Perspektiven für die Postproduktion
In den vergangenen Jahren trieben die raschen Entwicklungen in der Postproduktion die ganze Branche an: Die meisten Impulse und Innovationen kamen aus diesem am weitesten von der IT durchdrungenen Marktbereich. Phasenweise sahen sich etwa die Camcorder-Hersteller gar genötigt, die passenden, von der Postproduction vorgegebenen Formate und Codecs zu integrieren, anstatt wie früher selbst die Vorgaben zu machen, nach denen sich die Postproduction-Hersteller richten und denen sie hin und wieder sogar hinterher hecheln mussten.
Nun kippt das Ganze mal wieder und zwar aus einem Grund, der die Anbieterseite insgesamt wenig erquickt: Die Software-Lösungen im Postproduction-Sektor sind mittlerweile zu großen Teilen in einem Preisbereich angekommen, in dem die Hersteller und Händler nur noch wenig Spaß empfinden. Lohnt es sich da noch, ein großes Entwicklerteam zu beschäftigen, das Innovationen für eine kaum mehr wachsende Branche auf die Schiene setzt? In einem Bereich, den manche sogar schon als ziemlich ausentwickelt betrachten?
So wie sich heute kaum noch ein paar junge Wilde daran machen werden, die Tabellenkalkulation oder ein Schreibprogramm neu zu erfinden, sieht es im Grunde auch im professionellen Editing-Bereich aus. Vielleicht ist das auch der eigentliche Grund dafür, was Apple aus Final Cut Pro gemacht hat: »Final Cut Consumer« nämlich, ein Schnittprogramm für jedermann, der — um es überspitzt zu sagen — nicht mit jahrelanger Schnitterfahrung belastet ist. Wachstum in den Massenmarkt nach dem Motto: Every home should have one.
Wenn Systeme, die noch vor Jahren für Beträge im sechsstelligen Euro-Bereich den Besitzer wechselten, mittlerweile für lau angeboten werden, bleibt eben auch nicht mehr viel übrig für die weitere Entwicklung von Softwares — zumindest nicht als Firmenzweck, also mit dem Ziel, direkt von den Verkaufserlösen der Software zu leben.
Und so waren es in diesem Jahr auch weniger die Produktneuerungen, als vielmehr die Nachrichten von neuen Firmenübernahmen und -ausrichtungen, die während der IBC den Postproduktionsmarkt dominierten.
So verkündete Adobe, dass man Technologien und Assets des Color-Grading- und Dailies-Spezialisten Iridas erworben habe. Defacto hat Adobe Iridas geschluckt: Alle Mitarbeiter wurden von Adobe angestellt, auch die Firmenköpfe Patrick Palmer und Lin Sebastian Kayser. Den dürren Worten der Adobe-Pressemitteilung ist zu entnehmen, dass die Technologien in zukünftige Versionen der Adobe-Komplettpakete übernommen werden sollen. Zu einem Gespräch über dieses Thema war während der IBC auf Adobe-Seite niemand bereit. Die Besitzer von Iridas-Systemen werden noch eine Weile Support erhalten — und wie es dann weitergeht, wird man sehen. Vielleicht wollte Adobe letztlich nur die Raw-Technologien von Iridas haben, vielleicht bleibt mehr von Iridas übrig.
Eines aber ist sicher: Adobe war in den vergangenen Monaten sehr aktiv im professionellen Markt unterwegs und konnte Apples Abkehr vom Profimarkt gut nutzen, um Nutzer zu bekehren. Mit attraktiven Crossgrades überzeugte Adobe selbst viele hartnäckige Premiere-Pro-Skeptiker, das Lager zu wechseln. Auch Avid hat nun sein ehemals zeitlich begrenztes Crossgrade verlängert und will jetzt dauerhaft Final-Cut-Crossgrades anbieten: wenn einer dem Markt den Rücken zukehrt, stehen die anderen eben schon bereit.
Apple selbst spricht freilich nicht von einer Abkehr vom Profi-Videomarkt – inoffiziell natürlich und nur im Briefing mit von Geheimhaltungsklauseln geknebelten Partnern, denn Offenheit und Dialog schätzt man bei Apple trotz allem »Mach es anders«-Gehabe nicht und vertritt intern offenbar auch die Auffassung, dass man beides nicht nötig habe. Den Endkunden knallt man einfach eine halbfertige, inkompatible Neuversion von Final Cut hin, die man als ultimative Revolution des Editings anpreist – und als Gnadenakt lässt man dann doch den telefonischen Verkauf der alten Version wieder anlaufen.
Weil aber niemand gern so deutlich auf die eigene Bedeutungslosigkeit hingewiesen wird, hat Apple damit viel Porzellan zerschlagen. Noch wollen es zwar viele der einst gehätschelten Videoprofis nicht wahrhaben, dass Apple sie zugunsten anderer, profitablerer Märkte ausgemustert hat. Wie an Strohhalme klammern sie sich an die Hoffnung, dass alles wieder gut werde, wenn erstmal die fehlenden FCP-Features kommen. Aber tief in ihrem Inneren hat etwas einen Riss bekommen: das Vertrauen. Wie wichtig das besonders im Profi-Markt ist, musste auch Sony schon mal bitter lernen, wo man ebenfalls phasenweise den Kontakt zum Markt fast komplett verloren hatte und in eigenen Sphären schwebte. Bleibt zu hoffen, das nicht jede Generation erneut diesen Fehler machen muss.
Vertrauen unterliegt nun mal einem asymmetrischen Prozess: Es wächst ganz langsam und ist im Handumdrehen zerstört. Aber vielleicht schwebt den Marketingexperten der modernen Schule auch gar kein partnerschaftlicher, vertrauensvoller Umgang mit den Kunden mehr vor, sondern eher das Verhältnis eines Drogenhändlers zu einem Drogenabhängigen.
Sie werden sehen.