Broadcast, Site-Report, Top-Story: 20.10.2010

Deutsche Welle: Mobiles Editing bei DW-TV

DW-TV, der TV-Sender der Deutschen Welle mit Sitz in Berlin, betreibt ein modernes Schnittmobil, dessen Herzstück ein Avid-Unity-System mit Interplay und drei Media Composern bildet.

Die Deutsche Welle hat ein neues Schnittmobil in Betrieb genommen. Das Fahrzeug wurde zunächst europaweit ausgeschrieben und dann vom Kieler Spezialfahrzeuganbieter Car+Camper als Generalunternehmer zusammen mit den Videospezialisten von Video Data aus Hamburg realisiert. Basis des Fahrzeugs ist ein Mercedes Sprinter 515 CDI.

Gunnar Wichern, der auf Seiten von DW-TV das Fahrzeug gemeinsam mit seinen Kollegen Steffen Kosul und Peter Burkert konzipiert und den Bau betreut hat, berichtet: »Wir hatten zuvor weder mit Car+Camper noch mit Video Data zusammengearbeitet, die Ausschreibung bescherte uns also zwei völlig neue Partner, mit denen wir dann das Projekt realisierten — und mit dem Ergebnis der Zusammenarbeit sind wir heute sehr zufrieden.«

Video Data ist in der Branche unter anderem durch umfangreiches Avid-Knowhow bekannt, aber mit dem Bau eines Schnittmobils betrat das Unternehmen Neuland, so der dortige Teamleiter Frank Quade: »Wir nahmen die Herausforderung an, ein nonlineares Schnittmobil mit Video­technik auszustatten. Die Zusammenarbeit mit dem Team der Deutschen Welle gestaltete sich dabei sehr dynamisch, denn das ursprüngliche Konzept des Fahrzeugs wurde im Verlauf der Umsetzung weiter optimiert und wir konnten letztlich innerhalb des gleichen Kostenrahmens mehr Funktionalität realisieren.«

Grundlegendes Konzept

Das Schnittmobil ist für das bandlose Bearbeiten und Ausspielen von Videomaterial konzipiert, es hat keine Live-Kameras an Bord und besitzt auch keine Sendeantenne: Es handelt sich also um ein reines Schnittmobil. Im Heck ist die Technik untergebracht, die Lärm und Hitze verursacht und nicht im direkten, manuellen Zugriff benötigt wird. Durch eine Zwischenwand räumlich und akustisch davon getrennt: der eigentliche Schnittraum. Dieser wiederum ist vom Fahrerhaus durch einen Vorhang separiert. Das Fahrzeug benötigt eine externe Stromversorgung und ist mit zwei getrennten Stromkreisen ausgeführt, einem für die Klimatechnik und einem für die Videotechnik.

Das Video — mit Off-Kommentar von Gunnar Wichern, Steffen Kosul und Peter Burkert — zeigt die Technikeinbauten des Schnittmobils von DW-TV. Das Fahrzeug wurde von Car+Camper in Zusammenarbeit mit Video Data realisiert.

Videotechnik

Innerhalb des Schnittmobils stellt SDI-Video mit Embedded Audio das Standardsignal dar. Derzeit wird noch überwiegend in SD (DVCodec mit 25 Mbps) gearbeitet, die Umstellung auf IMX mit 50 Mbps erfolgt in Kürze – sobald dieser Schritt bei DW-TV insgesamt vollzogen wird. Das Fahrzeug ist aber schon jetzt voll HD-tauglich.

Zentrales Element der Videotechnik an Bord des Schnittmobils ist ein Video- und Audiospeicher des Typs Unity von Avid mit 8 TB Speicherkapazität in Form von 16 Festplatten à 500 GB. Material kann im wesentlichen auf zwei Wegen auf dieses Speichersystem gespielt werden: Über die Schnittstellen am Heck des Fahrzeugs oder über diverse Maz-Zuspieler im Inneren des Mobils. Die auf dem Dach montierte Satellitenschüssel dient nur dem Empfang von TV-Programmen.

Ein Viper-II-System von Telecast erlaubt es, über Strecken von bis zu 300 m vier Signale (2 x In, 2 x Out) gleichzeitig verlustfrei per Glasfaser ans Fahrzeug heran oder davon weg zu führen. Die passende Glasfaserleitung ist auf einer Kabeltrommel im Heck an Bord. Für kürzere Strecken können SDI-Signale per BNC-Kabel verteilt werden (2 x In, 3 x Out). Außerdem in die Heck-Anschlussbox integriert: ein Telefon/DSL-Anschluss.

Zusätzlich im Heck untergebracht: Ein 19-Zoll-Rack mit eigener Klimatisierung, in dem die gesamte Avid-Hardware, MediaNet 5.0, die HP-Rechner, die Kreuzschiene (Panacea von Harris) und ein USV-System montiert sind. Das Heck bietet zudem noch Stauraum für Kabel und Kleinteile, zudem ist hier auch ein Camcorder (PDW-700 von Sony) untergebracht, der es dem Editing-Team in Ausnahmesituationen auch erlaubt, eigene Aufnahmen zu machen.

Drei Media Composer sind in das Schnittmobil eingebaut, von denen zwei dazu dienen, ankommende Signale aufzuzeichnen oder auszuspielen und der dritte als Produktionssystem für den Schnitt genutzt wird. Alle sind als vollwertige Editing-Systeme ausgeführt, so dass selbst beim Komplettausfall eines Systems immer noch weitergearbeitet werden kann – wenn auch mit auf einen Ingest-Kanal reduzierter Funktionalität.

Steffen Kosul, Gruppenleiter Schnitt, war eine möglichst optimale Ausnutzung des Raums und eine angenehme Raumsituation im neuen Schnittmobil besonders wichtig: »Gerade in stressigen Situationen macht es einen großen Unterschied, ob man in sehr beengter, womöglich noch heißer und lauter Umgebung arbeiten muss, oder in einem einigermaßen angenehmen Umfeld«, so Kosul.

Auch im Schnittraum selbst ist deshalb ein ganz klares, aufgeräumtes Konzept umgesetzt: Links vom Schnittplatz befindet sich ein Rack, in dem alle Zuspielgeräte, USB– und Firewire-Patchfelder, sowie das Kreuzschienenbedienteil untergebracht sind. Die Rückseite der Geräte ist nach Abnahme einer Blende vom Heck aus rasch und einfach zugänglich – ein großes Plus für Wartung und Reparatur.

In Längsrichtung des Transporters ist ein Tisch eingebaut, der zwei vollwertige Arbeitsplätze bietet, an dem kurzzeitig aber auch drei Personen Platz finden. Hier befinden sich Bildschirme, Kontrollinstrumente und der Audiomischer (Jünger) für den Editor, sowie ein Redakteursarbeitsplatz, an dem Recherche- und Textarbeiten durchgeführt werden können.

An Zuspielgeräten stehen ein HDV-Recorder des Typs HVR-M35, ein XDCAM-Laufwerk PDW-U1 und eine Digi-Beta-Maschine DVWM-2000P von Sony bereit, sowie ein P2-Laufwerk des Typs AJ-PCD20 von Panasonic. »Damit können wir letztlich alle gängigen Band- und Speicherformate abdecken«, so Peter Burkert, der Mitarbeiter im Technik-Support von DW-TV ist. Sollte eine der eingebauten Mazen ausfallen, oder ein anderes Format nötig sein, kann auch problemlos über ein vorkonfektioniertes Kabel eine externe Maz an die eingebaute Kreuzschiene angeschlossen werden.

Dank der Avid-Unity-Installation in Verbindung mit dem Medienmanagement Interplay ist es möglich, das vorhandene Material zu bearbeiten, während der Ingest von bis zu zwei Signalen im Hintergrund weiterläuft (Edit while Ingest). Das war für DW-TV eine wichtige Anforderung an das Fahrzeug. Zum Zeitpunkt der Ausschreibung gab diese Anforderung letztlich auch den Ausschlag dafür, in Avid-Komponenten zu investieren: Kein anderes, verfügbares System konnte diese Anforderung erfüllen. Gunnar Wichern ergänzt einen weiteren Aspekt: »Wir nutzen intern im Haus seit vielen Jahren Avid-Sys­teme für den Schnitt. Wir sind damit sehr zufrieden und haben das Personal im Haus, das auf diesen Systemen eingearbeitet ist. Daher wollten wir auch beim Schnittmobil in dieser Produktwelt bleiben.«

Für den Schnitt sind zwei Computerschirme und ein Videomonitor vorhanden. Links von der Tastatur ist das Jünger-Mischpult eingebaut. Rund um den Schnittplatz gibt es Ablagefläche für Kassetten, Speicherkarten und Notizen. »Das war uns wichtig«, berichtet Steffen Kosul, »denn meist gibt es in den Schnittmobilen viel zu wenig Ablagefläche.«

Rechts neben dem Editor schließt sich der Arbeitsplatz für den Redakteur an: Hier kann ein Headset mit Kopfhörer und Mikrofon für die Nachvertonung angeschlossen werden. Auf dem Video-Monitor kann der Redakteur den Beitrag sehen, den er kommentieren will und über ein Plug-In des Media Composers lässt sich der Timecode einblenden. Für die Pegelkontrolle steht ein RTW-Peakmeter zur Verfügung. Die ankommenden und abgehenden Bildsignale wiederum lassen sich über einen Splitscreen-Monitor von TV Logic überwachen, der seine Signale von der Harris-Kreuzschiene erhält. »Für die Signalkontrolle haben wir den Tektronix WFM 5000 eingebaut«, ergänzt Peter Burkert.

Fertige Beiträge kann das Schnittmobil über die Schnittstellen im Heck ausgeben, auf Karten oder Bänder ausspielen oder als Datei per DSL absetzen.

Havariekonzept

Ohne externen Strom läuft im DW-TV-Schnittmobil gar nichts. Bei einer Unterbrechung dieser Stromversorgung wird die Videotechnik von einer eingebauten USV für weitere fünf Minuten mit Spannung versorgt, um speichern und die Systeme kontrolliert herunterfahren zu können.

Sollten einzelne Technikkomponenten im Fahrzeug versagen, sorgen laut Steffen Kosul umfassende Havariekonzepte dafür, dass in aller Regel ein Notbetrieb aufrecht erhalten werden kann: »Beim Einsatz vor Ort kann schließlich immer etwas passieren. Dass es immer wieder mal Probleme gibt, ist ganz normal. Uns war es wichtig, dass wir ein Konzept haben, mit dem wir möglichst viele Probleme abfangen können.«
Sollte das Schnittsystem ausfallen, so lässt sich eines der beiden Ingest-Systeme für den Schnitt nutzen. Dazu müssen lediglich Maus, Tastatur und zwei DVI-Leitungen umkonfiguriert werden. Die Ingest-Station greift dann auf den im Speicher abgelegten Content zu und über die eingebaute Harris-Panacea-Kreuzschiene (16×16) werden die Signale von dieser Station geroutet, um sie auszuspielen.

Sollte der zentrale Speicher ausfallen, haben die Planer ebenfalls vorgesorgt: Dann lässt sich neues Material direkt mit dem Schnittplatz aufzeichnen und bearbeiten. Auch hier wird dann mittels Kreuzschiene das entsprechende Signal-Routing vorgenommen.

Sollte schließlich die Kreuzschiene ihren Dienst einstellen, gibt es ebenfalls eine Lösung: Dann können die Signale über ein Steckfeld und Patchkabel verteilt werden.

Klimaanlage

Im Schnittraum ist eine Klimaanlage untergebracht, die den Raum in der warmen Jahreszeit auf unter 25 Grad kühlen kann. Im Heck des Fahrzeugs werden die Ge­räte­schränke durch Außenluft gekühlt, die durch die Gestelle geblasen wird. Bei hohen Außentemperaturen wird ein Teil der Kaltluft der Klimaanlage abgezweigt und ins Rack geleitet, um so die Temperatur in den Gestellen zu reduzieren.

In der Übergangszeit und im Winter wird die warme Abluft der Geräte aus dem Heck dazu genutzt, den Schnittraum zu »beheizen«. So muss die Standheizung nicht ständig laufen und es wird Diesel eingespart. »Zusätzlich haben wir uns den kleinen Luxus einer Fußbodenheizung geleistet«, so Gunnar Wichern, was beim Personal erwartungsgemäß sehr gut ankommt.

Fazit und weitere Pläne

Bei der Deutschen Welle ist man mit dem neuen Fahrzeug sehr zufrieden. Dank der engen Zusammenarbeit des Video-Data-Teams um Frank Quade mit den Planern der Deutschen Welle ist ein Schnittmobil entstanden, in das viele Anforderungen aus der Praxis eingeflossen sind. »Unsere Mitarbeiter bestätigen uns, dass die Arbeitsumgebung in dem Fahrzeug stimmt, auch wenn es natürlich eine Umstellung ist, von einem Maz- auf ein Nonlinear-Fahrzeug umzusteigen« erläutert Gunnar Wichern. Dennoch ist man sich bei der Deutschen Welle sicher, aufs richtige Pferd gesetzt zu haben — und wünscht sich jetzt noch mehr Einsätze für das neue Schnittmobil.

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