»Streaming for the masses«
John Molinari, Chef von Media100, benutzte während der NAB2000, also vor gut 18 Monaten diese plakative Phrase, um zu unterstreichen, dass sein Unternehmen voll und ganz auf Streaming setze und hierbei ein großes Wachstum in die Breite anstrebe. Nun gab Autodesk bekannt, dass Media100 seine komplette Streaming-Software-Produktlinie für 16 Millionen US-Dollar an die Autodesk-Tochter Discreet verkauft. Zusätzlich zur Cleaner-Software-Familie übernimmt Discreet zu diesem Preis auch die Editing-Einsteigerprogramme EditDV, IntroDV und das darauf aufbauende CineStream und EventStream. Bei Media100 bleiben die Editing- und MPEG-Encoding-Systeme. Damit dürfte das Thema »Streaming für die Massen« für Media100 erledigt sein.
Es ist der Versuch eines Befreiungsschlages. Dass Media100 angeschlagen war, spiegelte der Aktienkurs wider, der zuletzt unter einen Dollar fiel. Etliche Branchen-Insider qualifizierten Media100 in den vergangene Monaten als Übernahmekandidaten, den aber niemand haben wollte. Nun hat sich Autodesk herausgepickt, was man brauchen kann, um eigene Lücken im Portfolio zu schließen: Streaming-Tools und preisgünstige DV-Editing-Lösungen. Das passt, denn um das groß angekündigte Discreet-Projekt »Neptune« war es eher still geworden und eine preisgünstige DV-Editing-Lösung, die man unterhalb des Discreet-Schnittsystems Edit platzieren kann, rundet die Palette ab und stellt den hier aktiveren Wettbewerbern Avid, Fast und Pinnacle etwas entgegen.
Für Autodesk sicher kein schlechter Deal: Schlappe 16 Millionen Dollar kostet diese Übernahme. Zum Vergleich: Avid bezahlte vor ungefähr drei Jahren rund 280 Millionen Dollar für Softimage, wenn auch nicht in Cash, sondern zum Großteil in eigenen, damals deutlich überbewerteten Aktien. Auch in anderen Aspekten lassen sich die beiden Deals nicht direkt vergleichen, den Avid griff aus der Sicht der meisten Branchenkenner damals schon viel zu tief in die Tasche und kaufte letztlich auch etwas ganz anderes. Aber der relativ niedrige Kaufpreis, den Autodesk nun an Media100 bezahlt, drückt doch zwei Dinge recht unverblümt aus: Zum einen, welches Potenzial dieser Technologie derzeit eingeräumt wird und zum anderen, in welch verzweifelter Lage sich Media100 in den Verkaufsverhandlungen befunden haben muss.
John Molinari, der CEO von Media100, übt sich nun in Rückzugs-Rhetorik: »Wir sind überzeugt von dem Schritt, die Streaming-Media-Software-Produkte an Discreet abzugeben – eine folgerichtige Entscheidung, um die Streaming-Technologie weiter voranzubringen.« Die Übergabe des Staffelstabes also? Soll nun Discreet »Streaming for the masses« realisieren?
Das dies geschieht, ist eher unwahrscheinlich, denn die Entwicklung bei Media100 bestätigt letztlich eine Einschätzung, die auch die Redaktion von www.film-tv-video.de teilt: Streaming ist kein Massenmarkt, zumindest noch nicht, und reine Streaming-Kompressions-Tools, wie Cleaner eines ist, sind mittelfristig keine eigenständigen Produkte, sondern werden sich zu Bestandteilen anderer Softwares entwickeln, werden als integrierter Teil von Browsern, Editing- und Authoring-Systemen angeboten.
Häme oder Besserwisserei gegenüber Media100 ist indessen völlig unangebracht: Der Markt hat sich eben nicht so entwickelt, wie man es in der Unternehmensspitze erwartet hatte. Das passiert auch anderen, viel größeren Firmen in ruhigeren Märkten, wie viele Anleger beim Blick auf ihre Aktiendepots derzeit schmerzlich spüren. Zunächst hatte John Molinaris Shopping-Tour ja offenbar auch die Anleger und Investoren überzeugt: Die Firmenübernahmen von Terran Interactive, Wired, Digital Origin und Ice wurden weitgehend als zukunftsträchtige Chancen bewertet, mit denen es gelingen könnte, Media100 aus dem Schatten von Avid heraustreten und gegenüber Pinnacle an Profil gewinnen zu lassen. Man setzte auf einen potenziell riesigen Massenmarkt, aber der ist zumindest bislang nicht entstanden. Für Media100 bleibt zu hoffen, dass der in jüngster Zeit in den Hintergrund getretene Editing-Bereich nun wiederbelebt werden kann.
Die derzeit frostige Marktstimmung bei Postproduction-Systemen ist allerdings wenig geeignet, weitere Blütenträume zu befördern, sie verlangt aber um so mehr nach marktkonformen Lösungen. Sie werden sehen.