Produktionstrends: neue Looks, HD statt 16 mm, PL-Mount statt B4
In der Film- und Fernsehproduktion in Deutschland markiert das Jahr 2008 einen klaren Wandel: neue Technologien setzten sich durch, bekannte werden anders eingesetzt und im Ergebnis zeigen sich neue Looks, die in der insgesamt schwächelnden TV-Landschaft Akzente setzen.
»Früher hatten Serien, Soaps, TV-Movies und Kinofilme jeweils einen spezifiischen Look, selbst beim schnellen Durchzappen wusste man immer, was da gerade läuft«, resümiert Martin Abert vom Rental-Unternehmen Cinegate in Berlin: »Heute ist das nicht mehr so, die Looks vermischen sich: Soaps sehen aus wie Serien, Serien wie Kinofilme. Und daran kann man durchaus auch einen technologischen Wandel ablesen.« Damit fasst Abert pointiert zusammen, was viele in der Branche im ablaufenden Jahr beobachteten: Es hat sich etwas verändert in der Produktionslandschaft, durch neue Technologien werden neue Looks möglich.
Eine treibende Kraft dahinter sind ganz sicher die neuen digitalen High-End-Kameras: Red One, F35 von Sony und D-21 von Arri. Eine Gemeinsamkeit dieser Kameras besteht im grundlegenden optischen Prinzip: Sie arbeiten anders als klassische Videokameras nicht mit einem Strahlenteiler, sondern sind als Single-Sensor-Geräte konzipiert. Das Licht fällt durch die Optik auf nur einen Sensor mit den Abmessungen eines 35-mm-Filmfensters. Dementsprechend kommen auch 35-mm-Objektive zum Einsatz, die über den PL-Mount mit dem Kamerabody verbunden werden. So ist der altehrwürdige, im Filmbereich beheimatete PL-Mount zum Synonym für eine neue Qualität elektronisch aufgenommener Bilder geworden: PL- statt B4-Mount, das steht für weit mehr als nur für eine andere mechanische Lösung, um ein Objektiv an einer Kamera zu befestigen.
Das sieht auch Rainer Hercher vom Verleiher Camelot so: »Ursprünglich kommen wir aus dem EB-Bereich und mit der F35 haben wir in gewissem Maß auch Neuland beschritten: Mit dem PL-Mount sind andere Gestaltungsmöglichkeiten verbunden, es ist ein wesentlich filmischeres Bild möglich. Unsere F35 kam in diesem Jahr schon bei zehn Produktionen zum Einsatz. Das waren in der Mehrheit Werbeproduktionen, aber auch fiktionale Projekte wie ein türkischer Kinofilm, für den wir unsere F35 in die Türkei vermietet haben. Die F35 wird zu einer vergleichbaren Tagesmiete angeboten wie eine 35-mm-Filmkamera — und so wird sie auch eingesetzt.« (Siehe auch Bericht über Camelot.)
Aus Sicht von Martin Ludwig sucht die F35, die er ebenfalls im Verleihprogramm hat, noch ihren genauen Zielmarkt und hier wird sich aus seiner Sicht der Werbemarkt herauskristallisieren. Michael Abert von Cinegate in Köln meint dazu, dass es auch längerfristig einen Markt für das High-End der Kameratechnik geben werde. Martin Abert aus Berlin stimmt zu, schätzt den F35-Markt als nach wie vor schwieriges Segment ein und sieht im internationalen Markt die Genesis von Panavision und die D-21 von Arri als besser etabliert an.
Was für die F35 spricht, ist aus der Sicht aller Verleiher der einfache Workflow mit der HDCAM SR-Kassette, wodurch sofortige Echtzeit-Wiedergabe in voller Bildqualität und einfaches Daten-Handling möglich sind.
Aus der Sicht von Martin Abert wildern Red und F35 aber — zumindest im deutschen Markt — eigentlich weniger im 35-mm-Segment, sondern werden eher in anderen Bereichen eingesetzt: »Im zweiten Halbjahr 2008 waren 35-mm-Produktionen bei uns sogar wieder stärkere Umsatzträger als die anderen Bereiche. Es gab mehrere 35-mm-Produktionen in der 3-Millionen-Größenordnung. Im kommenden Jahr (Anmerkung der Redaktion: 2009) werden wieder mehr amerikanische Produktionen nach Berlin kommen, da gibt es in diesem Marktsegment sicher wieder einen zusätzlichen Schub.« Cinegate kommt eher aus dem Filmbereich, hat von Filmkameras über Licht und Generatoren alles im Angebot, was man im Kinofilmbereich benötigt. Erst im Jahr 2007 hatte Cinegate in Berlin begonnen, auf HD zu setzen und später dann auch Red Ones und eine F35 ins Programm zu nehmen. Mittlerweile hat Cinegate neun Red Ones im Verleihprogramm.
Den Look von 35 mm mit anderen Mitteln zu erreichen, das ist eine der Triebfedern bei der zunehmenden Verbreitung digitaler Filmkameras. Aus der Sicht von Serien-Produzent Grundy Ufa etwa ist auch die Bildqualität und der Look einer Produktion ein ganz entscheidendes Erfolgskriterium, besonders wenn es um Primetime-Serien geht. »Der Zuschauer ist sehr intelligent und anspruchsvoll, er erkennt sofort die visuelle Qualität einer Produktion und ordnet sie entsprechend ein. Er weiß ganz genau, was er will: Nämlich die Qualität, die er von amerikanischen Serien her kennt. Wenn er diesen 35-mm-Look beim Zappen wiedererkennt, bleibt er hängen und deshalb sind die anspruchsvolleren US-Serien so erfolgreich: Weil der Zuschauer mit dieser Bildästhetik auch hohen inhaltlichen Unterhaltungswert assoziiert«, meint Ernst Feiler, Head of Technology des Unternehmens (siehe auch Bericht über technische Entwicklungen bei Grundy Ufa). Seiner Meinung nach lässt sich diese Primetime-Qualität nicht mit der Aufzeichnung auf 16-mm-Film erreichen, wohl aber mit den neuen Kameras für digitale Filmaufzeichnung — etwa mit einer Red. Deshalb kann sich Feiler auch sehr gut vorstellen, mit Grundy Ufa auf der Basis neuer digitaler Kameras auch neue Formate und Produkte für die Primetime zu entwickeln: »Primetime heißt 35-mm-Look und bedingt somit einen großen Sensor — und umgekehrt.«
Mit elf Red Ones in der Vermietung ist der Ludwig Kameraverleih derzeit wahrscheinlich der größte Anbieter dieser Kamera mindestens in Deutschland, vielleicht sogar darüber hinaus in Europa. »Unsere Reds waren im Sommer komplett durchgebucht, wir hatten eine enorme Nachfrage zu verzeichnen, nun normalisiert sich das langsam,« erläutert Martin Ludwig. Eine der Produktionen, die mit einer Red aus Ludwigs Vermietpark in Berlin gedreht wurde, ist der 45minütige Pilotfilm zur geplanten RTL-Serie »Brains« über Hirnchirurgen, ein »Medical-Drama«.
Auch hier zeigt sich, dass der Look, der mit den neuen Digitalkameras möglich ist, Zuspruch findet und von den Sendern als Entscheidungskriterium der Zuschauer erkannt wurde.
Auch bei Cinegate und den anderen von film-tv-video.de befragten Red-Rental-Anbietern Volker Rodde und Camelot herrscht rege Nachfrage nach der amerikanischen Kamera. Martin Abert von Cinegate in Berlin: »Drei bis vier Anfragen wöchentlich für die Red sind bei uns Grundrauschen, in Spitzenzeiten schnellt das dann noch sehr viel weiter hoch.«
Stärker noch als die F35, wird die Red One aber in Deutschland von vielen eher als 16-mm-Ersatz betrachtet. Das zeigt sich auch darin, dass wohl im kommenden Jahr ein »Tatort« mit der Red One gedreht werden wird: Die 16-mm-Vorzeigereihe der ARD soll nach einem Beschluss des Senderverbunds nach und nach auf digitale Aufnahmesysteme umgestellt werden.
Damit ist ein weiteres Thema des technologischen Wandels angerissen: 16-mm-Film ist auf dem Rückzug. Hier sägt einerseits die Red One am Podest, aber auch die HD-Camcorder von Panasonic und Sony sind auf dem Vormarsch. So wurde mit der F23 des Kölner Verleihers Volker Rodde die Sat.1-Produktion »Griechische Küsse« realisiert (siehe Meldung), für die Sat.1-Serie »Dr. Molly & Karl« lieferte Camelot das HDCAM-Equipment. Aber nicht nur im TV-Markt ist der Wandel sichtbar: »Zwei 3000er von Panasonic aus unserem Haus kamen in diesem Jahr beispielsweise bei in Berlin gedrehten DVD-Spielfilmproduktionen für den internationalen Markt zum Einsatz. Dafür ist dieser Camcorder-Typ wegen seiner
Sowohl Camelot, wie auch Volker Rodde haben aber kein 16-mm-Equipment im Verleih, ihnen fehlt also die hausinterne Vergleichsmöglichkeit bei der Nachfrage von HD- und 16-mm-Equipment. Martin Abert von Cinegate, wo Film und HD unter dem gleichen Dach zuhause sind, bestätigt aber ganz klar: »Wir verzeichnen im 16-mm-Bereich einen starken Nachfragerückgang. Das Geschäft hat sich bei uns deutlich von 16 mm auf HD verlagert. Im 16-mm-Bereich waren bei uns im Jahr 2008 auch in der Produktionshochphase noch Kameras verfügbar, während wir im HD-Bereich zumieten mussten. Im ersten Halbjahr war HD bei uns der größte Umsatzträger. Im zweiten Halbjahr hat sich das dann zugunsten von 35 mm verschoben, gefolgt von HD, Schlusslicht ist 16 mm.« In Köln leitet Martins Bruder Michael Abert die Cinegate-Niederlassung. Hier erzielt Cinegate mittlerweile rund 65 % des Umsatzes im HD-Bereich. Michael Abert sieht einen der Gründe dafür auch im Generationenwechsel: »Besonders wer aus dem Bereich der elektronischen Aufnahme kommt und auch im Umgang mit PCs und Software aufgewachsen ist, der hat einen leichten Zugang zur Red One.« Aus Sicht von Martin Abert ist die Zeit der Format- oder Systemvergleiche vorbei: »Die Leute wissen meist schon vorher, welchen Look sie haben wollen und testen dann nur noch ein System oder zumindest nur innerhalb eines Lagers.«
»HD ist ein Qualitätslevel, der für die Mehrzahl der Leute konsensfähig ist«, formuliert Martin Abert ganz pragmatisch, ohne sich in akademischen Vergleichsdiskussionen verlieren zu wollen. Aus Sicht von Martin Abert manifestiert sich der Wandel von 16 mm zu HD so: »Der 16-mm-Filmmarkt lebt, er ist auf gar keinen Fall tot. Aber Wachstum und weitere Entwicklung sind hier vorbei, auch bei den Geräten. Wir haben im Jahr 2007 neue 416er-Filmkameras von Arri gekauft, das sind tolle Kameras, denen es an nichts fehlt. Aber die bei uns vorhandenen fünf Kameras reichen aus, um die Nachfrage zu befriedigen, während im Bereich HD und Digitalkameras die Nachfrage bei uns immer weiter steigt. Im Januar 2009 werden wir deshalb unseren Red-Bestand weiter ausbauen und drei weitere Reds in Betrieb nehmen.«
Mit Reds von Cinegate wurde etwa auch der deutsche Kinofilm »This is Love« mit Jens Albinus, Jürgen Vogel und Corinna Harfouch gedreht, den die Produktionsfirma Badlands Film realisiert. DoP Sonja Rom und Regisseur Matthias Glasner (Regie) hatten sich nach ausführlichen Tests bei Cinegate und in der Postproduktion für die Red One entschieden.
Ernst Feiler, Head of Technology beim Serien- und Soap-Produzenten Grundy Ufa, sagt zum 16-mm-Film: »16 mm wird es noch sehr lange geben, aber es wird eben immer weniger neue 16-mm-Produktionen geben. 16 mm bietet keine Qualitäts-, Preis- oder Geschwindigkeitsvorteile mehr.«
Vorteile von HD sehen viele Verleiher und Anwender aber nicht mehr bloß in einer erhofften Kostenersparnis, sondern in anderen Aspekten. Weil früher oft das Budget den Ausschlag für HD gab, wurde das Drehen mit HD-Equipment dann meist als schlechter Kompromiss empfunden. Das hat sich verändert: »Ich bin erstaunt, wie viele ‚alte Hasen‘ mittlerweile sagen: Ich drehe mit dem Medium, das am besten zur Story passt. Bei der Serienproduktion oder auch wenn es um Produktionen mit Kindern vor der Kamera geht — wo es oft hohe Drehverhältnisse gibt — empfiehlt es sich ganz klar, auf HD zu produzieren, weil hier die Materialkosten eine größere Rolle spielen. Aber auch die Geschwindigkeit ist heute oft ein entscheidender Faktor: Wenn man mit immer weniger Drehtagen zurecht kommen muss, ist Effektivität und höhere Arbeitsgeschwindigkeit unvermeidlich — und hier sehen immer mehr unserer Kunden Vorteile bei HD«, erläutert Martin Abert. Martin Ludwigs Aussage ergänzt diese Sicht um einen weiteren Aspekt und schränkt ein: »Weniger auf der technischen und der Operator-Ebene, als vielmehr im Management-Bereich und in der Führungsebene der Produktionen, fehlen oft noch entscheidende Informationen, um wirklich unabhängig das jeweils beste Medium und den passenden Workflow auswählen zu können.« Auch Camelot stößt in dieses Horn: Der Umschwung zur digitalen Aufnahmetechnik hat aus Sicht von Rainer Hercher nicht deshalb so lange gedauert, weil die Kameraleute und Assistenten damit nicht klar gekommen wären, sondern weil Produzenten, Herstellungsleiter und Entscheider in der Management-Ebene lange Zeit Vorbehalte hatten, skeptisch waren und die Vorteile nicht sahen. Dennoch diagnostiziert Hercher derzeit einen klaren Trend weg vom 16-mm-Film: »In diesem Bereich werden HD-Kameras auf breiter Front und in wachsendem Maß eingesetzt, auch wenn es 16-mm-Film noch für eine lange Zeit geben wird.«
»Ganz deutlich beim Arbeiten mit der Red, aber tendenziell auch bei anderen HD-Systemen, verschieben sich Aufwand und Kosten in vielen Fällen in den Workflow- und Postproduction-Bereich«, resümiert Martin Abert. Eine Reduktion der Gesamtkosten sei deshalb in vielen Fällen nicht realistisch. Ob die Kostenersparnis, die oft als wichtiger Grund für die digitale Produktion gilt, tatsächlich erreicht wird, hängt von vielen Faktoren der jeweiligen Produktion ab, so auch die Erfahrungen bei Camelot.
Volker Rodde aus Köln erklärt: »Bei der Planung einer HD- oder Digital-Film-Produktion fängt man in der Postproduktion an. Daher ist die Partnerschaft mit Postproduction-Anbietern heute für einen Verleiher sehr wichtig, um den jeweils richtigen Workflow zu finden.« Teilweise komme man nicht umhin, sich auch zusätzliches Knowhow ins Haus zu holen, meint Rodde: »Wir haben uns einen Arbeitsplatz mit Final Cut Pro aufgebaut, schon um selbst intensiv testen und vorführen zu können.«
Bei Cinegate sieht man das ähnlich. Martin Abert: »Alle Cinegate-Niederlassungen haben jeweils einen bevorzugten, regionalen Postproduction-Partner. In Berlin ist das Kopp-Film. Eine solche Partnerschaft und kurze Verbindung ist wichtig, um Workflow-Fragen zu klären, aber auch weil man in der Regel sehr viel mehr Material hat, wenn man digital produziert und diese Datenmengen eben Handling und Sichtungsmöglichkeiten erfordern.«
»Wir müssen das Daten-Handling für unsere Kunden vereinfachen und als Schnittstelle zur Postproduction fungieren — ein enger Kontakt zu den jeweils beteiligten Posthäusern wird ohnehin immer wichtiger«, konstatiert auch Rainer Hercher von Camelot. »Wir wollen keine eigene Postproduction aufbauen, aber das Kopieren und Sichten von Material ist heute einfach ein notwendiger Teil unserer Dienstleistung.«
Die digitale Technik erfordert aus Sicht von Michael Abert zudem eine enge Zusammenarbeit zwischen Produzent, Verleiher, DoP, Regie und Postproduction: »Nur wenn man schon im Vorfeld stärker kommuniziert und kooperiert, als es früher zwischen den einzelnen Bereichen üblich war, dann stellt sich auch der gewünschte Erfolg ein und die Vorzüge der Digitaltechnik kommen zum Tragen.«
Der schleichende Technologiewechsel zieht viele Veränderungen nach sich. Die Anwender und Verleiher müssen zunehmend in anderes Equipment investieren: Mit der Anschaffung einer Red One, D-21 oder F35 ist es nicht getan: Man braucht auch die passenden Objektive dafür, nämlich 35-mm-Optiken mit PL-Mount und vieles weitere Zubehör. Auch will auf der Operator- und Assistentenseite der Umgang mit der geringeren Schärfentiefe beherrscht werden. Und selbst Themen wie etwa die Negativversicherung müssen überdacht und angepasst werden.
Somit zieht der Technologiewechsel, der im Jahr 2008 auch ganz klar im Markt seinen Niederschlag fand, weite Kreise und wird die Branche sicher noch lange beschäftigen — auch über das nun vor uns liegende Jahr 2009 hinaus.