NAB2007: Festspeicher auf dem Vormarsch
Das Arbeiten mit bewegungslosen Wechselspeichermedien ist auch im professionellen Videobereich unaufhaltsam auf dem Vormarsch — ob man nun von Flash-Memory, Solid State Memory, Festpeichermedien oder einfach nur von Speicherchips spricht. Panasonic preschte mit P2 vor, hat Lehrgeld bezahlt, sieht sich aber nun in einer guten Position. Grass Valley setzt mit Infinity auf die Mischform aus Magnetdisk und CompactFlash, Sony stellt der optischen Professional Disc als Speichermedium von XDCAM nun mit XDCAM EX ein Speicherkarten-System mit PCIx-Medien zur Seite. Ikegami und Toshiba haben konkrete gemeinsame Pläne für ein eigenes »flash-only« System veröffentlicht.
Die digitale Fotografie hat es vorgemacht: Der Wechsel von traditioneller Technik auf neue digitale Speichermedien kann ganz schnell gehen — trotz aller Vorteile, die das Bewährte bietet und der Nachteile, die das Neue mitunter in sich birgt: Wenn einige der positiven Aspekte des Neuen den Nerv der Zeit und der Endkunden treffen, dann kann der Markt schnell kippen.
Viele hatten das P2-Konzept von Panasonic mindestens für verfrüht gehalten: Der Broadcast-Markt sei nicht so weit, die Medien seien zu teuer, es gebe keine funktionierenden Workflows, die Archivierung sei ungelöst — das waren die Argumente, die gegen P2 ins Feld geführt wurden und im Grunde auch alle mehr oder weniger zutrafen. Es ist auch nicht so, dass Panasonic für seine Vorreiterrolle nicht hätte bezahlen müssen: Auf der Kundeseite wurde P2 mit Interesse beobachtet, aber Digital Betacam gekauft.
Stück für Stück zogen und ziehen nun aber praktisch alle anderen Hersteller beim Thema Festspeicher auf die eine oder andere Weise nach. Dass es jedoch keineswegs einfach ist, ein völlig neues System zu entwickeln und in den Markt einzuführen, das musste auch Grass Valley erkennen: Infinity wurde und wurde nicht fertig, nun soll das bandlose System des franko-amerikanischen Herstellers im Sommer 2007 kommen.
Derzeit ist Panasonic beim Thema Festspeicher definitiv am weitesten und in einer guten Position: Das Unternehmen hat mittlerweile P2-Geräte der zweiten Generation im Angebot und verfügt mit 42.000 im Markt befindlichen Geräten (Firmenangabe) über eine solide Marktbasis. Da ist es ganz sicher ein gutes Gefühl, Erster zu sein — und offenbar doch nicht zu früh auf Festpeicher gesetzt zu haben. Aber Zeit auszuruhen und nach der anfänglichen Durststrecke den Vorsprung zu genießen, bleibt für Panasonic nicht: Schon mehr als einmal in der Broadcast-Geschichte erwies sich am Ende nicht der als Gewinner, der zuerst mit einer neuen Technologie auf dem Markt war. Grass Valley muss und wird nach der unfreiwillig langen Entwicklungszeit von Infinity mächtig Gas geben und das System mit Macht in den Markt bringen, wenn sich die Mühe und die Kosten lohnen sollen, die in dieser Entwicklung stecken. Außerdem muss das Unternehmen einiges tun, um die Kunden, die so lange warten mussten, nun zu überzeugen, dass sich das gelohnt hat.
Sony setzt auf parallel Existenz von Festspeicher und Disc im eigenen Portfolio, eine Lösung die durchaus ihren Charme haben kann: Vor allem auch für die Anwender, die schon in XDCAM und XDCAM HD investiert haben, denn nach Firmenangaben befinden sich schon mehr als 20.000 Geräte im Markt, die mit der Professional Disc arbeiten. Das PCIx-basierte System XDCAM EX soll mit XDCAM auf der Scheibe viele Gemeinsamkeiten haben, wenn auch noch nicht alle Fragen geklärt sind, etwa wenn es um die Proxies geht, die es bei XDCAM auf der Scheibe gibt. Bei den Bitraten soll sich XDCAM EX an XDCAM orientieren und die fixe 25-Mbps-Rate bieten, wie die variable 35-Mbps-Variante. Warum ist unklar, schließlich unterliegt man bei der Speicherung auf PCIx nicht den Beschränkungen eines bewegten Mediums und XDCAM EX könnte zweifellos auch niedrigere und höhere Raten erlauben und verarbeiten.
Die längste Erfahrung mit bandlosen Camcordern für den Profimarkt hat Ikegami. Tatsächlich könnte die Kooperation mit Toshiba dem Unternehmen neuen Schwung und Zugang zu modernen Speichertechnologien bringen, ohne Lizenzen bei den Konkurrenten im Broadcast-Markt nehmen zu müssen.
Der Kampf um die Speichertechnologie der Zukunft scheint entschieden, aber bei jedem Innovationsschritt in der professsionellen Videotechnik versucht jeder der Gerätehersteller sein eigenes Süppchen zu kochen. Der Hintergrund scheint dabei klar: Camcorder werden bei gleicher oder höherer Leistung immer billiger, außerdem haben Geräte, die mit Festspeicher arbeiten, kein Kopfrad und auch sonst sehr viel weniger bewegte Teile, sie unterliegen daher keinem auch nur annähernd so großen Verschleiß wie bandbasierte Geräte. Mit Service und Ersatzteilen ist da auf der Herstellerseite nicht mehr viel Marge zu machen. Also versuchen die Hersteller, zumindest bei den Speichermedien einigermaßen den Daumen drauf zu halten und diesen Bereich steuern und kontrollieren zu können.
Schaut man auf die Digitalfotografie, dann lassen sich auch schon weitere, langfristige Folgen dieser Veränderung erahnen: Digi-Fotoapparate haben dem klassischen Fotohandel vollends den Garaus gemacht, dessen Geschäft teilen sich heute Elektrohandelsketten und Drogeriemärkte. Und auf der Herstellerseite tummeln sich Unternehmen im Fotobereich, die man früher damit nicht assoziiert und vergeblich gesucht hätte: Es ist mit Sicherheit auch wesentlich einfacher, einen Camcorder mit Festspeicher zu bauen, als einen mit Bandlaufwerk. Wenn gleichzeitig auch noch Ersatzteile und Service immer unwichtiger und die Geräte immer billiger werden, ist vorprogrammiert, dass neue Anbieter zumindest auf die Idee kommen werden, die Nische in der Nische zu besetzen.
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