Unternehmen: 20.04.2004

NAB2004: Interview mit Jan Eveleens von Thomson

Jan Eveleens, General Manager und verantwortlich für die SD- und HD-Broadcastkamera-Produktlinie, äußerte sich im Gespräch mit www.film-tv-video.de über Trends in der Kamera-Entwicklung und seine Einschätzung von HD in Europa.

? Welche Rolle spielen Solid-State-Technologie oder auch andere Kamera-Technologien in der Thomson-Produkt-Strategie?

Jan Eveleens: Der Hauptfokus liegt bei Thomson in der Solid-State-Technologie. Aus unserer Sicht wird das SD-Card-Speichermedium langfristig ebenso günstig sein wie andere Speichermedien. Die Tatsache, dass es bei Solid-State-Camcordern keine beweglichen Teile mehr gibt, spielt für Thomson ebenfalls eine wichtige Rolle, denn je weniger solcher Teile eine Kamera aufweist, desto besser.

? Wird Thomson weiterhin eng mit Panasonic zusammen arbeiten oder eigene Entwicklungen vorantreiben?

Jan Eveleens: Panasonic ist für uns seit langer Zeit ein sehr wichtiger Partner in unterschiedlichsten Bereichen, und unser Verhältnis ist noch enger geworden, seit wir im vergangenen Jahr unsere Zusammenarbeit bei P2 angekündigt haben. Wir sind auch sehr stark engagiert beim Thema Kompression, und daher es ist nur folgerichtig, im Bereich der Solid-State-Camcorder noch enger zusammen zu arbeiten.

? Warum hat Thomson nur Kameras, aber keinen eigenen Camcorder im Programm? Wird sich das bald ändern?

Jan Eveleens: Es gibt mehrere Gründe dafür. Wir haben zum einen in den vergangenen Jahren immer DVCPRO unterstützt – zwar nicht im Low-End-Bereich, aber im Bereich der News- und Drama-Produktion. Für uns als Hersteller war es im Camcorder-Bereich immer etwas schwieriger, weil wir kein eigenes Bandformat hatten. Das hatte zur Folge, dass man seine eigene Roadmap in der Entwicklung nicht wirklich kontrollieren und steuern kann. In der Folge war es sehr schwierig, dem Preisdruck Stand zu halten. Das haben wir in den vergangenen zehn Jahren gelernt.
Mit der Solid-State-Technologie wird sich das ändern: Diese Technik ist offener, man kann alle notwendigen Teile von 3rd-Party-Herstellern bekommen, man ist nicht mehr von einem einzigen Hersteller abhängig. Das macht auch einen wichtigen Unterschied zu Sonys neuem Optical-Disc-System aus. Bei einem System, das viele Hersteller unterstützen, können letztlich alle besser davon profitieren.

? Thomsons Camcorder-Strategie sieht also so aus, dass es nach wie vor Kameras gibt, die sich jedoch mit Solid-State-Aufnahmeoptionen bestücken lassen?

Jan Eveleens: Das Wort Camcorder setzt sich ja aus Kamera und Recorder zusammen, und bei den Lösungen von morgen wird es eben Kameras geben mit sehr kleinen Recorder-Units. Deshalb könnte es gut sein, dass sich der Markt verändert, gewissermaßen weg von einem speziellen Camcorder hin zu einer Kamera, die neben vielen anderen Optionen auch eine Aufnahmemöglichkeit bietet. Natürlich wird man für spezielle Anwendungen »Dedicated Camcorders« haben. Aber warum sollte ein Camcorder nicht prinzipiell auch andere Fähigkeiten haben, etwa für Networking? Das liegt bei all den IT-Möglichkeiten, die es heute schon gibt, sehr nahe. Und in Zukunft dürfte es noch mehr Optionen geben, denn mit der neuen Technologie sind plötzlich völlig neue Konzepte denkbar.

? Damit wird aber die Wettbewerbskomponente in der »Coopetition«, also der Kooperation bei gleichzeitigem Wettbewerb, zwischen Herstellern wie Thomson und Panasonic zunehmen. Ist das nicht auch ein Problem?

Jan Eveleens: Einerseits ja, aber das ist ja nicht neu: Wir haben beispielsweise schon seit längerer Zeit die Panasonic-Bandformate unterstützt, und da kämpft man immer mit dem Problem, dass man einerseits kooperiert, aber auch im Wettbewerb zueinander steht. Das ist letztlich normal in unserer Branche. Das macht aber gerade den Charme der Solid-State-Technologie aus: Da arbeiten die Unternehmen einerseits sehr eng zusammen, etwa bei Standards und Formaten, und vielleicht auch bei mechanischen Fragen, aber man hat dennoch deutlich mehr Freiheit bei der Auswahl der Komponenten, die man verwendet, und auch bei der Entwicklung der Applikationen, die man auf dieser Basis konzipiert.

? Sonys Optical-Disc-System ist technologisch weniger revolutionär als das Solid-State-Konzept, erfordert aber weder von den Kunden, noch von den Händlern dramatische Einschnitte in der Arbeitsweise. Wie lautet hier Ihre Einschätzung und welche Rückmeldung bekommen Sie zu diesem Thema von Ihren Kunden?

Jan Eveleens: Das ist eine schwierige Frage, und letztlich kann ich auch keine Antwort darauf geben. Die Zeit wird hier die Antwort geben. Ich glaube aber, dass sich das auch von einer anderen Perspektive aus betrachten lässt: Die Frage ist doch, ob sich der Markt tatsächlich sofort ändern muss. Schließlich wird es das Band noch eine ganze Weile geben, Band ist ja immer noch eine gute, bewährte Lösung. Die meisten Kunden werden nicht sofort umstellen, sondern abwarten und erst im Laufe der Zeit entscheiden, welches System oder Format für sie am besten funktioniert.
Unsere Kunden signalisieren klar: »Wir wissen, dass wir bestimmte Dinge und Abläufe bei uns ändern müssen, aber wir sind noch nicht sicher, was genau wir tun werden«.
Die Kunden wissen, dass es es Änderungen geben wird und muss, aber sie fürchten auch die Auswirkungen dessen auf ihre Workflows und werden wohl deshalb ihre Entscheidung so lange wie möglich hinaus zögern. Vor diesem Hintergrund haben sie letztlich auch keinen unmittelbaren Vorteil, wenn sie sich jetzt für Sonys Optical-Disc-System entscheiden.

?Wie lange wird sich Band aus Ihrer Sicht noch halten?

Jan Eveleens: Band wird wohl innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre nach und nach verschwinden, aber aktuell dominiert es den Markt noch. Das wird auch im nächsten Jahr noch so sein, soviel ist sicher. Man muss sich auch nur ansehen, wie lange es gedauert hat, bis sich HD zu einem größeren Thema entwickelt hat. Und diese Entwicklung ist auch noch längst nicht abgeschlossen. Es braucht einfach Zeit, bis der Markt die Vorteile erkennt und so eine Entwicklung auch akzeptiert. Band wird sich auf jeden Fall noch recht lange halten,und vielleicht wird es länger existieren, als wir im Moment für möglich halten.

? Welche Rolle spielt die CMOS- Technologie in der Thomson-Kamera-Strategie?

Jan Eveleens: Es gibt verschiedene Gründe, weshalb CMOS in der Branche als Ersatz für CCD-Technologie diskutiert wird. So wird beispielsweise davon ausgegangen, dass CMOS-Chips die Produktion von Kameras billiger macht. Ein weiterer Vorteil der CMOS-Technologie ist, dass man viel Teile der Kamera-Signalverarbeitung direkt auf dem CMOS-Sensor integrieren kann, so dass man mit geringerem Stromverbrauch auskommt.
Allerdings gibt es auch Einschränkungen: Für eher consumer-orientierte Lösungen ist CMOS derzeit sicher eine denkbare Alternative. Im High-End-Bereich oder bei HDTV-Kameras gibt es jedoch noch etliche offene Fragen. Die Lösung dieser Probleme ist natürlich entwicklungs- und kostenintensiv, so dass es fraglich bleibt, ob sich unter diesen Bedingungen CMOS-Chips für den High-End-Kameramarkt tatsächlich so günstig produzieren lassen, wie erhofft. Es gibt in der Branche diesen Irrglauben, dass man mit CMOS-Technologie Sensoren für ein paar Dollar produzieren und damit High-End-Kameras bestücken kann. Ich kann Ihnen jedoch versichern: das ist nicht der Fall.

? Was sind denn die Hauptprobleme?

Jan Eveleens: Es gibt Probleme beim Dynamikumfang und auch beim Highlight-Handling. Dann kann es bei CMOS-Kameras Probleme beim Schwenken geben, sichtbar durch Blockbildung. Es gibt also noch etliche Processing-Fragen, die es zu lösen gilt. Natürlich ist das alles machbar, aber es braucht Zeit.
Es wird daher sicher noch etliche Jahre dauern, bis auch professionelle High-End-Kameras wie eine LDK-6000 mit CMOS-Technologie ausgerüstet werden könnten. Was ebenfalls gerne vergessen wird: Wenn HD mit CMOS realisiert werden soll, gibt es ein Problem, weil man auf 2/3 Zoll beschränkt ist. Wenn man alle Pixel, die bei HD notwendig sind, auf einem 2/3-Zoll-Chip unterbringen will, benötigt man spezielle Technologien, die dazu überhaupt in der Lage sind. Im nächsten Schritt muss man diese Technologien noch optimieren – und das braucht eben Zeit.

? Entwickelt Thomson auch selber CMOS-Chips?

Jan Eveleens: Es war immer schon Thomson-Strategie, eigene Chips zu entwickeln, und wir werden das auch weiterhin tun, denn das hat uns immer einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschafft.

? Wie schell sird sich HD in Europa duchsetzen?

Jan Eveleens: Da sehen wir eine interessante Entwicklung: Noch vor zwei Jahr war es praktisch unmöglich, bei den Broadcastern Termine zu bekommen, um etwas zum Thema HD zu präsentieren. »Das brauchen wir nicht, uns interessiert nur SD-Technik,« war dabei die Standardantwort. Im Jahr 2003 hat sich der Wind dann gedreht. Da wurden wir immer häufiger gefragt, welche Rolle HD bei unseren Produkten spielt, wie HD sich weltweit entwickelt und so weiter.
Mittlerweile sind wir an einem Punkt, an dem wir HD-Ü-Wagen planen und anbieten. Natürlich gibt es schon seit längerem einige HD-Trucks in Europa, aber jetzt kommen auch Anfragen von Broadcastern, die ihre eigenen HD-Ü-Wagen möchten. Wir erleben nun also den nächsten Schritt dieser Entwicklung.
Wir rechnen nicht damit, dass die Broadcaster nun rasch ihre kompletten Studios auf HD umstellen werden. Dennoch: ein Studio sollte mindestens 10 Jahre lang halten, und Broadcaster, die jetzt investieren müssen, denken durchaus über längere Zeiträume nach und müssen sich jetzt die Frage stellen, was passieren wird, wenn Sie ihr Studio nur auf der Basis von SD planen. Wenn sich nach einer Investition innerhalb der nächsten 10 Jahre herausstellt, dass diese Investion falsch war, ist das ein großer und vor allem sehr teurer Fehler für einen Sender.
In Deutschland wird im Jahr 2006 die Fußball-Weltmeisterschaft in HD produziert, HD wird also spätestens dann auch für die Broadcaster ein großes Thema sein.

? Aus Thomson-Sicht ist also die Multiformat-Fähigkeit der Produkte sehr wichtig?

Jan Eveleens: Ja. Und ich denke, dass die Entwicklung in den USA auch die in Europa beeinflussen wird. Wir können hier nicht ignorieren, was in den USA passiert, denn früher oder später werden wir auch in Europa diese Auswirkungen mitbekommen: HD-Fernseher werden billiger, es wird mehr und mehr HD-Programme geben. Ich denke, man kann es darauf reduzieren: 2003 markierte einen Wendepunkt in der HD-Entwicklung, denn innerhalb eines einzigen Jahres veränderte sich die Stimmung gegenüber HD von »uninteressant für uns«, hin zu »wir beschäftigen uns damit«.

? Wie reagieren denn die deutschen Broadcaster auf diese Entwicklung?

Jan Eveleens: Es gibt auf jeden Fall zunehmende Anfragen, und zwar nicht nur von den Privatsendern, sondern auch von den öffentlich-rechtlichen Sendern, denn die müssen für längere Zeiträume planen, während die Privaten eher dazu tendieren, kurzfristiger zu agieren.

? Gibt es denn auch von den deutschen TV-Dienstleistern und Ü-Wagen-Betreibern Nachfragen?

Jan Eveleens: Ja, wir haben einige Anfragen. Schließlich gehen die interessanten HD-Jobs derzeit praktisch alle an Firmen und Anbieter außerhalb Deutschlands. Doch gerade diese »Premium-Jobs« sind nun mal am lukrativsten und auch am Prestige trächtigsten, aber derzeit wickeln dieses Geschäft nur nicht-deutsche Firmen ab, etwa Alfacam oder Vision. Deshalb gibt es bei den deutschen Anbietern die Furcht, dass sie hier eine Entwicklung verpassen und gewissermaßen nur zweite Kraft werden.
Außerdem wirft natürlich die WM ihre Schatten voraus, denn wer bis 2006 einen HD-Truck möchte, muss jetzt mit der Planung beginnen. Man kann also sagen, dass die Kunden planen – auch wenn sie noch nicht bestellen. Aber ich würde mich nicht wundern, wenn wir in diesem Jahr auch von deutschen Kunden einige Bestellungen entgegen nehmen dürfen.