubau zu einem der modernsten Medienhäuser Europas. Im Bildbereich wird ausschließlich filebasiert in HD produziert.
Der Neubau eröffnet auch den Redaktionen ganz neue Möglichkeiten: Erstmals können beispielsweise alle Mitarbeiter aus den Nachrichten auf einer Ebene arbeiten. Im Newsroom sitzen Onliner, Fernsehplaner, Video-Redakteure und Content-Manager in einem gemeinsamen Büro, bauen ein Nachrichtenangebot aus einem Guss. Die Medien Fernsehen, Hörfunk und Internet wachsen hier zusammen. Darüber hinaus macht der Neubau viele Arbeits- und Produktionsprozesse effizienter: Der SWR kann nun auf kleinerer Fläche kostengünstiger produzieren. »Das war auch eine der wichtigen Anforderungen an den Neubau«, erläutert Heike Wieland.
Ein neuer Ansatz
Zentrale Aspekte des neuen Funkhauses liegen in seinem filebasierten Produktionskonzept. Das klingt heutzutage zunächst mal gar nicht ungewöhnlich und aufregend, sondern repräsentiert einfach den aktuellen Stand der Technik. Bei vielen anderen, ähnlich gelagerten Projekten werden aber bei der Umsetzung dieses Ziels im Grunde die vorhandenen, gewachsenen Abläufe mit filebasierter HD-Digitaltechnik nachgebaut, in einigen Bereichen um ein paar zusätzliche Funktionen angereichert und mit aktuellen Schnittstellen versehen. Auch das ist schon eine schwierige, herausfordernde Aufgabe, wenn es um eine ganze Senderinfrastruktur geht.
Der SWR aber wollte einen anderen Weg beschreiten und nicht einfach nur bestehende Abläufe, deren Wurzeln bis zur Analogtechnik zurückreichen, mit moderner Technik abbilden. Stattdessen war ein radikalerer Ansatz erwünscht: mit einer grundlegenden Überarbeitung der Workflows und einer tiefen Integration aller Elemente. Dabei sollten aber keineswegs die Mitarbeiter vergessen werden, die mit neuer Technik und Arbeitsweisen konfrontiert werden mussten. Vielmehr war es erwünscht und gefordert, die Anwender von Beginn an mitzunehmen, sie in die Konzeption einzubinden und zu begeistern für die Reise zu neuen Ufern.
Positive erste Bilanz
Nach den ersten Monaten des praktischen Betriebs zieht der SWR ein positives Resümee: Der größten Hürden auf dem Weg in die bandlose, trimediale und vernetzte Produktionswelt sind genommen, Redaktion, Betrieb und Technik haben auf dem Weg dahin viel dazu gelernt und Enormes geleistet.
Bis es soweit war, mussten viele Gewerke ineinandergreifen und aus vielen Ideen und Ansätzen eine zukunftsgerichtete Realität geschaffen werden. Um das Projekt zu verstehen, lohnt ein kurzer Rückblick zu den Anfängen im Jahr 2006 und den daraus resultierenden Vorplanungen, um dann einige Highlights der Umsetzung herauszugreifen.
Kurzer Rückblick auf die Vorgeschichte
Im Jahr 2005 fiel im SWR die Entscheidung für die Errichtung eines Neubaus beim Funkhaus in Stuttgart. Vorstudien hatten gezeigt, dass diese Maßnahme auf längere Sicht die wirtschaftlichste Variante für die schon damals unabdingbare technische Modernisierung des Standorts darstellen werde. Das Villa-Berg-Areal, auf dem bis zur Inbetriebnahme des Neubaus der Stuttgarter TV-Bereich des SWR in verschiedenen Gebäuden untergebracht war, wurde daraufhin 2007 verkauft und für begrenzte Zeit vom Käufer zurückgemietet.
Der L-förmige Neubau entstand dann ab Mai 2008 in der unmittelbaren Nachbarschaft des bisher für Hörfunk und Verwaltung genutzten, zum Kulturdenkmal erklärten Funkhauses aus den 1970er-Jahren, in dem sich unter anderem auch der Dienstsitz des SWR-Intendanten befindet. Ein Ziel des Neubaus war es, alle Hörfunk-, Fernseh- und Internet-Aktivitäten des SWR, die in Stuttgart angesiedelt sind, an einem zentralen Standort zu vereinen. Parallel zum Baubeginn begann auch die Planung der fernseh- und hörfunktechnischen Ausstattung.
Ist-Soll-Analyse
Anfang 2008 begann ein SWR-Team damit, einen Anforderungskatalog für das Projekt zu erstellen. Dieses Team zeichnete sich für die technische Planung des Neubaus verantwortlich. »Wir haben zunächst eine umfassende Ist-Soll-Analyse erstellt und alle involvierten Mitarbeiter zu ihren Tätigkeiten befragt. Aus den Ergebnissen dieser Befragung konnten wir dann sehr viele wertvolle Rückschlüsse für die Planung des Neubaus ziehen«, erinnert sich Heike Wieland, die organisatorisch in der Hauptabteilung Zentrale Aufgaben und Programmverbreitung des SWR angesiedelt ist.
Ziel war es, die etablierten Workflows und auch die bestehenden Probleme und die Verbesserungswünsche der Mitarbeiter zu erfassen, um so die zukünftigen Workflows zu planen und die technischen Abläufe fit zu machen für die gemeinsame Zukunft bisher getrennter Bereiche — denn von Beginn an war klar, dass Hörfunk, Fernsehen und Internet unter dem Stichwort Trimedialität eng zusammenrücken sollten.
Diskutiert wurden in dieser Projektphase auch ganz grundsätzliche Fragen: Wie werden Nachrichtenleute, Hörfunkmitarbeiter und Onliner künftig zusammenarbeiten? Welche Rolle werden Editoren, Grafiker oder Content-Manager künftig spielen? Wie werden Fernsehen, Internet und Hörfunk in der Realität zusammenwachsen? Und über allem schwebte für das Planerteam stets die Frage: Welche Auswirkungen hat das auf die Technik und auf die Raumplanung?
Übergeordnete Ziele
Eine klare Vorgabe für das Planungsteam bestand darin, die Grundlagen dafür zu schaffen, künftig effizienter und mit weniger Personal arbeiten zu können. Gleichzeitig sollten die Weichen gestellt werden für eine filebasierte Produktion, die verzahntes Arbeiten der unterschiedlichen Bereiche in möglichst effizienter Weise ermöglichen sollte.
In der »alten Welt« erstellten Redakteure die Nachrichten für TV, Hörfunk und Internet vollkommen separat — eine Arbeitsweise, die viele Ressourcen verschlang und zudem auch dafür sorgte, dass viele Themen doppelt und dreifach recherchiert und bearbeitet wurden. Diese Arbeitsweise wollte der SWR grundlegend verändern und die technischen Grundlagen dafür schaffen, dass die Mitarbeiter im Nachrichtenbereich eng kooperieren und auch mit dem gleichen System arbeiten. Mehrfacharbeit verhindern, Material und Infos rasch den verschiedenen Auswertungskanälen verfügbar machen, das war der Grundgedanke. Jetzt sitzen die Kolleginnen und Kollegen aller Nachrichtenbereiche ganz nah beieinander und arbeiten auch im selben technischen System.
»Das erfordert bei den Mitarbeitern natürlich auch ein Umdenken: sie müssen sich von dem Gedanken lösen, dass der Content jemandem gehört. Ist er in unserer neuen Welt einmal ins System eingecheckt, können prinzipiell alle darauf zugreifen und das Material im Regelfall auch verwenden«, erläutert Michael Eberhard die neue vernetzte Arbeitsweise, der als Produktionschef Stuttgart des SWR die Hauptabteilung Technik und Produktion leitet und im Projekt die Bauherren-Rolle innehatte.
Den Taktgeber sieht Michael Eberhard in einer simplen Tatsache: »Aktualität spielt an unserem Standort eine sehr wichtige Rolle und in der gesamten Planung ging es auch immer darum, die Grundlagen für eine vernetzte Produktion zu ermöglichen, die uns hilft, möglichst schnell und aktuell zu sein.«
Schneller on Air zu sein, das ist letztlich der heilige Gral in der Aktualität und deshalb wurde dies auch zum Credo der Planer: »Um die Time-to-Air möglichst klein zu halten, müssen viele Abläufe parallel stattfinden. Deshalb wurde schon in einer sehr frühen Phase der Planung klar, dass die Systemarchitektur genau das erlauben musste: Dass möglichst viele Arbeitsschritte parallel ablaufen und nicht sequenziell«, erklärt Pierre Montagne. »Außerdem wollten wir einen möglichst hohen Grad an Automation erreichen, ohne dadurch unflexibel zu werden.
Das erfordert intensive Vernetzung und Integration, was wiederum hilft, Doppelarbeit zu vermeiden: Wenn ich etwa das, was an Metadaten anderswo im Workflow schon erfasst wurde, an anderen Stellen aufrufen und verwenden kann, spart das am Ende des Tages sehr viel Zeit und Arbeitskraft«, ergänzt Udo Fettig. Damit war der grundlegende Kanon des Projekts festgelegt und es galt, dies im nächsten Schritt in Einklang mit den Ergebnissen der Ist-Soll-Analyse zu bringen und zu orchestrieren.
Der »kommunikative« Baukörper
Unterdessen wuchs der Rohbau, den die Architekten für das L-förmige Grundstück hatten maßschneidern müssen, weil städtebauliche Vorgaben das so erforderten: Hinter dem Funkhausneubau steht eine denkmalgeschützte Villa, die als Kinderhaus genutzt wird.
Würde man ein Funkhaus auf der grünen Wiese planen, würde es wohl eher sternförmig, als Kubus oder in abgerundeten Formen ausfallen, um kurze Wege und logische Anordnungen von Arbeitsbereichen zu unterstützen. Die L-Form mutet zunächst nachteilig an, man befürchtet lange Gänge und lange Wege. Die Architekten haben es aber geschafft, durch eine offene Gebäudestruktur und geschickt angeordnete, helle offene Treppenhäuser diesen Nachteil umzumünzen: Das neue Funkhaus bietet trotz seiner stattlichen Nutzfläche von rund 22.000 Quadratmetern vergleichsweise kurze Wege und es unterstützt durch helle Gänge mit Stehtischen und Kommunikationsecken den schnellen Informationsaustausch — auch die Architektur verbindet im neuen Funkhaus eher, als sie Grenzen setzt.
»Das räumliche Konzept wurde anfangs teilweise sehr kritisch gesehen, aber es hat sich gezeigt, dass es unsere Arbeit in einer Weise unterstützt, die wir nicht erwartet hätten«, urteilt Michael Eberhard. »Vieles, was im alten Gebäude fast automatisch per Telefon oder E-Mail erledigt wurde, können wir jetzt oft direkt und schnell klären, sozusagen en passant, während wir im Gebäude unterwegs sind. Oft genügen ein paar Worte, manchmal entsteht ad hoc eine Minikonferenz an einem der Stehtische. Vernetztes Arbeiten wird bei uns gelebt.«
»Statt einer Sitzung«, meint Produktionschef Eberhard, »gibt es hier beim SWR in Stuttgart immer öfter eine „Stehung“, denn so werden die kurzen Meetings in den Kommunikationszonen hier im Haus teilweise genannt.«
|
---|
Ausschreibung der Hörfunk- und Fernsehtechnik
Weil der SWR eine öffentlich-rechtliche Einrichtung ist, musste das gesamte Projekt EU-weit ausgeschrieben werden. Das geschah allein im Bereich der filebasierten Produktions- und Sendetechnik mit einer rund 700 Seiten umfassenden, sehr detaillierten, funktionalen Ausschreibung, in die das Planungsteam des SWR viel Hirnschmalz und Arbeitszeit investiert hatte.
»Das war ein Mammutwerk, aber die Zeit und die Mühe, die wir hier investierten, haben sich gelohnt, denn ohne diese Ausschreibung hätten wir letztlich nicht das umsetzen können, was wir technisch und von den Workflows her haben wollten«, resümiert Heike Wieland. »Hierbei konnten wir auf sendereigenes Knowhow setzen — weit überwiegend direkt hier vor Ort in Stuttgart — und mussten keine externen Spezialisten einbinden.«
Das Wesen einer funktionalen Ausschreibung besteht darin, dass noch keine konkreten Geräte vorgegeben sind. Letztlich beschrieb der Auftraggeber SWR darin »nur«, welche Funktionalität er haben wollte. Es war also klar, dass man mit den Bietern intensive Gespräche würde führen müssen, bevor die Vergabe und die praktische Umsetzung beginnen könnten — schließlich war in der Ausschreibung teilweise Funktionalität festgelegt, die zu diesem Zeitpunkt kein Hersteller fertig lieferbar anbieten konnte. Um die Gespräche zu kanalisieren und diese Phase besser handhaben zu können, entschloss sich der SWR, das Gesamtprojekt in Form von vier Vergabepaketen auszuschreiben.
»Für einen einzelnen Generalunternehmer wäre ein solches Projekt zudem nicht im geforderten Zeitrahmen zu stemmen gewesen: Kein einzelnes Systemhaus das wir kennen, hätte die erforderliche Zahl an Spezialisten aufbieten und exklusiv für dieses Projekt abstellen können«, erläutert Heike Wieland. Auch in finanzieller Hinsicht wäre das Projekt für die meisten Systemhäuser zu groß geraten, hätte man es am Stück vergeben, denn schließlich müssen finanzielle Garantien abgegeben und Vorfinanzierungen geleistet werden. »Außerdem hatten wir natürlich im Hinterkopf, dass andere Sender, die auf einen einzigen Generalunternehmer gesetzt hatten, damit in große Schwierigkeiten geraten waren.«
Die Vergabepakete
VP1: Filebasierte Produktion
Das größte der vier Vergabepakete umfasst die Schaffung einer komplett neuen, integrierten, filebasierten Produktionsinfrastruktur. Dieses Vergabepaket wurde von Pierre Montagne und Udo Fettig verantwortet. Zentrale Elemente sind dabei Ingest und Outgest, Media- Asset-Management-System (MAM), die Bearbeitungssuiten, der zentrale Speicher und die Studioautomation. Generalunternehmer für dieses Vergabepaket ist Wellen+Nöthen. Derzeit begleiten Mitarbeiter des Unternehmens die Betriebsphase und schließen letzte Integrationsarbeiten ab. Wellen+Nöthen setzte von Beginn an auf die Zusammenarbeit mit bewährten Partnern auf der Herstellerseite wie etwa Avid, Omneon und Arvato Systems S4M. Mit diesem technisch und von der Integrationsleistung anspruchsvollsten der vier Vergabepakete befassen sich schwerpunktmäßig die weiteren Abschnitte dieses Reports.
VP2: Regie- und Studiotechnik
Vier Studios und drei Regien so mit Fernsehtechnik auszustatten, dass jede Regie mit jedem Studio verkoppelt werden kann, war die zentrale Aufgabe dieses Vergabepakets, für das Marc-Oliver Brehm die technische Projektleitung innehatte. Zum VP2 gehörten etwa auch die Schaffung eines übergreifenden Steuerungssystems und die Integration der gesamten Kommandoanlage, sowie der Aufbau der zu den Regien gehörenden Geräteräume. Außerdem galt es, Sprecherräume, sowie den gemeinsamen Schaltraum für Fernsehen und Hörfunk zu bauen. MCI erhielt für dieses Paket den Zuschlag als Generalunternehmer.
VP3: Hörfunk
Dieses Vergabepaket befindet sich noch in der Umsetzung, technischer Projektleiter ist Jürgen Pfeiffer. Für die Hörfunkwelle SWR1 werden in unmittelbarer Nähe zu den Redaktionen ein Nachrichtenstudio, ein Sounddesign-Studio, sowie zwei Selbstfahrerstudios geschaffen. Eine Besonderheit ist das bimediale Studio D, das Hörfunk- und TV-Funktionalität kombiniert. Von dort wird die SWR1-Hörfunksendung »Leute« live gesendet und parallel fürs Nachtprogramm im Fernsehen aufgezeichnet. Dieses Vergabepaket wird von Wireworx als Generalunternehmer realisiert.
VP4: Studioausbau / Licht
Den in diesem Paket zusammengefassten Ausbau der vier Studios mit Flächen zwischen 80 bis 400 qm in puncto Licht- und Bühnentechnik realisierten MCI und Despar gemeinsam, die technische Projektleitung lag bei Bernhard Schreiber. Das Paket umfasst die gesamte Lichttechnik, Studiohintergründe, Medienzüge, Punktzuganlagen, Vorhang- und Schienensysteme sowie weitere, in den Studios benötigte Betriebs- und Ausstattungskomponenten. Drei der Studios verfügen jeweils über eine Automatisierung, die vollautomatischen Betrieb mit Positionsspeicherung der motorisierten Teleskop- und Scheinwerfertechnik erlauben. Teil dieses Pakets war auch der Bau der Greenbox für das virtuelle Studio, aber auch Bodenkanäle, Studiomöbel und den Technikwandausbau realisierte MCI.
Vier Pakete, drei Generalunternehmer
Trotz der Aufteilung in vier Vergabepakte handelt es sich letztlich um ein großes Gesamtprojekt, und die zahlreichen Schnittstellen und Abhängigkeiten zwischen den Vergabepaketen erforderten auch intensive Kommunikation zwischen den drei Generalunternehmern. Das hat aus Sicht des SWR sehr gut geklappt und auch die GUs äußerten sich positiv über die offene, professionelle Zusammenarbeit.
Studios und Regien
Vier Studios, die mit drei Regien flexibel verbunden werden können: Diese Konstellation stellt höchste Anforderungen an alle Steuerungskomponenten, denn Regie und Studio können ja in diesem Fall nicht fest verdrahtet werden, sondern alles muss umschaltbar ausgelegt sein. Die von MCI und BFE hierfür entwickelte und installierte Studiosteuerung erlaubt es beispielsweise, die gesamte Regietechnik vom Videomischer über die Kamera-RCPs und Multiviewer bis hin zu Lichtpult und Teleprompter-Eingabe dem jeweils gewünschten Studio zuzuweisen.
Die drei Regien sind grundlegend gleich ausgestattet und jeweils mit den gleichen Geräten bestückt, es gibt aber Abweichungen in der Dimensionierung. Dadurch sind die grundsätzlich gleichen, durchgängigen Bedienkonzepte gewährleistet, aber in puncto freier Zuweisung der Regien zu den Studios galt es doch, die eine oder andere Herausforderung zu meistern. Die Studioregie C wird zudem mit einem etwas höheren Grad an Automation betrieben, um die wirtschaftlichere Abwicklung täglicher Nachrichtensendungen aus dem Greenscreen-Studio C zu ermöglichen.
In Studio C ist ein fest eingebauter Greenscreen installiert und die Kameraausstattung ist mit einem Kamera-Roboter und zwei unbemannten, fahrbaren Kameras auf virtuelle Produktionen ausgerichtet. Hierfür wurde eigens eine Anbindung an das Redaktionssystem OpenMedia von Annova Systems und die Vizrt-Grafiksysteme geschaffen. Weiter gibt es eine Schnittstelle zum Kamera-Roboter von Camerobot Systems, die es erlaubt, einmal eingerichtete Positionen per OpenMedia zu speichern und bei anderen Sendungen wieder abrufen zu können.
Die Studios A, B und D hingegen sind mit Sony-Kameras auf normalen, manuell bedienten Vinten-Fahrstativen ausgestattet. Die Studiohorizonte bestehen hier aus Projektionsfolien, hinter denen RGB-LED-Technik installiert ist. Damit können ein- oder mehrfarbige Hintergründe und Verläufe gestaltet werden, es lassen sich aber auch grafische Elemente, etwa Lauflichter, Logos oder Schriftzüge, in den Hintergrund integrieren.
An den Decken der Studios A, B und C hängt jeweils eine vollautomatisierte Beleuchtungsanlage. Das ermöglicht sehr schnelles Umleuchten mit wenig Personalaufwand, außerdem können einmal eingerichtete Scheinwerferpositionen und Lichtstimmungen gespeichert und abgerufen werden. Im Studio D wurde auf die vollautomatische Beleuchtung verzichtet, da hier auf absehbare Zeit immer die gleichen Sendungen stattfinden werden.
Räumlich sind die drei größten Studios A, B und C sowie die drei Regien und der Bereich Ausstattung auf der vierten Gebäudeebene angeordnet, ebenerdig zur Kuhn- und Neckarstraße. Das Studio D befindet sich auf Ebene 5. Der Content, der in den Studios produziert wird, kann live gesendet und/oder zentral gespeichert werden. Hier besteht eine der Brücken zwischen dem Studio- und Regiebereich und der filebasierten Infrastruktur.
Filebasierte Infrastruktur: Eckpfeiler
Zentrales Element des neuen Funkhauses ist dessen filebasierte Produktionsinfrastruktur. Sie bildet die Basis dafür, dass Nachrichten, Magazine, Features und auch Studioproduktionen beim SWR in Stuttgart nun filebasiert produziert werden.
Da kann es nicht verwundern, dass das eigentliche, technische Herz des Funkhauses in einem großen IT-Geräteraum schlägt, in dem unter anderem mehr als 100 Windows-Server, mehr als 20 Switches und viele Terabyte Speicher werkeln. Von diesem Rechenzentrum aus werden die Datenpakete durch das Funkhaus gepumpt. »Letztlich haben wir ein großes, leistungsfähiges Rechenzentrum mit ein paar Videoschnittstellen gebaut«, scherzt dementsprechend Pierre Montagne.
Um die Leistungsfähigkeit der IT-Infrastruktur etwas fassbarer zu machen, kann der folgende Vergleich dienen: Liefe das Netzwerk unter Volllast, würden die transportierten Daten pro Sekunde eine Blu-ray Disc füllen.
Die wichtigste Software-Komponente der filebasierten Infrastruktur ist das MAM-System VPMS von Arvato Systems S4M. Über dieses Tool, das von jedem Rechner im Funkhaus aus zugänglich ist, haben die Anwender Zugriff auf das Material, können es sichten, bearbeiten, verschieben, kopieren und ausspielen. Die Nutzer loggen sich ein und je nach Berechtigung stellt VPMS die jeweils verfügbare Funktionalität zur Verfügung. Ein wichtiger Aspekt der gesamten filebasierten Produktion des SWR ist ebenfalls in VPMS verankert: Die Anwender des Systems operieren an keiner Stelle mehr direkt auf der File-Ebene mit dem Material, sondern es liegt immer eine Management-Software darüber. Das ist essenziell, um eine hohe Automatisierung und gleichzeitig einfache, sichere Nutzung innerhalb einer so komplexen Struktur zu ermöglichen.
Ein weiterer Eckpfeiler der filebasierten Produktion beim SWR besteht darin, dass das HiRes-Bildmaterial durchgängig in 1080i im Format XDCAM HD 422 verarbeitet wird. »Uns war es sehr wichtig, innerhalb unseres Produktionssystem nur mit einem Codec arbeiten zu können«, erläutert Udo Fettig, »denn damit können wir etliche potenzielle Probleme von Anfang an ausschalten«.
Im LowRes-Bereich kommt das neu entwickelte Format AFN100 zum Einsatz, das eine PAL-ähnliche Bildqualität bietet. Dieses Proxy-Format (H.264 im MXF-Container) wurde von den Systempartnern eigens für die SWR-Installation spezifiziert. Es erlaubt den Materialaustausch zwischen allen relevanten Systemen innerhalb der Installation — und macht letztlich bis dato Unmögliches nun möglich.
Der größte technische Knackpunkt
Die wohl größte Herausforderung bei der technischen Ausstattung des neuen Funkhauses in Stuttgart wurzelt ganz am Anfang der Planung, nämlich in der möglichst starken Parallelisierung von Arbeitsschritten. Diese Parallelisierung verkürzt maßgeblich die Time-to-Air, stellte also eine essenzielle Anforderung dar, bedeutet aber in der Praxis, dass zahlreiche Software-Komponenten mit Files arbeiten müssen, die während der Bearbeitung weiter anwachsen.
Der prinzipielle Produktionsablauf ist dabei immer gleich: Material kommt per Ingest in das System und noch während der Ingest weiter läuft, beginnt mit einem kurzen Zeitversatz der Transfer von HiRes und LowRes zum Zentralspeicher. Mit einem weiteren kurzen Zeitversatz werden aus dem auf dem Zentralspeicher ankommenden Material Keyframes generiert. Zum gleichen Zeitpunkt steht das Material schon im MAM zur Verfügung, die Redakteure können dann unmittelbar mit dem Sichten und dem Vorschnitt beginnen, während — je nach Umfang des Originalmaterials — immer noch parallel der Ingest des Materials weiterläuft — obwohl schon mit dessen ersten Teilen im MAM geschnitten wird.
Alle Komponenten, die in diesen Prozess involviert sind, müssen also in der Lage sein, auf Files zuzugreifen und mit diesen zu arbeiten, obwohl diese noch weiter anwachsen. »Etliche in der Branche sagten uns, das sei überhaupt nicht möglich«, erinnert sich Daniel Url, der kaufmännische Leiter von Wellen+Nöthen. »Und in gewisser Weise hatten sie zum damaligen Zeitpunkt auch recht: Mit den damals am Markt verfügbaren Lösungen hätte man diese Funktionalität nicht erreichen können. In einer gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten wurde diese Funktionalität erschaffen. Hersteller wie AmberFin, Avid, Aveco, Arvato Systems S4M, Omneon, Annova, MOG Solutions und Rhozet entwickelten teilweise vollkommen neue Funktionen für ihre Systeme, um dies umsetzen zu können. Wellen+Nöthen als GU des Vergabepaketes 1 kann für sich in Anspruch nehmen, als zentrale Schnittstelle für die Entwicklung eines neuen File-Standards fungiert zu haben. In enger Abstimmung mit dem SWR und den beteiligten Firmen haben wir das Codec-Profil für die späteren Workflows genauestens definiert. Die dadurch entstandene neue Spezifikation AFN100 hat großes Potenzial, denn die beteiligten Firmen haben die Spezifikation bereits fest in ihre Systeme übernommen und auch andere Kunden und Hersteller scheinen durchaus gewillt zu sein, auf den Zug aufzuspringen.«
AFN100 bietet eine Auflösung von 640 x 360 Bildpunkten (1/9 HD) und erreicht damit in Fullscreen-Darstellung in etwa PAL-Qualität. Diese Bildqualität reicht in vielen Fällen sogar aus, um damit die Freigabe direkt am Redakteursarbeitsplatz durchzuführen — auf einem ganz normalen PC. AFN100 basiert auf einem H.264-Codec, es bietet acht Audiokanäle und generiert einen Datenstrom von 2 Mbps.
In vielen anderen Bereichen arbeiteten die beteiligten Firmen ebenfalls eng zusammen: Die Entwicklungsarbeit ging so weit, dass große Teile des MAM-Systems VPMS von Arvato Systems S4M quasi neu entwickelt wurden und diese Entwicklungen in die jüngste Version des Systems einflossen. Und Omneon etwa entwickelte einen neuen Mediaport, der nun das Produkt-Portfolio des Unternehmens bereichert.
Workflows, Abläufe: Vereinfachter Überblick
Originalmaterial kann auf verschiedenen Wegen in die Infrastruktur des SWR in Stuttgart gelangen, stets durchläuft es dabei aber einen Check-In-Prozess innerhalb des MAM, es wird also schon beim Einspielen vom System erfasst.
Das meiste Material gelangt über den speziellen Ingest/Outgest-Bereich in das System. Hier können verschiedene externe Feeds eingespeist werden, hier kommen auch die HD-SDI-Signale aus dem Studiobereich an und es stehen diverse Player für verschiedene Videoformate zur Verfügung, darunter auch ein Robotiksystem zum Einspielen von Professional Discs der XDCAM-Formatfamilie. Beim Einspielen wird das Material ins Hausformat XDCAM HD 422 gewandelt, wenn es nicht schon in diesem Format angeliefert wird. Dieser Transcoding-Prozess wird vom MAM gesteuert und nutzt dafür Komponenten von AmberFin und Rhozet.
Im nächsten Schritt wird das Material — vom MAM gesteuert — in die zentrale Ablage kopiert. Das ist ein in Form von zwei Server-Pools konfiguriertes Mediagrid-System von Omneon. Dieser Arbeitsschritt startet, wie zuvor schon erläutert, mit kurzem Zeitversatz zum Ingest und läuft dann parallel. Sobald das Material in der zentralen Ablage einläuft, beginnt die parallele Erzeugung von Keyframes und LowRes-Kopien. Hier greift das MAM wieder auf Transcoding-Funktionalität von AmberFin-Software-Modulen zurück.
Sobald die ersten LowRes-Clips und Keyframes geschrieben sind, stehen sie in VPMS zur Verfügung, können also von den Redakteuren gesichtet und vorgeschnitten werden. Zumindest in der Theorie reicht die in VPMS integrierte Editing-Funktionalität aus, um Beiträge damit komplett fertigzustellen. Über ein Plug-In können sogar Grafik-Templates aufgerufen und etwa Bauchbinden integriert werden. Die Bildqualität der LowRes-Kopien entspricht in etwa der von PAL-Qualität, was in vielen Fällen sogar für die Freigabe ausreicht.
Bei längeren oder gestalterisch anspruchsvolleren Beiträgen wird aber die endgültige Bearbeitung in einer der 20 Edit-Suiten stattfinden. Dafür stehen jeweils Schnittsysteme des Typs Media Composer von Avid für die Bildbearbeitung zur Verfügung. Fünf der Suiten des SWR in Stuttgart (sogenannte Kombis) sind mit zusätzlichen Software-Produkten ausgerüstet, etwa mit der Audio-Suite ProTools von Avid, Grading-Tools von Nucoda und Grafik-Software von Adobe. Eines der Ziele dieser Ausstattung war es, dadurch hausintern maximale Flexibilität bei der Nutzung der Bearbeitungsplätze zu schaffen. Ergänzend gibt es auch noch zwei dedizierte Tonbearbeitungsräume, die ebenfalls mit Media Composer und ProTools von Avid ausgestattet sind.
Um aus den Suiten auf das HiRes-Material zugreifen zu können, wird dieses via VPMS in die Avid-Welt transferiert. Über eine Schnittstelle zwischen VPMS und dem Asset-Management-System Interplay von Avid, werden Schnittlisten (EDLs) und die Verweise auf das HiRes-Material transferiert, dann wird das entsprechende Material aus der zentralen Ablage unter Nutzung von MOG-Software auf den separaten Bearbeitungsspeicher kopiert, ein großes Isis-Zentralspeichersystem von Avid. Hier können Projekte dann auf Basis der in VPMS erstellten Vorschnitte am Avid-System konsolidiert werden, man kann aber auch von Grund auf in der Suite neu mit dem Schnitt beginnen.
Fertige Beiträge können aus der Bearbeitung direkt vom Media Composer aus über den Check-In-Client innerhalb von VPMS wieder an andere Senken innerhalb der filebasierten Produktion transferiert werden, etwa in den Studiobereich auf den Playout-Server.
Als Videoserver setzt der SWR ein Spectrum-System von Omneon ein. Spectrum ist eine modulare, aus einzelnen Komponenten zusammengesetzte Server-Lösung: Mediadirector-Komponenten übernehmen hierbei die Steuerung des Datenflusses innerhalb des Gesamtsystems. Mediaport-Module dienen dem En- und Decoding der Ein- und Ausgangssignale im jeweils gewünschten Format. Mediastore nennt Omneon die Speicherbausteine, auf denen die Daten gesichert werden.
Soll Material aus der filebasierten Produktionsstruktur ausgespielt werden, so wird auch dieser Outgest über das MAM gesteuert. Am Ende der Produktion werden alle Live-Produktionen und Leitungsüberspielungen über den Schaltraum an andere Rundfunkanstalten oder an das Playout-Center des SWR nach Baden-Baden geleitet. Aber auch die Hörfunkprogramme laufen über den kombinierten Schaltraum. Auch für die Gegenrichtung hat der Schaltraum zentrale Bedeutung, denn hier wird auch der Empfang von externen Überspielungen koordiniert.
In dieser vereinfachten Darstellung fehlen etliche Nebenwege und Zusatzfunktionen, die bei einer flexiblen Infrastruktur natürlich immer notwendig sind. Stichworte sind hier: Partial File Extraction, Audiospurtausch und Audioextrahierung – um etwa die Brücke zum Hörfunk zu schlagen — und die Qualitätskontrolle. Ein weiterer hier nicht näher ausgeführter Aspekt ist die Bandarchivanbindung: Der Ingest hierfür ist — auch räumlich — separat ausgelegt: Material, das noch nicht im Massenspeicher (MSS) des SWR vorliegt, kann hier bei Bedarf aus dem Bandarchiv eingespielt werden. Außerdem wird hier darauf verzichtet, näher auf die Verknüpfungen einzugehen, die das MAM-System zu anderen Systemen außerhalb der filebasierten Produktionsinfrastruktur herstellt und die teilweise ebenfalls eine hohe Integrationstiefe aufweisen. Diese sind im folgenden Abschnitt rein informativ kurz genannt.
Schnittstellen zu anderen Systemen
Eine wesentliche Funktion von VPMS innerhalb der Gesamtinstallation bestand auch darin, die filebasierte Produktion in die schon existierende Systemlandschaft des SWR zu integrieren.
Zu nennen ist hier etwa die enge Integration mit dem Redaktionssystem OpenMedia von Annova Systems, die es erlaubt, beliebig viele Grafiken, Videos, oder andere Mediendateien in OpenMedia einzubinden und zu verwalten und den kompletten Produktions-Workflow abzubilden. Diese Integration macht den Redakteuren in puncto Recherche, Sendungsplanung und Vorbereitung das Leben leichter. Dass Annova und Arvato Systems S4M schon länger eng zusammenarbeiten, erleichterte diese Verknüpfung natürlich wesentlich.
VPMS ist aber auch mit dem Leitungsmanagement-System Boss von Dimetis verknüpft, mit dem von der Drefa entwickelten Produktionsplanungssystem Miraan und mit dem Video-File-Transfer-System Digas von David, sowie mit dem Fernsehinformations- und Planungssystem GraFips.
Außerdem regelt das MAM auch die Anbindung der Regionalstudios an das filebasierte Produktionssystem in der Stuttgarter Zentrale und es schlägt auch die Brücke zum von der Web-Redaktion des SWR als Transkodierungsplattform genutzten System AeXpresso.
Mit all diesen Systemen tauscht VPMS zumindest Metadaten aus, in vielen Fällen ist die Integration aber wesentlich tiefer und intensiver. Mit Systemen, die im Archiv- und Recherche-Bereich eingesetzt werden, wie dem MSS und Fesad, ist VPMS hingegen nur indirekt verknüpft.
Weitere Systeme, die beim SWR genutzt werden, sind die in OpenMedia integrierte Informationsplattformen wie INA (Interne Nachrichtenagentur) und PIA (Programm-Informations-Austausch) die dafür sorgen, dass alle Mitarbeiter immer denselben Informationsstand haben und damit erfahren können, welche Themen gerade wie bearbeitet werden und was als Nächstes geplant ist.
Studioautomation
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der filebasierten Infrastruktur, dem in diesem Abschnitt besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden soll, ist die Studio-Automation Astra vom Hersteller Aveco. Sie ist sowohl mit dem Redaktionssystem OpenMedia, wie mit dem MAM-System VPMS verbunden und hat die Aufgabe, bei Live-Produktionen und auch bei der Vorproduktion von Sendungen einen hohen Automatisierungsgrad zu erreichen.
Eine wichtige Anforderung an die Automation bestand schon in der Ausschreibung darin, ein System zu finden, das die Bedienung aller Studiokomponenten durch nur einen Operator ermöglicht, gleichzeitig aber so flexibel ist, dass sich einzelne Komponenten auch manuell bedienen lassen. Mit Aveco fand Wellen+Nöthen für den SWR einen Hersteller, der bereit war, gemeinsam mit den Sender auf diese Anforderungen einzugehen und seine bestehende Automation deutlich zu erweitern. Eine weitere Besonderheit: Es sollte möglich sein, jede der drei Regien auf jedes der vier Studios zu schalten. Die Integration von Astra hatte Logic Media Solutions übernommen.
Astra wird beim SWR sowohl in der Live-Produktion, wie bei vorproduzierten Sendungen eingesetzt. Bei Live-Produktionen besteht mit Astra die Wahl zwischen manuellem Betrieb, Teilautomation in verschiedenen Stufen und Vollautomation. Bei vorproduzierten Sendungen wird Astra für Aufzeichnungen im Studiobereich genutzt, aber auch für die automatisierte Ausspielung. Die Automation erlaubt auch den direkten File-Upload von Produktionen ins MAM zur Konsolidierung.
Bei der Vorproduktion von Sendungen unter Einsatz von Astra erfolgt die Aufzeichnung auf zwei Kanälen mit »Anschnittmöglichkeit«: Man kann also die Aufzeichnung unterbrechen und an dieser Stelle wieder einsteigen. Um für die Moderatoren den Einstieg zu erleichtern, wird auf der Kreuzschiene zum Anschnittzeitpunkt vom zuvor aufgezeichneten Material auf das Live-Signal umgeschaltet. Nach Abschuss der Aufzeichnung wird je Kanal ein durchgängiger Clip erzeugt. Die EDL enthält die Verweise auf die Essenzen mit den Start-, End- und Anschnittzeitmarken, sie wird mit dem ControlCenter ans MAM übergeben und dort weiterverarbeitet. Die Vorproduktionsfunktionalität ist in einer Oberfläche mit der Studioausspielung vereint.
Die Automation kann bei der Vorproduktion am gleichen Arbeitsplatz im Regiebereich, gemeinsam mit der Studioausspielung, von einer Person bedient werden. »Die Möglichkeit, mit Astra Studio 2 die Produktions- mit der Studioautomation zu kombinieren und gleichzeitig auch Sendungen vorproduzieren zu können, entsprach der von uns in der Ausschreibung geforderten Funktionalität«, erläutert Udo Fettig.
Um diese Funktionalität zu erreichen, muss die Studio-Automation zahlreiche Geräte steuern und verfügt hierfür über die entsprechenden Schnittstellen: Sie steuert etwa den Omneon-Spectrum-Videoserver, die Grafiksysteme von Vizrt-Systeme, die Sony-Videomischer MVS 8000X und die Audiomischpulte Lawo MC266. Außerdem sind noch angebunden: das Uhrensystem von Alpermann + Velte, das Kreuzschienen- und Modular-Steuersystem KSC von BFE, der Roboterkameraarm CameRobot und die fernsteuerbaren, motorisierten Vinten-Stative sowie die Lichtsteuerung GrandMa Lighting und ProTools-Systeme als JinglePlayer.
Je Regie können für Playout und Aufzeichnung sechs Kanäle des Videoservers gesteuert werden und vier Kanäle des Grafiksystems. Sie stehen fest zugeordnet zur Verfügung. Wenn mehr benötigt wird, können weitere vier Kanäle auf dem Pool-Videoserver und vier Kanäle auf dem Pool-Grafiksystem abgerufen werden.
Die Bedienung erfolgt über spezielle Tastenpulte, die Shotboxen, oder per PC-Tastatur. Auch Touchscreen-Bedienung wäre möglich, wird aber beim SWR nicht genutzt. Über eine grafische Benutzeroberfläche stellt Astra die Abläufe dar, auch in einer Timeline-Darstellung.
Astra arbeitet mit Templates, in denen des prinzipielle On-Air-Design und der gewünschte Automationsgrad einer Story definiert sind. Die dabei aufgestellten Regeln einer Story werden automatisch überprüft. Die Astra-Templates sind im Redaktionssystem mit den Beitragsvorlagen verknüpft. Besonderheiten des beim SWR installierten Astra-Systems bestehen darin, dass keine manuelle Verlinkung der Automations-MOS-Objekte nötig ist und dass je Beitragsvorlage und Sendung im Redaktionssystem ein Feld mit dem Astra-Template-Namen automatisch vorbelegt wird. Dadurch verursacht das Arbeiten mit Astra-Templates keinen Zusatzaufwand für Redaktion und Betrieb im Redaktionssystem OpenMedia.
Das Ziel der Kostenersparnis durch Reduktion des Bedienpersonals in den Regien sieht Udo Fettig ebenso erreicht, wie die komplett filebasierte Sendungsproduktion in den Regien.
Grafik
Bei der Grafik entschied sich der SWR für die Nutzung von Vizrt-Komponenten und setzte das System auch ein, um das virtuelle Studio damit zu realisieren. Zentrale Komponenten von Vizrt werden somit gemeinsam vom virtuellen Studiosystem wie auch von der Grafik genutzt.
»Landesschau aktuell«-Moderator Dieter Fritz war neben seiner Tätigkeit als Moderator auch als Projektleiter für die Realisation des virtuellen Studiosets der Sendung zuständig. Die Arbeitsgruppe um ihn hatte ein Jahr Vorlauf, um den Einsatz des virtuellen Studios vorzubereiten, »und das hat sich in jedem Fall auch gelohnt, denn wir waren zum Wunschtermin „on Air“, und zwar ohne wenn und aber«, sagt Udo Fettig.
Wie in allen anderen Gewerken ging es bei der Integration der Vizrt-Grafiklösung darum, einen möglichst hohen Vernetzungsgrad zu erreichen: Vizrt ist tief ins MAM-System VPMS integriert, es gibt eine enge Anbindung ans Redaktionssystem OpenMedia via ActiveX und an die Avid Media Composer im HiRes-Schnitt. Einzelne Komponenten von Vizrt werden zudem als Bildspeicher für Stills und Clips und auch als Schriftgeneratoren genutzt.
Weitere Auswirkungen der filebasierten Produktion
Auf Basis der neuen Möglichkeiten und der vernetzten, trimedialen Abläufe haben sich auch Kompetenzen und Aufgaben verschoben. So gehört es nun etwa beim SWR in Stuttgart zu den Aufgaben des CvD, sicherzustellen, dass Hörfunk, Fernsehen und Online-Bereich nicht parallel Reporter auf die gleiche Story ansetzen, zum gleichen Thema recherchieren und Originalmaterial erzeugen.
Ein anderes Beispiel für gewandelte Aufgaben ist der »schneidende Redakteur«, den es natürlich in verschiedenen, individuellen Ausprägungen gibt: Hier sind natürlich auch Übergangskonzepte gefragt, die den Talenten und Neigungen der Mitarbeiter entsprechen.
Fazit
Der SWR-Intendant Peter Boudgoust zieht ein eher wirtschaftlich orientiertes, positives Fazit: »Der Neubau ist ein Meilenstein auf dem Weg des SWR vom Sender zum multimedialen Inhalte-Anbieter. Und er ist eine Investition, die uns Sparen hilft. Die neue Studiotechnik kommt mit weniger Strom aus. Die Lichtanlage ist automatisiert, so dass wir künftig mit kleineren Studiomannschaften auskommen. Und die Wege zwischen bislang zum Teil verstreut untergebrachten Redaktionen werden kürzer, auch das spart letztlich bares Geld.«
Umso schöner, dass bei dieser »Investition, die Sparen hilft« auch noch ein wirklich zukunftsweisender technischer Meilenstein bei einem öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland gelungen ist, der zumindest europaweit seinesgleichen sucht. Eins ist sicher: Ohne das Engagement von Leuten in und außerhalb des SWR, die es einfach wissen wollten, ob etwas so Anspruchsvolles und in etlichen Aspekten noch nie Dagewesenes, nicht doch zu schaffen ist, wäre es nie so weit gekommen. Bertram Bittel, Direktor des Bereichs Technik und Produktion, bilanziert: »Die Art und Weise, wie wir nun Sendungen produzieren, markiert einen tiefgreifenden Wandel unserer bisherigen Arbeitsweise. Mit dem Neubau und den neuen Produktionsprozessen können wir die Chancen der Digitalisierung für den SWR effektiver denn je nutzen und die Konvergenz von Radio, Fernseh- und Online-Welt im Produktionsalltag leben.«
Ein weiterer Aspekt des Projekts, den man ebenfalls klar sehen muss, besteht darin, dass ein System wie es der SWR nun installiert hat, niemals fertig sein oder endgültig zur Ruhe kommen wird. Ein Beispiel: Will der SWR etwa auf Media Composer 6 umsteigen, dann muss er auch bei Interplay auf die neue Version wechseln. Das wiederum erfordert dann Anpassungen von VPMS — und so kann jede Veränderung im Gesamtsystem eine Folge von weiteren Systemänderungen nach sich ziehen. Man muss sich also darauf einstellen, dass die Zeiten, in denen man als Broadcaster ein System aufsetzen und dieses dann 10 bis 15 Jahre quasi unverändert nutzen konnte, endgültig vorbei sind. So steht den vielen Vorteilen, die in der filebasierten, nahezu vollständig IT-gestützten Produktion liegen, eben auch der eine oder andere Nachteil entgegen.
Dass die Entscheidung des SWR, diesen Weg zu gehen, aber keineswegs falsch ist, kann man daran ablesen, dass nun selbst Firmen, die am SWR-Projekt Funkhaus Stuttgart gar nicht beteiligt waren, auf Produkte, Formate, Schnittstellen und Workflows setzen, die überhaupt erst für dieses Projekt entwickelt wurden.
Empfehlungen der Redaktion:
31.08.2012 – SRF: HD-Sendezentrum in Betrieb
30.08.2010 – RTL Deutschland: Neues Dach überm Kopf
30.03.2011 – Facebook-Fernsehen in der Schweiz: Was geht?
06.04.2011 – Trimediales Kinderprogramm beim SFR: Zambo
03.09.2011 – Mediendienstleister APS: Aufbereiten, Managen, Senden