Koppfilm insolvent, Verbindung zu Kika-Betrugsverdacht
Über einen möglichen Betrugsfall beim von ARD und ZDF gemeinsam betriebenen Kinderkanal Kika berichteten in den vergangenen Wochen verschiedene Publikumsmedien. Dass dabei ein Zusammenhang zum derzeit im Insolvenzverfahren befindlichen Berliner Produktionshaus Koppfilm besteht, bestätigte nun die als Insolvenzverwalter tätige Berliner Kanzlei Leonhardt – Westhelle & Partner.
Der suspendierte und nach Medienberichten inzwischen inhaftierte, führende Kika-Mitarbeiter Marco K. soll den gemeinsam von ARD und ZDF unter Federführung des MDR betriebenen Kika um mehrere Millionen Euro betrogen haben. Der Herstellungsleiter soll hierfür »Luftrechnungen« über in Wahrheit niemals erbrachte Dienstleistungen aus der Senderkasse an eine senderunabhängige Firma bezahlt und dafür im Gegenzug einen Teil der Rechnungsbeträge als Kickback-Zahlungen privat wieder erhalten haben.
Der Gegenpart dieser Vorgänge, der in den meisten Medienberichten als »Berliner GmbH« umschrieben wird, ist die Koppfilm GmbH, die sich derzeit im Insolvenzverfahren befindet. Das bestätigte auf Anfrage die Berliner Kanzlei Leonhardt-Westhelle & Partner, die als Insolvenzverwalter von Koppfilm agiert.
Die nun laufenden Ermittlungen kamen durch die Selbstanzeige von Fabian B. ins Rollen, einem der Geschäftsführer der Koppfilm GmbH. Die Staatsanwaltschaft Erfurt wirft nach eigenen Angaben auf der Basis dieser Selbstanzeige und eigener Ermittlungen, dem 43-Jährigen Marco K. vor, möglicherweise bis zu 72 Rechnungen der Koppfilm GmbH über verschiedene, erfundene Dienstleistungen im Gesamtwert von rund vier Millionen Euro über den Sender abgerechnet zu haben.
Schaden für den Kika könnte größer sein als vermutet
In den meisten News zu diesem Vorfall werden vier Millionen Euro als Volumen des mutmaßlichen Betrugs genannt. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins Spiegel »ist der Skandal aber offenbar größer als zunächst bekannt: Das Geschäft mit fingierten Rechnungen könnte schon länger gelaufen sein.«
Bei den genannten vier Millionen Euro handelt es sich demnach nur um das Volumen seit 2005, also aus dem Zeitraum, der noch strafrechtlich relevant sein könnte. Es ist aber durchaus möglich, dass ungesetzliche Handlungen nach dem gleichen Strickmuster auch schon vor 2005 stattfanden. Außerdem könnte der Herstellungsleiter auch noch ähnliche Vereinbarungen mit anderen Firmen unterhalten haben.
Skandal mit Ansage
»Der MDR ist natürlich sehr daran interessiert, die Sachverhalte schnell und in vollem Umfang aufzuklären. Dafür werden wir alles Notwendige von unserer Seite dazu beitragen. Zunächst müssen aber auch wir die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft abwarten. Wir unterstützen auch weiterhin aktiv die Arbeit der Ermittlungsbehörden«, zitieren verschiedene Medien den MDR-Unternehmenssprecher Dirk Thärichen.
Das Interesse des MDR an der intensiven Aufklärung hat etwas auf sich warten lassen: Laut Spiegel warnte das ZDF »bereits 2008 eindringlich vor den Zuständen beim Kika«, was aber letztlich ohne Konsequenzen blieb.
Der MDR hatte später dann — aufgrund eines anonymen Hinweises — als federführende Anstalt des Kinderkanals im Jahr 2009 intern zur Zusammenarbeit des Herstellungsleiters und stellvertretenden Programmgeschäftsführers Marco K. mit Koppfilm recherchiert, jedoch nichts gefunden, was zu beanstanden gewesen wäre. Auch eine Buchprüfung durch den Rechnungshof für 1997 bis 2004 hatte nicht zu Beanstandungen geführt.
Selbstanzeige führt zu Ermittlungen
Offenkundig und zur Sache staatsanwaltlicher Ermittlungen wurden die Vorgänge also erst, nachdem Fabian B. sich im Oktober 2010 durch eine Selbstanzeige offenbarte. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft Erfurt zum Vorwurf des gewerbsmäßigen Betrugs und der gewerbsmäßigen Untreue.
Noch ist unklar, welche der in den 72 fraglichen Rechnungen aufgeführten Leistungen Koppfilm tatsächlich als Dienstleister und Auftragsproduzent für den Sender erbracht hat und bei welchen Rechnungsposten es sich um »Luftnummern« handelt. Dass Koppfilm auch regulär für Kika tätig war, ist indes unstrittig: Das Unternehmen war mit Equipment und Dienstleistungen an Produktionen für den Kika beteiligt. Von den darüber hinaus mit unbegründeten Rechnungen ergaunerten Beträgen seien zunächst 50, später 60 % an K. ausgezahlt worden, der damit nach Medienberichten seine Spielsucht gestillt haben soll.
Die Staatsanwaltschaft prüft nun alle Zahlungen seit dem 1. Dezember 2005 — ältere Fälle sind verjährt, deren Existenz ist aber laut Spiegel-Recherchen eben sehr wahrscheinlich. MDR-intern sollen nun auch Vorgänge aus der Zeit vor 2005 erneut untersucht werden.
Die Kontrolle beim Kinderkanal ist offenkundig dadurch erschwert, dass redaktionelle und finanzielle Verantwortung auf mehrere ARD-Anstalten und das ZDF verteilt sind. So verfügen Mitarbeiter des Kinderkanals selbst nur über etwa 48,4 Millionen Euro des jährlichen Gesamtbudgets von 85,7 Millionen Euro. Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass davon — trotz wiederholter Hinweise von außen — innerhalb von fünf Jahren vier Millionen Euro beiseite geschafft werden konnten, ohne dass dem irgendwelche Leistungen entgegenstanden, dann handelt es sich um einen mehr als fahrlässigen Umgang mit Gebührengeld.
Mängel im System sollen nun abgestellt werden
Zumindest theoretische Sicherheitsvorkehrungen gab es auch bisher schon: Beim Kika müssten nach dem Vieraugenprinzip Rechnungen stets von zwei Mitarbeitern abgezeichnet werden. Warum das in der Praxis nichts brachte, erläutert der MDR so: »Das (zeichnungsberechtigte} Personal war jedoch auch der Herstellungsleitung zugeordnet und damit hierarchisch dem Herstellungsleiter unterstellt. Auf diese Weise wurde das Vier-Augenprinzip bei der Anweisung von Zahlungen formal eingehalten, aber letztlich unterlaufen.«
Der Herstellungsleiter hatte demnach als »zweiter Mann« im Kika eine Zahlungsanweisungsberechtigung bis zu 500.000 Euro — gleichrangig mit seinem Vorgesetzten, dem Programmgeschäftsführer. »Dadurch war es möglich, auch Zahlungen über 50.000 Euro trotz formaler Einhaltung des vorgeschriebenen Mehraugenprinzips innerhalb der Herstellungsleitung des Kika auszulösen, ohne zum Beispiel den Kika-Programmgeschäftsführer einzubeziehen«, heißt es in der Pressemitteilung dazu.
Der MDR teilte in seiner jüngsten Pressemitteilung zu diesem Thema weiter mit: »Nach dem Bekanntwerden des Verdachts auf Betrug und Untreue eines Mitarbeiters hat der Kika (…) als Sofortmaßnahme die bestehenden Zeichnungsberechtigungen verändert. Ziel ist die strikte Trennung von Beauftragung und Abrechnung von Leistungen.« (…) »Damit werden wir nicht nur ein formales, sondern auch ein wirksames Vieraugenprinzip durchsetzen«, erklärt Kika-Programmgeschäftsführer Steffen Kottkamp.
Koppfilm-Insolvenz
Neben der 1990 gegründeten, innovativen Filmproduktion Koppfilm, die keineswegs nur eine Briefkastenfirma war, die fingierte Rechnungen ausstellte, sondern die ganz im Gegenteil auch zahlreiche ambitionierte, anspruchsvolle Filmprojekte realisierte, wurde auch für die mit ihr verbundenen Firmen Koppmedia in Halle und die Koppfilm Produktion Insolvenz angemeldet.
Mit Dienstleistungen und/oder als Koproduzent waren diese Unternehmen auch an zahlreichen Kinofilmen beteiligt. Dazu zählen etwa der Single-Shot-Movie »Russian Ark« von Alexander Sokurov und Julie Delpys »2 Tage in Paris«. Die Koppfilm-Unternehmen hatten auch zahlreiche Projekte junger deutscher Filmemacher sowie Hochschulfilme unterstützt. Für Kika war Koppfilm unter anderem an der Produktion der nach Senderangaben erfolgreichsten Eigenproduktion des Kika beteiligt, der Serie »Beutolomäus und der Weihnachtsmann«.
Die Insolvenzmasse von Koppfilm, die im wesentlichen die Produktions- und Postproduktionstechnik des Unternehmens umfasst, wurde nach Angaben der Insolvenzverwaltung inzwischen von einem Berliner Wettbewerber angekauft. Branchengerüchten zufolge handelt es sich dabei um Cine+.
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