Größenwahn-Warnung
Wer zu Zeiten des römischen Reichs mit einem Triumphzug durch die ewige Stadt geehrt wurde — und das waren in der Regel Feldherren, die das Reich vergrößert oder Feinde mit gegenteiliger Absicht erfolgreich abgewehrt hatten — dem wurde ein Lorbeerkranz aufgesetzt und er wurde unter dem Jubel der Bürger auf einem Streitwagen durch die Stadt gefahren. Hinter dem Geehrten stand während dieser antiken Konfettiparade ein Sklave, der dem Triumphator eine goldene Krone über das Haupt hielt und ihm unablässig ins Ohr flüsterte: »Bedenke, du bist nur ein Mensch«.
Wahrscheinlich ist eine solche Größenwahn-Warnung niemals besser platziert und wichtiger, als im Moment des Triumphs. Blickt man jedoch auf die Geschichte des Römischen Reichs, dann sind Zweifel an der Wirksamkeit dieser Maßnahme ganz sicher berechtigt. Aber immerhin: Die Römer haben zumindest versucht, diesem Aspekt Rechnung zu tragen.
Die Filmbranche, insgesamt nicht arm an Ehrungen und Preisverleihungen, hat derzeit so etwas wie Gala-Hochsaison — zumindest in Deutschland. Besucht man entsprechende Veranstaltungen oder sieht sie sich im Fernsehen an, dann kann sich der Gedanke aufdrängen, dass mit der sehr begrüßenswerten Abschaffung der Sklaverei leider auch die »Größenwahn-Warnung« in Vergessenheit geraten ist. Auch wenn man Talkshows oder Fernsehdiskussionsrunden anschaut, kann einem zuweilen das mit dem Größenwahn verwandte, altmodische Wort »Großmannssucht« in den Sinn kommen.
Nun soll hier beileibe niemandem die ehrliche Freude darüber vergällt werden, einen Preis zu erhalten. Sich auch mal selbst zu feiern und stolz auf eigene Leistungen zu sein — wer hätte dagegen etwas einzuwenden? Trotz allem hat die Größenwahn-Warnung ganz sicher ihre Berechtigung und ist vielleicht notwendiger denn je: auch außerhalb des investigativen Journalismus, wo sie mit abnehmender Tendenz vorkommt und außerhalb des Kabaretts, wo sie in abgewandelter und unterhaltender Form eine Rolle spielt. Vielleicht muss man als aufrechter Warner in Kauf nehmen, dass man in dieser Funktion auch ganz gern mal als Spielverderber dargestellt wird.
Sie werden sehen.
P.S. für alle Historiker, Rom- und Lateinexperten: Um den Lesefluss nicht zu stören, hat die Redaktion in obigem Editorial die griffige Übersetzung »Bedenke, du bist nur ein Mensch« gewählt, die unter anderem auch schon in einem Spielfilm zu hören war. Verschiedene Quellen sagen jedoch, dass es in Wahrheit drei Sätze waren, die der Sklave flüsterte: »Memento mori«, also: »Bedenke, dass du sterben musst«. Dann noch »Memento te hominem esse«, meist übersetzt mit: »Bedenke, dass du ein Mensch bist«. Und schließlich noch: »Respice post te, hominem te esse memento«, also »Sieh dich um, denke daran, dass auch du nur ein Mensch bist«.