Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan
Die Diskussion kocht immer wieder hoch: Haben die großen Messen ausgedient? Lohnt es sich für die Hersteller überhaupt noch, dort auszustellen? Oder kann man sich die enormen Kosten sparen: Rund 170 Millionen US-Dollar geben laut einer Umfrage des Broadcast-Branchenverbands IABM dessen Mitglieder jährlich allein schon für NAB und IBC aus.
Aktuelle Nahrung für die Diskussion liefert Red Digital Cinema: Das Unternehmen wird in diesem Jahr nicht an der NAB teilnehmen. Der Red-Stand war zwar nie so groß wie etwa die von Sony, Panasonic, Thomson Grass Valley, Avid oder Apple — aber Red hat es immer verstanden, aus seinem Messeauftritt eine große Show zu machen. Und wenn nun ausgerechnet so ein Aussteller die NAB aus dem Messekalender kickt, hat das durchaus Signalwirkung für die Branche.
Interessanterweise begründet Red-Eigentümer Jannard den Verzicht auf die NAB damit, dass man aufgrund von »kleineren Lieferproblemen eines Zulieferers, zu viele nicht funktionierende Prototypen bei der NAB hätte zeigen müssen« — was man bei Red für inakzeptabel halte. Viele andere Begründungen hätte man wohl leichter verstehen können — bisher hatte Red nämlich nie erkennbare Hemmungen gezeigt, bei einer Messe in erster Linie Mock-Ups zu zeigen. Statt während der NAB auszustellen, will Red einen eigenen »Red Day« veranstalten, »wenn die Zeit reif dafür ist«. Klingt das irgendwie vertraut?
Auch Apple argumentierte in der Vergangenheit ganz ähnlich und setzte jetzt noch einen drauf: Das Unternehmen habe selbst genügend Kanäle, um seine Marketingbotschaften an den Mann zu bringen, dazu brauche es keine Messe mehr, deshalb streiche man jetzt — nach zahlreichen anderen Messen, darunter auch NAB und IBC — die Macworld aus dem Portfolio. Ein starkes Stück und je nach Sichtweise ein Zeichen von Arroganz oder Selbstbewusstsein: Da trifft sich die Fangemeinde bei einer Messe, die mehr oder weniger ausschließlich einem Hersteller gewidmet ist. Doch plötzlich hat der Gehuldigte keine Lust mehr darauf und teilt seinen Jüngern mit, dass er der Veranstaltung künftig fernbleiben werde. Ist das Größenwahn im fortgeschrittenen Stadium oder sinnvolle Strategie?
Mag sein, dass die Macworld für Apple uninteressant geworden ist: Aber was ist mit den Anwendern und den Entwicklern, mit all den Firmen, die mit Ihren Applikationen und ihren Peripherie-Produkten die Mac-Plattform auch für eine größere Masse einerseits und für spezialisierte Anwendungsfelder andererseits interessant machen? Sie alle brauchen eine Messe, um ihr Zielpublikum ansprechen zu können, denn ihnen fehlen eben die Mittel und die Möglichkeiten, die ein Großer hat. Ob aber eine Macworld ohne Apple als Zugpferd funktioniert, ist offen.
Dieses Problem haben letztlich auch Messen wie die NAB oder die IBC, auch wenn sie nicht in einem vergleichbar extremen Maß von einem Aussteller abhängig sind und bisher schon immer wieder die Abstinenz verschiedener Aussteller erfolgreich überstanden haben.
Bei aller berechtigten Kritik: Es spricht doch einiges für die Messen. Wo sonst hat der Endkunde die Möglichkeit, so viele Firmen und Themen geballt an einem Ort und innerhalb weniger Tage zu sehen? Wenn die großen Hersteller nun jedoch den großen Messen fernbleiben und nur noch Roadshows und ihre eigenen Events ausrichten, steckt der Kunde in der Zwickmühle: Lohnt sich der Messebesuch überhaupt noch? Oder soll er stattdessen lieber eine Roadshow besuchen? Und wenn ja, welche? Denn genau da liegt der Haken: Kaum einer hat heute noch die Zeit, übers Jahr verteilt 10 bis 15 Roadshows und Hausmessen zu besuchen. Deshalb kann das Modell, das etliche Hersteller nun verfolgen, langfristig auch nicht funktionieren, selbst wenn es punktuell Vorteile für Kunden wie auch für Hersteller haben mag.
Eins scheint sicher: Die NAB wird sich in diesem Jahr ohnehin großen Problemen und wohl auch einem drastischen Besucherrückgang stellen müssen, denn wenn’s wirtschaftlich schlecht läuft, schicken amerikanische Medienfirmen erfahrungsgemäß nur wenige Besucher zur Messe. Entsprechend werden die Aussteller weniger Aufwand treiben und weniger Personal schicken — und sowohl im Vorfeld, wie im Nachgang noch kritischer prüfen, ob sich der Aufwand lohnt.
Sie werden sehen.