Filme im Internet: Gefahr und/oder Chance für die Branche?
Einerseits sieht die Filmindustrie im Internet eine Bedrohung und kämpft mit allen verfügbaren Mitteln gegen illegale Downloads. Andererseits bieten immer mehr Portale im Internet ganz legal kostenfreien Zugang zu Filmen und TV-Produktionen. Findet hier der Ausverkauf statt oder sind dies die Anfänge neuer Geschäftsmodelle? Eröffnen sich gar neue Verwertungsmöglichkeiten für unabhängige Filmemacher und Produzenten?
Als im August der Megaseller »The Dark Knight« in deutschen Kinos startete, wurden die Kopien nur portioniert ausgeliefert, um gewerbsmäßigen Raubkopierern ein Schnippchen zu schlagen. Kurz zuvor hatten die Generalstaatsanwälte in Nordrhein-Westfalen ihren Internet-Fahndern empfohlen, nur noch gegen gewerbsmäßige Internet-Piraten vorzugehen und die einfachen Tauschbörsennutzer unbehelligt zu lassen. Nach demselben Muster wird — laut Justiz und Ministerien — bereits in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt verfahren.
Konzentrieren sich Industrie und Justiz im Kampf gegen den illegalen Film-Download jetzt auf die organisierten Anbieter und bleiben Endverbraucher als Besitzer und Nutzer von Schwarzkopien künftig weit gehend unbehelligt? Das wäre ein Strategiewechsel, der vielleicht mehr Erfolg zeitigen könnte, als die Einschüchterung ansonsten braver, unbescholtener Bürger. Wie aber sieht die Vorwärtsstrategie aus, wie können Geschäftsmodelle mit digitalen Kopien aussehen und etabliert werden?
Film-Download: ein schwieriges Geschäft
Noch gilt das Download-Geschäft mit dem Endkunden als schwierig. Zuletzt hatte Warner Bros. die Vertriebsplattform www.in2movies.com Mitte Juni 2008 zumindest vorläufig eingestellt. Aktuell ist die Site »under reconstruction«. Wie der Verkauf digitalisierter Filme über das Internet-Kaufhaus Amazon (Amazon Unbox Video Downloads) in Deutschland laufen wird, ist noch offen. Bisher betreibt Amazon diesen Dienst auf seiner US-Site und mischt dort kostenfreie und kostenpflichtige Produkte.
Snagfilms: Werbefinanziertes Projekt nach dem Modell des Privatfernsehens
Eine kostenfreie Abspielstätte für aktuelle (Dokumentar-)Filme bietet im Web seit Mitte Juli 2008 der Anbieter Snagfilms unter www.snagfilms.com (derzeit noch im Beta-Stadium). Dabei handelt es sich um das Dokumentarfilm-Portal des Ex-AOL-Managers Ted Leonsis. Dabei werden die Filme mit Werbespots gekoppelt, das Modell entspricht weitgehend dem Privatfernsehen, nur eben dass die Inhalte andere sind und dass es eine »On-Demand«-Komponente gibt.
Der Gründer Ted Leonsis ist vom Fach: Seine Dokumentation »Nanking« aus dem Jahr 2007 konnte Erfolge auf Festivals feiern (etwa auf dem Sundance Film Festival), aber Leonis kennt das Problem, dass ambitionierte Dokumentarstreifen — selbst nach einem erfolgreichen Festivalauftritt — oft in der Versenkung verschwinden und nicht den Weg zum Zuschauer finden.
Solchen Arbeiten möchte er über Snagfilms ein globales Publikum verschaffen. Und er möchte damit auch Geld verdienen. Einnahmen generiert Snagfilms über den Verkauf von Werbung auf dem Portal und beim Streaming der Filme. Die damit erzielten Erlöse werden laut Anbieter zwischen dem Portalbetreiber und den Filmemachern aufgeteilt, die ihre Arbeiten bereitgestellt haben.
Etwa 250 Produktionen umfasst das aktuelle Programm des Portals. Darunter finden sich durchaus auch namhafte Titel, die etwa bereits auf deutschen Festivals zu sehen waren und teilweise sogar den Weg in die Kinos fanden, wie der fastfood-kritische Film »Super Size Me«. »Snagfilms schafft virtuelle Kinos für Dokumentarfilme«, fasste das Wall Street Journal die Arbeitsweise und Zielrichtung des Portals prägnant zusammen.
Betreiber privater oder gewerblicher Websites können ein Snagfilms-Fenster (als Widget) auf ihren Seiten einbinden und so den Besuchern ihres Portals jederzeit Dokumentarfilme aus dem Snagfilms-Programm zeigen. Links führen zu Organisationen, die mit dem Thema des Films in Verbindung stehen, etwa zu humanitären, sozialen oder ökologischen Initiativen, die dann im Umfeld des Streams auch Spenden einsammeln dürfen. Als »Filmanthropie« beschreibt Leonis sein Projekt deshalb auch gerne.
Offene Archive als Kulturgut
Bereits etabliert und in den USA als Institution anerkannt, ist archive.org (www.archive.org). Dabei handelt es sich um ein Online-Archivierungs-Projekt mit dem Ziel, der Öffentlichkeit freien Zugang zu digitalisierten Kulturgütern aller Art zur Verfügung zu stellen — auch zu Filmen. Im Kern finden sich dort digitalisierte Filme und TV-Sendungen, Konzertmitschnitte, aber auch Link-Sammlungen. Weil archive.org quasi als Filmbibliothek Wissenschaft und Forschung unterstützt und eine kommerzielle Nutzung per Geschäftsbedingungen ausschließt, ist die Nutzung kostenfrei und legal.
Unter den etwa 130.000 Titeln im Bereich »Moving Images« sind teilweise Schätze der Film- und Fernsehgeschichte zu finden: Chaplin und Keaton (»The Kid«, »The General«), populäre Hollywood B-Pictures aus den 40er Jahren (»Detour«), US-Underground-Produktionen (»Night of the Living Dead«), internationales Avantgarde-Kino, aber auch TV-Shows, US-Regierungsfilme und Unterrichtsmedien. Die Arbeit von archive.org ist dabei durchaus anerkannt, selbst das renommierte New York Anthology Film Archive kooperiert mit dem Portal.
Wohl nicht zuletzt auch deshalb hat der US-Dokumentarist und Filmsammler Rick Prelinger sein komplettes eigenes Archiv auf archive.org überführt. Er wirbt für den kostenfreien Zugang zu Film- und TV-Produktionen mit dem Slogan: »Je verbreiteter eine künstlerische Idee ist, umso wertvoller wird sie. Kultur ist nicht Öl — sie kann nicht verbraucht werden« (Zitat aus Tip-Magazin 16/08).
Gleichzeitig befördert die durch den freien Publikumszugang steigende Bekanntheit des Archivs aber auch den geschäftlichen Erfolg des Archivars und Sammlers Prelinger. Wer Ausschnitte aus dem Prelinger-Archiv kommerziell nutzen möchte, muss Lizenzen für die Ausgangsmaterialien kostenpflichtig erwerben.
Was bedeutet die aktuelle Entwicklung im Web für traditionelle Film- und Fernseharchive?
Dazu hat Martin Koerber, Leiter der Sammlung und Filmkurator bei der Deutschen Kinemathek in Berlin eine klare Einschätzung: »Alle kennen YouTube, man geht wohl nicht falsch in der Annahme, dass normale User dies zunächst einmal als Filmarchiv wahrnehmen, auch wenn es natürlich keines ist. Die Tatsache aber, dass man dort zu sehr vielen Themen etwas findet, setzt neue Maßstäbe für die traditionellen Archive. Es wird nun erwartet, dass diese Ähnliches leisten können.«
Zusätzlicher Druck geht von den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten aus. ZDF- und ARD-Mediathek etwa stellen eigenproduzierte Programmteile zur zeitversetzten Ansicht für eine begrenzte Zeit auf ihre Portale. Koerber bestätigt auch diesen Trend und sieht ihn in einem europäischen Zusammenhang: »Die Bemühungen der Europäischen Digitalen Bibliothek, auch audiovisuelle Werke aufzunehmen und sichtbar zu machen, lassen sich am Projekt European Movie ablesen. Dort werden wir selbst in nächster Zeit hoffentlich beteiligt sein. Wir sind es jetzt schon bei Europa Film Treasures. Bedeutend in Europa sind unter anderem das INA in Frankreich, Istituto Luce in Italien und andere, die ganze Libraries online haben, die auch dem allgemeinen Publikum offen stehen.«
Bei den genannten Beispielen handelt es sich vorwiegend um historische und anderweitig spezialisierte Filmarchive, kommerzielle Produktionen sind in der Regel nicht auf diesen Wegen zugänglich — zumindest nicht legal. Das bestätigt Martin Koerber: »Bemerkenswert ist die Tatsache, dass auf Pirate Bay und anderen ähnlichen Plattformen, die teilweise illegal oder halblegal operieren, große Mengen von Content ausgetauscht werden, ohne dass traditionelle Strukturen wie Archive oder auch die traditionelle Filmwirtschaft es überhaupt mitbekommen. Für die Teilnehmer dieser Netze ist der Wunsch, tendenziell jeden Film der Filmgeschichte verfügbar zu haben, längst Wirklichkeit.«
Zudem gibt es laut Koerber »sehr viel mehr in geschützten Bereichen zu sehen, in denen die Profis recherchieren und für aktuelle Filmberichte Footage ausgetauscht wird.«
In diesem Bereich gebe es ein »weltweit hochauflösend arbeitendes System, das von verschiedenen Bildagenturen betrieben wird.« Koerber räumt auch ein: »Die traditionellen Filmarchive haben zu dieser Realität bisher überhaupt keinen Kontakt.«
Ein freier öffentlicher Zugang, quasi als Bibliothekenmodell, verschreckt natürlich kommerzielle Anbieter. Diese glauben, ihre Essenzen mit allen Mitteln gegen kostenlose Nutzung (und vor allem Vervielfältigung) schützen zu müssen. Haben kommerzielle Produzenten und Archivare an der Stelle grundsätzlich unterschiedliche Interessen? Martin Koerber bestätigt das: »Noch scheint es so zu sein. Ich denke aber, dass die Produzenten sich auf die Dauer nicht der Tatsache verschließen können, dass ohnehin alles, was irgendwie populär sein könnte, zugänglich gemacht wird. Dann hat man eigentlich nur noch die Wahl, beim Spiel dabei zu sein und die Darbietung des Content und die Qualität mit zu bestimmen, oder seine Kunden mit Strafverfolgung zu bedrohen. Letzteres scheint mir auf die Dauer kein tragfähiges Geschäftsmodell.«
Kurzfristig keine Lösung in Sicht
Der Markt ist in Bewegung, die Entwicklung offen. Ohne zumindest Ausschnitte aus den Produktionen zu zeigen, kommt die Online-Vermarktung von Bewegtbild nicht voran. Auch deutsche Archive und Bildungseinrichtungen wie etwa das FWU gehen in diese Richtung. Auch hier wird es letztlich unvermeidlich sein, die kompletten Inhalte auch zum Download anzubieten.
Wie kommerzielle, nicht von staatlicher Förderung, oder sonstigen dritten Quellen finanzierte Medienproduktion online wirtschaftlich funktionieren sollen, das bleibt noch eine spannende Frage.