Color Grading: Darf’s ein bisschen mehr sein?
Vor gut zehn Jahren kamen die ersten software-basierten Farbkorrektursysteme auf den Markt. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Color-Grading-Markt relativ klein und bestimmt von sehr teuren Hardware-Systemen: Auf der Anbieterseite dominierten DaVinci und Pandora den Markt, Digital Vision mischte beim Mastering mit. Auf der Anwenderseite kümmerte sich eine handverlesene Anzahl von »Lichtbestimmern« und Coloristen darum, das zu schaffen, was heute als »Look« einer Produktion umschrieben wird: Farben angleichen, Stimmungen erzeugen und verstärken, aber das Material auch technisch aufpolieren und etwa in puncto Kontrast optimieren.
Heutzutage wird Grading-Software verschleudert und über die Jahre wurden die Umwälzungen in diesem Bereich nicht nur für fleißige Kinogänger, sondern auch für die Fernsehzuschauer sichtbar: Mittlerweile ermitteln diverse Kommissare in graublau-düsteren oder entsättigten Filmen, während die Christine Neubauers der Fernsehwelt wahlweise in bonbon-artigen Alpenszenerien, in orange-getünchten Townhouses oder exotischen Settings um ihre Männer, Kinder, Hundewelpen, die Liebe ihres Lebens oder ihr Firmenimperium kämpfen.
Kurzum: Ohne intensives Color Grading geht heute gar nichts mehr. War der Bedarf dafür vorhanden und wartete die Branche nur auf die preisgünstigen Systeme? Oder wird nun eben alles intensiv bearbeitet, weil die Technik dafür fast nichts mehr kostet? Diese Frage ist kaum zu klären, aber wie es zu der aktuellen Marktsituation auf der Anbieterseite kam, das lässt sich nachvollziehen und es könnte sich als exemplarisch erweisen — auch für andere Bereiche der Bildtechnik, die sich in Richtung Software bewegen.
Mit der fortschreitenden Digitalisierung des Filmbereichs und der Verlagerung der Postproduction in Richtung Software änderte sich der Color-Grading-Markt, das Thema wurde sozusagen aus der Hochspezialisten-Ecke gezerrt. Alias/Wavefront, Softimage, Parallax und Discreet waren Firmen, die hier schon früh Impulse setzten — vor mehr als zehn Jahren. Die Wurzeln reichen bis in die Zeit zurück, als Avid SGI-basierte Systeme wie Media Spectrum und Media Illusion entwickelt hatte und als bei Sony das High-End System Socratto am einen Ende und — mit der Übernahme von Sonic Foundry — Vegas am anderen Ende die Palette bereichern sollten. Snell & Wilcox kaufte damals Post Impressions und deren Grading-Produkt Piccaso. Quantel intensivierte seine Aktivitäten in diesem Bereich mit QColor und später mit Pablo. Und es kamen in dieser Marktsituation auch weitere Player in den Vordergrund: etwa 5D, Filmlight, Nucoda, Piranha, Assimilate und Iridas — nicht alle davon haben bis heute überlebt.
Als tiefsten Einschnitt beim Wechsel von der Hard- zur Software im Grading-Bereich, kann man vielleicht die Phase herausgreifen, in der Autodesk — seit der Übernahme von Discreet in der High-End-Post aktiv — ab 2003 bis 2005 schrittweise die Technologien der ungarischen Software-Firma Colorfront übernahm und mit deren Assets dann das aus der Übernahme des Colossus-Systems von 5D gewachsene Color-Grading-System Lustre erweiterte. Zeitweise war auch Apple an diesem Markt interessiert, kaufte 2006 mit FinalTouch von Silicon Color die Wurzel des Apple-Produkts Color zu.
Dass der Markt sich schließlich komplett drehte, kann man an zwei weiteren Übernahmen zeigen: 2005 kaufte noch der alt eingesessene Hardware-Spezialist Digital Vison den aufstrebenden Software-Anbieter Nucoda. 2009 schließlich kaufte die PC-getriebene, rasch wachsende Blackmagic Design den alteingesessenen Grading-Anbieter DaVinci.
Im Bereich Color-Grading hat sich letztlich die gleiche Entwicklung vollzogen, die man einige Jahre zuvor schon im nonlinearen Editing beobachten konnte: Je erfolgreicher die software-basierten Grading-Systeme im Markt wurden, desto weniger Anbieter konnten sich defacto etablieren und halten — der Shake-Out, die Konsolidierung setzte ein. Wie passt das zusammen? Wie immer bei solchen Entwicklungen spielt der Preis eine entscheidende Rolle: am Anfang wechselten selbst die software-basierten Grading-Systeme noch zu Preisen um 200.000 Euro den Besitzer — und heute sind wir soweit, dass Blackmagic/DaVinci ab Juni 2011 die Color-Grading-Software Resolve Lite verschenken wird. Und auch ein Lustre-System kostet heute keine 200.000 Euro mehr.
Für die Kunden ist das auf den ersten Blick eine feine Sache: Sie erhalten für wenig Geld viel Leistung. Sie müssen aber auch damit klarkommen, dass es bei diesen Preisen so etwas wie Service und Support entweder gar nicht mehr gibt — oder eben kostenpflichtig. Hier kommt ein Lernprozess in Gang.
Die Editing-Software Lightworks gibt es gratis. Das Grading-System Resolve Lite ebenfalls. Wird das so weitergehen und wird Software nun immer stärker zum Mittel, um PC-Boards, I/O-Lösungen und Speichersysteme zu verkaufen? Zumindest eine Entwicklung, die man beobachten muss.
Was bedeutet diese Entwicklung aber für die Anwenderseite der Branche? Wenn es praktisch keine technischen Limits mehr gibt und alle Systeme prinzipiell alles können, dann rücken wieder andere Aspekte in den Vordergrund: Die Geschwindigkeit des Gesamtsystems, aber auch die Effektivität, das Knowhow, die Expertise und die Kreativität des Operators/Anwenders/Artists, der vor dem Rechner sitzt.
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