Grass Valley strengt Anti-Dumping-Verfahren an
Grass Valley Nederland BV hat bei der Europäischen Union ein Anti-Dumping-Verfahren beantragt, das die Einfuhr japanischer Kamerasysteme betrifft. Schon bislang sind bestimmte Broadcast-Studiokameras mit Strafzöllen belegt, was auf eine ältere Klage europäischer Kamerahersteller zurückgeht. Nun klagt Grass Valley nicht nur auf Verlängerung, sondern auf zusätzliche Ausweitung des Anti-Dumping-Verfahrens.
Vorgeschichte
Die Sache an sich ist nicht neu: Schon vor Jahren hatten die Grass-Valley-Vorgänger Thomson und Philips Seite an Seite gekämpft und bei der EU eine Anti-Dumping-Klage eingereicht. Die europäischen Behörden gaben der Klage statt und in der Folge wurden Studiokameras aus Japan mit hohen Strafzöllen belegt. Die EU sah es als erwiesen an, dass Studiokameras japanischer Herkunft bei der Einfuhr in die EU zu Dumping-Preisen verkauft wurden.
Für die japanischen Hersteller bedeutete das zunächst massive Einschnitte: Ikegami etwa musste fortan für seine Studiokameras über 200 % Strafzoll bezahlen und löste dieses Problem erst nach und nach durch den Aufbau einer kleinen Kameraproduktion in Großbritannien. Andere Hersteller wie etwa Panasonic zogen sich in Europa ganz aus dem Marktsegment professioneller Studiokameras zurück.
Aktuelle Vorwürfe
Nun geht die Auseinandersetzung der Hersteller in die nächste Runde. Grass Valley hat zum einen die Verlängerung der bestehenden Regelung und zusätzlich auch eine Ausweitung auf ganz neue Produktbereiche eingereicht: Künftig sollen nach Vorstellungen von Grass Valley nicht nur professionelle Studiokameras, sondern auch Camcorder, Überwachungs-Kameras und Box-Type-Kameras in die Regelung eingeschlossen und mit Strafzöllen belegt werden. (Details hierzu finden Sie im letzten Abschnitt dieses Artikels.)
Wie geht’s weiter?
Grass Valley hat seinen Antrag bei der EU am 4. April 2006 eingereicht. Bis Ende Juni hatten die betroffenen Unternehmen (JVC, Sony, Ikegami, Hitachi, Panasonic) nun Zeit, auf die Vorwürfe zu reagieren und ihre Sicht der Situation anhand konkreter Zahlen zu schildern.
Wie immer bei solchen Verfahren dürfte es sich eine ganze Weile hinziehen, bis weitere konkrete Schritte eingeleitet werden. Der Markt ist allerdings verunsichert, denn wenn die EU dem Grass-Valley-Antrag im vollen Umfang folgte, hätte das drastische Folgen: Auch in Produktbereichen, in denen Grass Valley selbst derzeit gar keine Geräte anbietet, könnten Strafzölle die Preise für Kameras und Camcorder massiv in die Höhe treiben. Europa würde damit in gewissem Umfang sogar vom internationalen Broadcast-Markt abgekoppelt — oder es würden vermehrt Schlupflöcher wie etwa Grauimporte oder andere Umgehungsmodelle genutzt, die natürlich die europäischen Niederlassungen der japanischen Kamerahersteller und die Händler zusätzlich in Mitleidenschaft ziehen würden — was wiederum ganz sicher verheerende Folgen für die Support- und Service-Qualität hätte.
Ganz sicher ist es legitim, wenn sich die europäische Industrie gegen Dumping zur Wehr setzt, wenn es tatsächlich vorliegt. Trotz allem dürfen aber auch die berechtigten Interessen der Verbraucher nicht untergehen, zumal Grass Valley keinen gleichwertigen Konkurrenten im Bereich Kameras und Camcorder in Europa hat — anders als bei der ersten Klage, als mit Philips und Thomson noch zwei europäische Wettbewerber im Rennen waren. Außerdem stellt sich die Frage, ob die Sicherung von rund 250 Arbeitsplätzen an Grass Valleys Kameraentwicklungsstandort Breda (siehe Report hierüber), möglicherweise drastische Folgen für eine ganze Branche in Europa rechtfertigt — so verständlich der Wunsch von Grass Valley und seiner Mitarbeiter auch ist, in Europa profitabel Kameras entwickeln und bauen zu können.
Klage-Infos
Konkret zitiert das Amtsblatt der Europäischen Union wie folgt aus der Klage von Grass Valley: »Bei der angeblich gedumpten Ware handelt es sich um bestimmte Kamerasysteme mit Ursprung in Japan (nachstehend »betroffene Ware« genannt), die folgende Bauteile umfassen:
a) einen Kamerakopf mit integriertem Sucher, Sucheranschluss oder einer entsprechenden Anschlussmöglichkeit; mit integriertem optischem Block, Frontmodul o. Ä. (siehe untenstehende Beschreibung), Anschlüssen oder Anschlussmöglichkeiten; wobei der Kamerakopf und der Kameraadapter entweder als eine Einheit in einem gemeinsamen Gehäuse montiert oder auch separat ausgeführt sein können;
b) einen Kameraadapter. Dieser kann, muss aber nicht in den Kamerakopf integriert sein;
c) einen optischen Block, ein Frontmodul o. Ä. mit mindestens einem Bildsensor, dessen lichtempfindlicher Abtastbereich in der Diagonalen faktisch mindestens 6 mm beträgt. Diese Instrumente können, müssen aber nicht in den Kamerakopf integriert sein;
d) einen Kamerasucher. Dieser kann, muss aber nicht in den Kamerakopf integriert sein;
e) eine Basisstation oder Kamerakontrolleinheit (CCU), die durch ein Kabel oder andere Mittel, wie beispielsweise drahtlose Anschlüsse, mit der Kamera verbunden ist;
f) ein Betriebskontrollpult (OCP) oder eine gleichwertige Vorrichtung für die Kontrolle einzelner Kameras (z. B. für die Farbregulierung, die Linsenöffnung und die Blendeneinstellung);
g) einen Endkontrollpunkt (MCP) oder eine Endeinstellungsanzeige (MSU) zur Überwachung oder Fernabstimmung mehrerer Kameras;
h) einen Adapter für „Box-type“-Objektive (z. B. Large Lens Adapter oder SuperXpander), der in tragbaren Kamerasystemen die Verwendung solcher Objektive ermöglicht; Diese Bauteile werden entweder zusammen oder getrennt eingeführt.
Die Kamerasysteme müssen nicht zwangsläufig alle oben aufgeführten Bauteile enthalten.
Einzeln sind die genannten Kamerasystembauteile (mit Ausnahme des Kamerakopfes) nicht funktionsfähig und können außerhalb des Kamerasystems eines bestimmten Herstellers nicht verwendet werden.
Objektive und Recorder, die sich nicht im selben Gehäuse wie der Kamerakopf befinden, fallen nicht unter die Warendefinition.
Die betroffene Ware kann für Übertragungen, zu Berichterstattungszwecken, in der digitalen Filmindustrie oder zu sonstigen professionellen Zwecken eingesetzt werden. Zu den professionellen Anwendungen gehört u. a. die Verwendung dieser Systeme für die Entwicklung von Videomaterial zu Bildungs-, Unterhaltungs-, Werbe- und Dokumentationszwecken für den Eigenbedarf des Anwenders und für den Markt.«