Von Wysiwyg zum »Serviervorschlag«
Wysiwyg – What you see is what you get. Ganze Generationen von Computeranwendern huldigten einst diesem Begriff, der mittlerweile fast etwas in Vergessenheit geraten ist. Wysiwyg, das war eine oft unerreichte Vision, eine Ziellinie, aber gleichzeitig auch das ultimative Nutzwert-Versprechen: Welcher Kunde, welcher Verbraucher – und in letzter Konsequenz sogar: welcher Mensch – würde das nicht wollen: Klarheit, Durchblick, sicht- und greifbare Ergebnisse, die Übereinstimmung von Plan und Realität.
Schon zu Wysiwig-Zeiten galt, dass die meisten Software-Demos mehr Schein als Sein repräsentierten, dass die vorgeführte Pseudowirklichkeit mit der Realität manchmal nur wenig gemeinsam hatte. Wer einmal hinter die Kulissen eines Messestandes blickte, der weiß, wie weit Wunsch und Wirklichkeit auseinander liegen können.
Vielleicht ist es zu pessimistisch, vielleicht ein Zeichen beginnender Alterssenilität: Man kann aber schon den Eindruck gewinnen, dass sich hier in den vergangenen Jahren einiges zum Schlechteren entwickelt hat. Das Vorspiegeln und Täuschen hat sich breiteren Raum in vielen, ganz unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft erobert. Um ein plastisches Beispiel zu geben: Kaum ein Produkt konterkariert in seiner Gesamtheit den Wysiwyg-Gedanken so sehr, wie ein Push-Up-BH.
Auch in anderen Bereichen ist man unter diesem Aspekt schon wesentlich weiter als in der Technik, etwa in der Nahrungsmittelindustrie. Dort reicht es den Herstellern längst nicht mehr, mit Farbstoffen, Konservierungsmitteln und Geschmacksverstärkern etwas vor zu gaukeln, was eigentlich gar nicht da ist. Zusätzlich gibt es noch den »Serviervorschlag«. Dieser Begriff kaschiert die Differenz zwischen dem, was man tatsächlich in der Packung findet und dem, was außen abgebildet ist: Statt gräulichem, gehäckseltem Press-Thunfisch in der Dose ein leckeres, rosafarbenes, mit frischem Gemüse und einem Klecks Soße dekoriertes Thunfischfilet. Statt lappiger, geschmacksneutraler Formfleischscheiben in Plastikfolie ein saftiges, mit Salat und Tomate belegtes, kroß getoastetes Schinkensandwich. Es muss nur einfach in mikroskopisch kleiner Schrift »Serviervorschlag« daneben stehen, dann hat rein rechtlich alles seine Richtigkeit.
Und was hat all das mit unserer Branche zu tun? Vielleicht mehr, als wir wahrhaben wollen, denn die reine Leistungsfähigkeit der Technik, also das, was in der Verpackung drin steckt, spielt bei den meisten Investitions-Entscheidungen schon längst nicht mehr die wichtigste Rolle.
Wenn Sie also im neuen Jahr ein einzelnes Gerät oder auch ein ganzes Sendezentrum bestellen, halten Sie besser genau Ausschau, ob im Angebot oder auf der Verpackung nicht irgendwo ganz klein »Serviervorschlag« oder ein Äquivalent dazu steht. Sonst kriegen Sie vielleicht etwas ganz anderes, als Sie glauben geordert zu haben – und stehen am Ende mit sehr viel Zusatzarbeit alleine in der Küche. Beispiele dafür gibt’s genügend.
Wysiwyg, Sie werden sehen.