Branche, Top-Story: 04.02.2012

Berlinale digital — eine neue Herausforderung

Mehr als die Hälfte der insgesamt 2.400 Filmvorführungen im Rahmen der Berlinale werden in diesem Jahr mit digitalen Filmkopien realisiert. Das hat die hinter dem Festival stehende Logistik verändert.

2.400 Filmvorführungen in den Festival-Kinos und im Rahmen der Händlerveranstaltung European Film Market — das ist eine stattliche Zahl, die nur mit einer ausgetüftelten Logistik funktionieren kann. Die Hälfte der Projektionen wird dabei mit digitalen Filmkopien realisiert, die als Digital Cinema Packages (DCP) angeliefert werden. Die zunehmende Umstellung auf die Digitaltechnik stellt die 45 Mitarbeiter der Filmverwaltung vor neue Aufgaben, berichtet der für die digitalen Projektionen verantwortliche Ove Sander: »Im vergangenen Jahr hatten wir 80 bis 100 DCPs. Das hat in diesem Jahr einen Sprung gemacht: Wir haben knapp 300 Filme als DCPs bekommen.« Insgesamt gehen rund 650 Filme in die Screenings in den Kinos und auf dem European Film Market, die meisten werden mehrfach vorgeführt.  Zusätzlich zu DCPs und analogen Filmen schickten die Produzenten für etwa 1.100 Aufführungen Videos nach Berlin.

In diesem Zusammenhang kalkuliert das Festival Kosten von 500.000 Euro, die wesentlich im DCP-Bereich entstehen, aber zum großen Teil in Form von Partnerleistungen getragen werden.

Organisatorische Herausforderungen, festival-eigenes Equipment

Beim Einsatz digitaler Kopien ist schon der täglich fünfmalige Programmwechsel eine technische und organisatorische Herausforderung. »Die Kapazitäten auf den hauseigenen Servern der Kinos reichen oft nicht aus, um Filme für mehrere Tage abzulegen«, so Ove Sander. Das ist aber nicht der einzige Grund, auf festivaleigene Technik zu setzen. In der Vergangenheit hatten Server verschiedener Hersteller, aber auch baugleiche Maschinen mit unterschiedlichen Firmware-Versionen einigen Ärger verursacht. Dass in solchen Notfällen dann minderwertige Sichtungskopien gezeigt werden oder Vorstellungen gar ganz ausfallen müssen, muss das Festival natürlich unbedingt vermeiden. »Daher setzen wir einheitliche Systeme ein, deren Speicher wir komplett selbst nutzen können«, resümiert Ove Sander.

Dolby stellt der Berlinale 35 Show-Server des Typs DSS200 mit je 2,75 Terabyte Kapazität für DCPs und weitere fünf Library-Server des Typs DSL100 mit maximal 24 Terabyte Kapazität zur Verfügung. Über diese Geräte werden auch die in diesem Jahr seltener gewordenen Stereoskopie-Screenings abgewickelt. Die Technik und die Vorführer werden, berichtet Sander, zudem rund um die Uhr von sechs Service-Leuten des Herstellers betreut.

Kontrolle, Vorbereitung, Tests

Zusätzlich zu den tradierten Abläufen für 35-mm-Filme hat die Berlinale für die digitalen Kopien eigene Workflows für Kontrolle und Vorbereitung von DCPs und Videoquellen entwickelt. So können Probleme bei den digitalen Kopien erkannt und frühzeitig beseitigt werden. Der Testablauf wurde vereinheitlicht und beschleunigt.

Am Beginn der DCP-Kontrolle steht der Check des angelieferten Mediums: Die Berlinale fordert grundsätzlich Festplatten im CHU-Wechselrahmen mit SATA-Schnittstellen an, die zu allen Bearbeitungsstationen und Kinoservern passen. »Nur so können wir sicherstellen, dass wir die Filme schnell genug auf die Server kopieren können«, erklärt Sander diese Entscheidung. USB-Disks, wie sie andere Festivals teilweise akzeptieren, würden die Ingest-Zeiten erheblich verlängern.

Probleme werden durch eine technische Prüfung mit der vom Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen entwickelten Software EasyDCP erkannt. Als Beispiele nennt Ove Sander zu helle oder zu dunkle Master, sowie mehrfache Untertitelungen oder Kopierfehler. Nach der automatisierten Prüfung durch die Software kommt die Sichtung mit einem Dolby-Server und einem Barco-Projektor im eigenen 2K-Kino. »Dort prüfen wir unter Festivalbedingungen, also mit exakt dem Server und der Firmware-Version, die dann auch im laufenden Festival-Betrieb eingesetzt wird.«

Weitere mögliche Problemfelder liegen bei den Key Delivery Messages (KDM), den Freischalt-Schlüsseln der Kopien für die Kinosäle. »Wir bekommen zum Teil falsche Schlüssel — etwa für eine Version mit Untertiteln, obwohl wir den Film ohne Untertitel spielen.« Hinter den bis zu fünf Aufführungen von Wettbewerbsfilmen in vier Spielstätten über drei Tage hinweg, steht allein für die Verwaltung der KDMs einiger Aufwand, der eben proportional mit der Zahl der DCPs gestiegen ist. »Es gibt mehr Problemfälle«, erläutert Ove Sander, »wo wir mit der Produktion Rücksprache halten müssen. Ein Großteil ist eben auch Kommunikation — auch was die KDMs angeht.«

Festival-Logistik

Die Logistik für die DCPs, denen die KDMs auf USB-Sticks beigefügt werden, folgt besonderen Vorgaben: »Unsere Fahrer kommen im Prinzip alle zwei Stunden in die Kinos und tauschen die Festplatten aus. Der Vorführer hat also ein Zeitfenster von zwei Stunden, um den nächsten Film einzuspielen.« Vor allem in den Multiplex-Kinos mit mehreren Sälen kommen dafür die Library-Server zum Einsatz, auf denen DCPs für bis zu drei Programmtage vorgehalten werden.

Sollte dennoch ein Notfall eintreten, steht ein Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts bereit, um (mit Genehmigung des Rechteinhabers) ein Re-Packaging der DCPs durchzuführen. So, erläutert Sander, kann eine Vorstellung unter Umständen noch gerettet werden, ohne zeitaufwändig eine neue Festplatte — in der Regel aus dem Ausland — anfordern zu müssen.

Die einzelnen Spielstätten sind zwar auch per Glasfasernetz angebunden, DCPs kommen aber in der Regel auf Festplatten in die Kinos: Der Aufwand für die Überspielung auf einen zentralen Speicher und die anschließende Überspielung ins Kino wäre zu hoch. Anders im Videobereich, hier kommen beide Verteilwege zum Tragen.

Videos in HDTV im MXF-Container

Eigene Workflows erfordern die etwa 1.100 Vorführungen, für die Videos in unterschiedlichsten Datenformaten und Auflösungen vorliegen. Das Spektrum der eingereichten Trägermedien reicht hier vom HDCAM-Bändern bis zu Mini-DV-Kassetten und Blu-ray Discs. Diese Festivalbeiträge werden zunächst auf einen zentralen Speicher gespielt und dann per Festplatte oder Glasfaserverbindung an die Kinos verteilt.

»Nach der Prüfung von Format und Ton auf Übereinstimmung mit der Filmanmeldung, werden diese Filme als MPEG-2 im MXF-Container im Raster 1.920 x 1.080 kodiert und verschlüsselt. Dazu nutzen wir eine Software, die wir zusammen mit der Firma Nanocosmos entwickelt haben. In den letzten Tagen vor der Berlinale laufen dafür vier Maschinen Tag und Nacht«, erläutert Ove Sander. Der Ingest dieser Filmdaten erfolgt direkt auf das Speichersystem DDP des niederländischen Herstellers Ardis mit 64 Festplatten, das die Berliner Firma Media Logic zur Verfügung stellt. »Das ist ein System aus der Postproduktion, ein großes Storage-System mit etwa 28 Terabyte und mit sehr hoher Performance. Es bedient im Videobereich sowohl die Server über Glasfaser, als auch das Ausspielen auf Festplatten.«

Die genauen Abläufe bei der Verteilung von Video-Festivalbeiträgen führt Ove Sander aus: »Im Videobereich stellen wir für jeden Kinosaal eine Festplatte mit den Filmen für den nächsten Tag zusammen. Die Daten werden einmal am Tag ausgeliefert und vom Vorführer auf den festival-eigenen Videoserver im Kino gespielt. Bei der Vorführung werden die Videos dann von unseren eigenen Videoservern via HD-SDI an die Projektoren ausgespielt.« Die Berlinale hat vor zwei Jahren zu diesem Zwewck 30 eigene Server für die Kinos und die Filmverwaltung angeschafft und diesen Serverpark später noch erweitert. Auch hier reduziert Standardisierung die Probleme und hilft den Vorführern. »Wir wollen verhindern, dass der Projektor jedes Mal neu eingerichtet werden muss. Die Projektionisten bekommen einheitliche Daten und die Information, wie sie den Cache zu fahren haben. Dadurch sind Probleme mit falschen Formaten deutlich zurückgegangen.«

Die Vielfalt der Formate, die das Berlinale-Publikum zumindest nicht als störend wahrnehmen soll, wirkt sich übrigens auch auf den Festival-Trailer aus, der vor jeder Aufführung gespielt wird. Der von Uli M. Schueppel konzipierte Trailer wurde vom Berlinale-Unterstützer Arri in 45 digitalen und analogen Formatversionen ausgespielt.

In Zusammenarbeit mit dem Netzbetreiber Colt konnten zudem 20 von der Berlinale bespielte Säle über eine 12 Gbps-Datenleitung an den zentralen Filmverwaltungs-Server angebunden werden. Je nach Größe der Spielstätten stehen für die einzelnen Verbindungen zwischen 1 und 3 Gbps zur Verfügung — bei Spielstätten wie dem Cinestar mit acht Leinwänden wird mit der höchsten Bandbreite übertragen. Die an den Zentralspeicher angeschlossenen Server in den Kinos werden vom Filmlager aus überwacht. Nur von dort aus werden die Videos für den Programmwechsel aufgespielt und nach dem Einsatz wieder gelöscht.

Hightech-Projektion macht 14 Spielstätten zu Berlinale-Kinos

Vor einigen Jahren hatte das Festival seine damals noch wenigen Digitalkinos für die Festivaldauer mit HD-Projektoren für die Videoprojektion ausstatten müssen. »Jetzt sind mehr und mehr Kinos ohnehin schon mit D-Cinema-Projektoren ausgestattet und der Aufwand für temporäre Installationen ist insgesamt gesunken«, bilanziert Ove Sanders. Server werden zwar in den Spielstätten immer noch als temporäre Technik vor Ort installiert, aber für Projektoren trifft das weniger häufig zu. Weil aber die Berlinale auch Spielstätten nutzt, die nicht per se als moderne Kinos ausgestattet sind, werden auch in diesem Jahr an einigen Orten Projektoren nur für die Dauer des Festivals installiert. Das betrifft etwa die großen Säle des Berlinale-Palastes, des Friedrichstadt-Palastes und der erstmals genutzten, neuen Spielstätte im Haus der Berliner Festspiele. Hier unterstützen Barco und Kinoton die Berlinale. Für die größeren Leinwände kommen 4K-Projektoren von Barco (DP4K-23B, DP4K-32B) zum Einsatz, in kleineren Sälen 2K-Geräte (DP2K-19B, DP2K-12C). Kinoton hilft der Berlinale unter anderem mit drei Projektoren des Typs DCP30SX.

Sander sieht die Festivaltechnik insgesamt »in einer Übergangszeit, bei der temporäre Installationen in die Kinos gebracht werden müssen. Das wird aber nicht von Dauer sein, der Aufwand wird wieder sinken.«

Empfehlungen der Redaktion:

01.02.2012 – Media Logic ist Kooperationspartner der Berlinale 2012
03.02.2012 – Kinoton ist offizieller Supplier der Berlinale