Fernsehen in der Krise?
Im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland gehen in der kommenden Woche die Sommerferien schon wieder zu Ende — aber ein echtes Sommerloch war bislang zumindest in der selbstreflektiven Medienberichterstattung (Medien berichten über Medien) nicht auszumachen. Und beim Fernsehen ging es in den vergangenen Wochen hinter den Kulissen sogar richtiggehend turbulent zu.
Einer der Knaller: Sat.1 kippte von heute auf morgen seine Nachrichten-Magazine aus dem Programm — kürzte also kostenintensive Programmteile — und will 200 Mitarbeiter entlassen. Der Grund dafür ist ganz simpel — der Sender muss auf Druck seiner Finanzinvestoren mehr Rendite bringen.
Sat.1 schaffte es dann ungewollt, auch weiter in der Negativdiskussion zu bleiben. Als sich ARD und ZDF wegen des Dopingfalls Sinkewitz von der Live-Berichterstattung der Tour de France zurückzogen, kaufte der Privatsender die Rechte und nahm die Tour am Nachmittag live ins Programm. Damit machte Sat.1 deutlich, dass man dort im Grunde alles sendet, was Quote bringen könnte. Der Haken dabei: Das Publikum will die Tour de France nicht (mehr) sehen. Der Sender musste die Preise für Werbespots im Umfeld der Tour-Berichterstattung massiv senken und mehrere große Werbekunden verzichten derzeit ganz darauf, am Nachmittag Werbung bei Sat.1 zu schalten. Aus dem Medien-Coup wurde ein Rohrkrepierer, der die grundlegende Problematik offenlegt: Offenbar fragt sich das Sat.1-Management nur noch, wie es seine Programmplätze billiger füllen kann, ohne noch mehr Zuschauer zu verlieren.
Vielleicht war es in der Gründerzeit des Privatfernsehens mal so, dass auch Enthusiasmus eine Rolle spielte, dass es Leute gab, die den öffentlich-rechtlichen Sendern zeigen wollten, dass man Fernsehen auch anders machen kann, als nur dröges, bräsiges Schema-F-Programm abzuspulen. Aber schon damals spielte auch gesundes Profitstreben eine Rolle. Heute, wo immer mehr Sender von Finanz-Investoren dominiert werden, die sich für das Medium selbst überhaupt nicht interessieren, ist dagegen ein völlig überzogenes Profitdenken zur alleinigen Maxime geworden. 22 Prozent Rendite bei ProSiebenSat.1 reichen da nicht mehr aus, es müssen 25 bis 30 Prozent her — und zwar schnell.
Die Krise von Sat.1 ist aber in Wahrheit nur eines der Symptome einer Krise der gesamten deutschen Fernsehlandschaft. Beispiele gefällig?
Denken Sie mal an das Sparprogramm und den auch weiterhin geplanten Stellenabbau bei RTL, wo in Köln rund 2.000 Mitarbeiter beschäftigt sind. Die Gewerkschaften etwa gehen davon aus, dass bei RTL nach dem Umzug des Senders im Jahr 2008 in die Kölner Rheinhallen im Bereich Produktion und Technik rund 20 Prozent Personal eingespart werden.
Oder nähern Sie sich dem Thema von einer anderen Seite: Das Kürzel DSF steht eigentlich für Deutsches Sport Fernsehen. Auf dem Weg in die Gewinnzone ist die Langversion des Namens bei diesem Spartensender allerdings etwas in Vergessenheit geraten: Sport kommt bei DSF zwar auch noch vor, aber eben auch sehr viel Poker, Dauerwerbe- und Call-In-Sendungen — letzteres auf primitivstem Niveau mit einer Oben-Ohne-Moderatorin vor einem Flipchart.
Und wie ist es zu erklären, dass der Spielfilmsender ProSieben nun neben seinen Raab-Festspielen auch die Uefa-Cup-Spiele des FC Bayern übertragen wird? Gibt es eigentlich noch so etwas wie ein Profil oder eine inhaltliche Linie bei den Privatsendern?
Vielleicht muss man noch einen Schritt zurückgehen, um diese Frage beantworten zu können. Worum geht es denn beim werbefinanzierten Privatfernsehen? Man will kaufkräftige Menschen einer möglichst genau greifbaren Zielgruppe so an das Programm fesseln, dass sie auch die Werbung anschauen. Das kann aber auf Dauer nicht gelingen, wenn man nur Kosten spart und billigst zusammengekauftes oder selbst zusammengenageltes Programm sendet. Dieses Modell funktioniert allenfalls in ganz kleinen Nischen, weil eben die Mehrzahl der Bevölkerung nicht bei Kartenlegern, Astrologen oder leicht bekleideten Quizmädels anrufen wird. Bei Sat.1, wo man ein größeres Publikum ansprechen will und muss, droht der Klammergriff der Investoren abzuwürgen, was eigentlich ein einträgliches Geschäft sein könnte.
Worin besteht nun die Krise des Fernsehens in Deutschland? Die öffentlich-rechtlichen Sender schaffen es trotz all ihrer krakenhaften Ausdehnungsversuche mit immer weiteren Zusatzkanälen und ausufernden Online-Aktivitäten nicht, ein jüngeres Publikum anzusprechen. Und auch den Privatsendern, die sich rühmen, in der jüngeren Zielgruppe weit vor den Öffentlich-Rechtlichen zu liegen, entgleiten immer größere Teile des potenziellen Publikums: Stetig wächst die Zahl der Menschen um die 30, die sich vom traditionellen Fernsehen abwenden. Sie holen sich auf legalen und illegalen Kanälen, was sie an Unterhaltung und Information haben wollen. Das Internet spielt dabei unter verschiedenen Aspekten eine wachsende Rolle in Bezug auf bislang klassische TV-Inhalte: als direkte Betrachtungsplattform, zum Download oder um sich DVDs zu bestellen — auch aus dem Ausland.
Schon reagieren selbst Institutionen wie die BBC ganz nach dem Motto »If you can’t beat them, join them«: Das Öffnen der Archive, das Verfügbarmachen vorhandenen Contents, die Kooperation mit neuen Verbreitungskanälen wie YouTube, das alles wird dort als beste Strategie gesehen, um zu überleben.
Vielleicht kann sich auch das Fernsehen in Deutschland wieder auf den Elan der Gründer besinnen, wieder Neues wagen und ausprobieren, statt sich ständig nur noch selbst zu kopieren und auf ein immer erschreckenderes Niveau abzusinken, das letztlich dazu führen wird, dass das Ganze auch wirtschaftlich uninteressant wird. Stirbt das Fernsehen in seiner momentanen Ausprägung ab, oder hat es genug Innovationskraft, um sich zu wandeln?
Sie werden sehen.