Editorial, Kommentar, Top-Story: 22.06.2006

WM-Fieber

Deutschland ist im WM-Fieber: Fans und Fahnen bestimmte das Bild der Städte, und kein Tag vergeht, an dem nicht irgendein Auto-Korso durch die Straßen rollt, um den Sieg eines Vorrundenspiels zu feiern.

Wer möchte, kann praktisch rund um die Uhr Fußball im Fernsehen sehen – und das tun die Fans viel und ausgiebig: die Quoten schnellen in die Höhe, die Marktanteile erreichen Werte, die man fast kaum glauben mag: Die ARD etwa erzielte beim Spiel der Deutschen gegen Ecuador einen Marktanteil von über 82 % – und das nachmittags um 16:00 Uhr. Auch ZDF und RTL fahren Top-Quoten ein, die alle Erwartungen übertreffen.

Die TV-Sender führen ihre guten Quoten natürlich unisono auf die „Originalität ihrer Berichterstattung" zurück. Bei der ARD etwa setzt man auf Bewährtes: Netzer und Delling analysieren im Studio in gewohnter Manier die Spiele, werfen sich die eine oder andere Garstigkeit an den Kopf und konzentrieren sich ansonsten aufs Spiel – für die Traditionalisten unter den Zuschauern ist das genau richtig. Das ZDF geht andere Wege und setzt auf Live-Stimmung statt auf Studio-Atmosphäre: Wenn Kerner, Klopp und Meier in der WM-Arena am Potsdamer Platz in Berlin über Spielzüge diskutieren, kann es schon sein, dass im Hintergrund plötzlich Hunderte von Fans johlen, wie entfesselt irgendwelche Plastik-Utensilien ins Bild schwenken und das ganze mit wilden Kamerafahrten in Szene gesetzt wird. Wer sich zur Generation „Fußball-Party“ zählt, ist beim ZDF sicher gut aufgehoben – oder noch besser bei RTL, wo die Fan-Gesänge bisweilen besser zu verstehen sind als die Kommentare der Moderatoren.

Doch wie auch immer die persönlichen Vorlieben aussehen, eines ist ganz sicher: Kein Fan wird auf ein Fußballspiel verzichten, nur weil es gerade der ungeliebte Sender überträgt. Da mögen PR-Strategen noch so sehr von WM-Konzepten, emotionaler Berichterstattung oder tollen Programm-Formaten faseln – am Ende zählt das Spiel, und genau das wollen die Fans sehen. Nicht mehr und nicht weniger.

Sie werden sehen.

PS: Reinhold Beckmann wurde bei einer Umfrage zum bisher nervigsten Kommentator der WM 2006 gewählt – er wird auch das Endspiel kommentieren…