Ganz oben: »Everest«
Der Kinofilm »Everest« erzählt die Geschichte eines Bergsteigerunglücks im Jahr 1996, als acht Alpinisten bei der Besteigung des Mount Everest ums Leben kamen. In der Postproduction dieses Stereo-3D-Spielfilms war Avids Media Central Plattform im Einsatz.
Baltasar Kormákurs Film »Everest« beschreibt die katastrophalen Umstände eines Unglücks am höchsten Berg der Welt, bei dem am 10. und 11. Mai 1996 insgesamt acht Bergsteiger starben. Der Film folgt den Wegen von zwei zum Scheitern verurteilten Expeditionen in Richtung Gipfel und porträtiert dabei nicht nur die Spannungen zwischen den Teilnehmern, sondern vor allem die immensen Herausforderungen, vor denen sie standen. Innerhalb der sogenannten Todeszone überraschte sie ein verheerender Schneesturm, der die Sicht auf nahezu Null reduzierte. Zusätzlich zum schlechten Wetter sorgten im Mai 1996 unzureichende Absprachen, schlechte Vorbereitung und fehlgeleiteter Ehrgeiz in einer der feindseligsten Umgebungen der Erde dafür, dass der verhängnisvolle Gipfelsturm an diesen verhängnisvollen Tagen acht Menschenleben forderte — darunter die von Rob Hall und Scott Fischer, zwei erfahrenen Bergführern.
Für seinen Film verpflichtete der isländische Regisseur zahlreiche Schauspieler aus der ersten Riege der Hollywood-Prominenz, darunter Emily Watson, Keira Knightley, Josh Brolin und John Hawkes. Jason Clarke (»Zero Dark Thirty«) übernahm die Rolle des legendären Expeditionsleiters Rob Hall, während Jake Gyllenhaal (»Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis«, »Jarhead – Willkommen im Dreck«, »Brokeback Mountain«) seinen Freund und Counterpart Scott Fischer spielt.
Materialschlacht am Media Composer
Als Editor konnte Baltasar Kormákur Mick Audsley (»12 Monkeys«, »Mona Lisas Lächeln«, »Harry Potter und der Feuerkelch«) gewinnen, der angesichts eines Bergs von Material ebenfalls einen anspruchsvollen Weg vor sich hatte: Er musste nicht nur den Überblick über Footage und Erzählstränge behalten, sondern auch eine reibungslose Postproduktion mit verschiedenen Teams und an verschiedenen Locations sicherstellen. Unterstützt wurde er vom renommierten Tonmeister und Supervising Sound Editor Glen Freemantle, der 2009 den British Academy Film Award für den Film »Slumdog Millionär« und 2014 den Oscar für »Gravity« bekam. Er und sein eingespieltes Team machten sich an die Herausforderung, die Geräuschkulisse und die Atmosphäre des unwirtlichen Gebirges zu reproduzieren. Sowohl Audsley als auch Freemantle setzten bei der Umsetzung auf Lösungen von Avid.
Für Audsley stand dabei von Anfang an außer Frage, dass er auf dem Media Composer schneiden würde. Er arbeitet schon seit »Mona Lisas Lächeln« vor 12 Jahren mit der Lösung. Beim Projekt »Everest«, mit dem er fast ein Jahr beschäftigt war, arbeitete er zum ersten Mal mit Regisseur Baltasar Kormákur zusammen. Für den Director’s Cut verbrachte das Team dreieinhalb Monate in Island, der Heimat des Regisseurs.
»Eine Menge Leute kennen die Grundzüge der Geschichte, weil einige der Überlebenden der Katastrophe Bücher darüber geschrieben haben. Gerade deshalb muss man es schaffen, die Spannung für das Publikum aufrecht zu erhalten, und dazu braucht man Geschick und ein schnelles Erzähltempo. Es ist ein Balanceakt zwischen dem Erzählen kraftvoller individueller Geschichten und dem Honorieren bekannter Wahrheiten«, betont Audsley.
Gedreht wurde der Film innerhalb von 18 Wochen am Fuß des Himalaya in Nepal sowie an verschiedenen Orten in den italienischen Alpen. Die charakteristischen Szenerien aus dem Himalaya wurden in Großateliers nachgestellt: Das Basecamp wurde in den Cinecittà-Studios in Rom nachgebaut, in den Pinewood Studios in Großbritannien kam tonnenweise Salz zum Einsatz, um den düsteren Gipfel und die höchsten Bergrücken des Mount Everest zu simulieren.
Mick Audsley musste sich über lange Strecken auf seine Vorstellungskraft verlassen: Da große Teile des Films vor Green Screen aufgenommen wurden, musste viel von dem Material quasi blind geschnitten werden, noch bevor das Team den fertigen Background gesehen hatte. »Für die meiste Zeit der Produktion sah es nicht aus wie die finale Version«, erinnert sich Audsley. »Die zusätzlichen Layer im Media Composer lassen temporäre Special Effects zu. Dadurch hatten wir zumindest eine ungefähre Vorstellung von dem Hintergrund, was das Erzählen der Geschichte definitiv einfacher gemacht hat.«
Während der Drehs in Rom und Pinewood arbeiteten Audsley und sein Team parallel schon am Schnitt – und bekamen jeden Tag fünf bis sechs Stunden neues Material zugeschickt. Ein typisches Set-Up für das Editing bestand aus dem Cutter und seinen zwei Assistenten, deren Aufgabe es war, das Footage zu sichten, zu loggen und zur weiteren Bearbeitung in verschiedenen Ordnern auf insgesamt drei Media-Composer-Systemen abzulegen. Ein Isis-Zentralspeichersystem unterstützte die Echtzeit-Zusammenarbeit zwischen den Teams. »Das Arbeiten mit dem Zentralspeichersystem hat wunderbar geklappt. Wir sind bei Everest zu den Basics des Filmschnitts zurückgekehrt und haben hier sehr handwerklich gearbeitet. Die umfassende Lösung von Avid hat uns hier geholfen, schnell auf das benötigte Material zuzugreifen, wo und wann auch immer wir es brauchten«, fügt Audsley hinzu.
Auf dem Gipfel des kreativen Prozesses
Da die Geschichte auf wahren Begebenheiten basiert, gab es ausführliche Diskussionen zur Belastbarkeit des Publikums. »Wenn man einen Film schneidet, dem eine tatsächliche stattgefundene Katastrophe zugrunde liegt, dann muss man sich jeden Tag daran erinnern. Wenn man sich von den reinen Fakten entfernt, dann muss man verstehen, warum das so ist und ob es der beste Weg für die Story ist. Manchmal muss man die Wahrheit ein wenig verwischen, da die wirklichen Ereignisse nicht immer in den Erzählstrang des Films passen. Es geht am Ende darum, die verschiedenen Geschichten innerhalb des Films am effektivsten zu erzählen«, resümiert Audsley.
Nach vielen Diskussionen und ersten internen Screenings mit einigen Freunden und Kollegen fand die erste Vorführung mit den fertiggestellten Spezialeffekten in Sherman Oaks in der Nähe von Los Angeles im Januar 2015 statt. »Dabei haben wir zum ersten Mal wirklich ein Gefühl dafür bekommen, wie die Geschichten von Leben und Tod der einzelnen Bergsteiger ineinander verwoben sind und wie sie sich dem Zuschauer als eine einzige Geschichte präsentieren«, sagt Audsley. »Es hat dem ganzen Team inklusive Baltasar einen Eindruck vermittelt, wie sie auf die Zuschauer wirkt. Bei einem Film wie Everest ist die Ausgewogenheit von Beschreibung und Erzählung unglaublich wichtig, um sowohl der Geschichten den Toten als auch der der Überlebenden gerecht zu werden. Ich hoffe, dass wir genau das im finalen Schnitt geschafft haben.«
Welche Geräusche macht ein Berg?
Währenddessen standen Sounddesigner und Supervising Sound Editor Glenn Freemantle und sein Team vor der Herausforderung, mit Hilfe von Pro Tools und der Oberfläche Avid Pro Tools S6 nicht nur den perfekten Sound für den Film zu kreieren, sondern auch einen reibungslosen Workflow zu etablieren.
»Ich bin mir in diesem Punkt mit Nick völlig einig«, unterstreicht Glenn Freemantle. »Wir mussten den Sound so nah an der Realität wie möglich designen, aber das für einen zweistündigen Film zu machen und dabei nur reale Vorlagen zu verwenden, ist eine große Herausforderung. Es ging darum, es einfach zu halten. Wir sind unserem Konzept gefolgt und mussten zwischendurch ein paar schwierige Entscheidungen treffen, waren uns dabei aber immer bewusst, dass wir nicht zu viele Zutaten in den Mix werfen dürfen.«
Um die Geräuschkulisse und die am Everest herrschende Atmosphäre wirklich begreifen und verstehen zu können, hatte das Team in rund 5.300 m Höhe am Basecamp Mikrofone installiert, um die Soundeffekte aufzuzeichnen, die durch das unberechenbare Wetter entstehen. »Ähnlich wie bei unserem Sounddesign für "127 Hours" sind wir den extremen Weg gegangen und haben tatsächlich 24 Stunden am Tag die Geräusche am Berg aufgezeichnet. So haben wir ein Gefühl für die Nuancen bekommen und hatten einen guten Ausgangspunkt für unsere Arbeit«, erläutert Freemantle. Unglückseligerweise musste die Dauer dieser Aufnahmen verkürzt werden, als das Basecamp nach dem katastrophalen Erdbeben in Nepal, bei dem auch 19 Bergsteiger um Leben kamen, vorübergehend geschlossen wurde.
Eine besondere Herausforderung war der mit dem Storytelling verbundene Sound. »Wir haben nicht nur die gesamte Geräuschkulisse im Studio neu aufgesetzt, sondern auch rund 98 Prozent der Dialoge neu aufgenommen. Die Schauspieler in den ADR-Studios haben hier wirklich alles gegeben und Re-Recording neu definiert. Sie haben Bleigurte um ihren Brustkorb geschnallt, mehrere Sets von Liegestützen mit zusätzlichem Gewicht gemacht und sogar auf dem Boden liegend die Dialoge eingesprochen, um die körperlichen Strapazen der Bergsteiger überzeugend nachempfinden und aufnehmen zu können. Das war wirklich eine besondere Erfahrung«, erinnert sich Freemantle.
Sounddesign mit Gefühl
Dadurch, dass dem Team auch die Aufnahmen der echten Funksprüche vom Unglückstag am Everest vorlagen, bekam das Sounddesign für den Film eine ungewöhnliche Dimension. »Es war wirklich schwierig, diesen sehr emotionalen Funksprüchen zuzuhören. Wir haben anfangs mit allen Mitteln versucht, diese Original-Funksprüche zu reproduzieren, aber irgendwann haben wir gemerkt, dass sie für das Publikum nicht die wahren Charaktere und ihre persönlichen Geschichten transportieren«, so Freemantle. »Im finalen Mix haben wir deshalb einen einfacheren Ansatz gewählt, der besser zum filmischen Stil von Kormákur passt.«
Für Sound Design Editor Niv Adiri war es besonders wichtig, dem Zuschauer das Gefühl zu geben, mitten im Geschehen zu sein. »Für Close-ups war es wichtig, die Zuschauer den Schmerz fühlen zu lassen, den die Teilnehmer der Expedition an diesem schrecklichen Tag gefühlt haben. Abgesehen davon haben wir unzählige Stunden damit verbracht, die verschiedenen Schneegeräusche zu perfektionieren. Um eine Auswahl von Sounds zu haben, die den Klang so authentisch wie möglich wirken lassen, haben wir Jacken eingefrore, sowie echten Schnee und große Eisblöcke kommen lassen, um so diese Geräusche, die oft überhört werden, nachbilden zu können. Es gibt tatsächlich eine zwanzigminütige Sequenz komplett ohne Musik, bei der der furchtbare Sturm zu hören ist und einen einfach umhaut. Wir mussten hier die verschiedenen Intensitäts-Level des Sturms in dieser düsteren und aussichtslosen Situation rekonstruieren.
»Neuvertonungen waren früher mit einer Menge Einschränkungen verbunden«, ergänzt Re-Recording-Mixer Ian Tapp. »Wir haben damals alles sequenziell gemacht, und die Erwartungen daran waren nicht besonders hoch. Pro Tools hat diese Einschränkungen aufgehoben und ermöglicht uns heutzutage eine unbegrenzte kreative Freiheit und gewerke-übergreifende Zusammenarbeit.«
Höhepunkte des Storytellings
»Aus Editorensicht war der Film in wesentlichen Teilen Teamwork«, sagt Audsley. »Der Media Composer hat es uns ermöglicht, auf einem Level zusammenzuarbeiten, das ich nie für möglich gehalten hätte. Es war mir eine Ehre, an diesem Film mitzuwirken und mit Baltasar zusammenzuarbeiten — und ich hoffe, dass wir alles getan haben, um diesen sehr realen und faszinierenden Geschichten gerecht zu werden.«
»Wir sind Everest anders angegangen als andere Projekte«, fügt Freemantle hinzu. »Wir haben komplexe Sound-Welten erschaffen, damit die Zuschauer genau das fühlen können, was die zum Untergang verurteilten Kletterer erlebt haben, genau so, als wären sie mit ihnen auf dem Berg. Wir haben uns sehr bemüht, durch den Film hindurch eine Dynamik zu entwickeln, dabei die Emotionen während dieser furchtbaren Tragödie zu porträtieren und gleichzeitig sicherzustellen, dass der Sound die Gefühle und Befindlichkeiten richtig widerspiegelt. Beim Betrachten von Everest soll der Zuschauer sich unwohl und eingeschüchtert fühlen. Die gewaltige Soundkulisse trägt dazu bei, dass man den Film wirklich fühlt. Es ist anstrengend, den Film zu sehen: Hier sind reale Menschen in doppelter Hinsicht am Abgrund und sterben, und das in einer fremden, feindlichen Umgebung, die größer ist als alles, was wir uns auch nur ansatzweise vorstellen können.«
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