Es gilt das geschriebene Wort?
Dieser Tage stellte Transparency International in Deutschland das »Korruptionsbarometer 2013« vor. Für die Zahlen, die in dieser Studie zu finden sind, wird in 107 Ländern die Bevölkerung befragt, für wie korrupt sie bestimmte Bereiche hält. Man muss nicht viel Fantasie haben, um darauf zu kommen, dass es in Deutschland — ob berechtigt oder nicht — die politischen Parteien auf Platz 1 geschafft haben, ganz so wie in vielen anderen Ländern auch. Auf Platz 2 folgt dann die Privatwirtschaft. Und mit Platz 3 ebenfalls auf dem Podest: die Medien (und somit auch film-tv-video.de und die meisten unserer Leser).
Das finden wir als Betroffene in mehrfacher Hinsicht interessant. Dass viele Print-Magazine und vor allem Tageszeitungen aufgrund der schwindenden Anzeigen vor schwierigen Zeiten und teilweise sogar vor dem Aus stehen und in Folge dessen der Journalismus in den vergangenen Jahren stark gebeutelt wurde, ist leider keine Neuheit. Dass angesichts dieser Situation Anzeigenabteilung und Redaktion oftmals viel enger verflochten sind, als das der unabhängigen Berichterstattung zuträglich ist, wird wohl kaum jemanden verwundern — vor allem nicht aus der Privatwirtschaft (Platz 2), denn die steht ja sozusagen neben der Politik (Platz 1) auf der Gegenseite schräger Deals im Medienbereich. Diese Aspekte sollen hier aber gar nicht im Zentrum stehen: Den Abgesang auf die Branche ganz allgemein und den Journalismus im Besonderen stimmen wir dann vielleicht im Herbst wieder an, wenn die Tage kürzer und kälter werden …
Viel interessanter finden wir heute die Frage, wie sich parallel zu den klassischen Informationsplattformen die neuen Medien und Kanäle so entwickeln konnten, dass Ihnen viele Menschen derzeit offenbar viel mehr Glauben und Vertrauen schenken, als den klassischen Medien.
Von den Menschen, die etwa bei Amazon eine neue Espressomaschine kaufen wollen, glaubt offenbar eine große Zahl Nutzern, die sich beispielsweise Vanilli« nennen und finden, dass die Crema der neuen Gaggia absolut fantastisch sei. Wer aber ist »Vanilli«? Könnte nicht sogar der Name schon ein Hinweis auf den Playback-Skandal um die Band »Milli Vanilli« und somit das Sprechen mit falscher Stimme sein? Egal: Schon nach kurzer Zeit kann es passieren, dass viele Amazon-Kunden »Vanillis« Bewertung besonders nützlich finden. Und wenn dann noch »Grizzlybär« ergänzt, dass er besonders von der guten Verarbeitung und dem tollen Design der Maschine beeindruckt sei, scheint sich niemand die Frage zu stellen, ob »Grizzlybär« eventuell jeden Monat sein Gehalt von der besagten Firma erhält.
Ähnliches findet in der Blogger-Szene statt — die wir hiermit keineswegs pauschal über einen Kamm scheren wollen, die aber mittlerweile ebenfalls durchaus seltsame Auswüchse zeigt. Einige der Blogger haben es — aus zumindest für uns letztlich unerfindlichen Gründen — zu Guru-Status gebracht, der von den jeweiligen Anhängern nicht mehr hinterfragt wird. Wenn der große Meister schreibt, dass die neue Kamera »absolutely awesome« und ein totaler »game changer« sei, dann ist das eben so.
Worauf sich der Ruhm des Bloggers begründet, rückt meist in den Hintergrund. Vielleicht ist sein bisher bedeutendstes Werk das »Making of« des »Making ofs« eines Films, den keiner kennt. Vielleicht war er mal als Praktikant am Set eines Cameron-Films. Vielleicht verdient er aber letztlich auch sein Geld damit, dass er mal für diesen und mal für jenen Hersteller einen gesponserten Film dreht und diesen anschließend in Seminaren und Workshops zum Ruhme der jeweiligen Equipment-Hersteller präsentiert. »Wes Brot ich ess, des Lied ich sing« in Reinform — aber hier stört es offenbar keinen: weder die Fangemeinde, noch die Hersteller.
Im Zenit seines Ruhms muss der Blogger-Star gar nicht mehr begründen, weshalb denn der Camcorder X oder der Slider Z so »amazing« und »game changing« sind — es reicht, wenn er dahinraunt, dass sie — möglicherweise wegen seines Einflusses in der Entwicklungsphase — es eben einfach sind.
Journalisten und Medien sind also korrupt, aber Blogger einerseits und Bewerter oder Kommentatoren bei Amazon oder anderen Handelsportalen andererseits, sind unbestechlich und sprechen ebenso die Wahrheit, wie man sie über Twitter und Facebook quasi »direkt aus der Quelle« erfährt? Wieso sollen die Facebook-Posts von »Fanta Sia« zu Indie-Konzerten, glaubhafter und realistischer sein, als der gedruckte Kommentar eines Musikredakteurs? Und woran erkennen wir den Wahrheitsgehalt, die Authentizität und den Hintergrund von Tweets, die in eine laufende TV-Sendung eingeblendet werden?
Vielleicht befinden wir uns nur in einer Übergangsphase und es dauert halt noch, bis alle gelernt und begriffen haben, dass auch in der Internet-Welt der sozialen Medien die meisten der alten Gesetze der Informationsvermittlung weiterhin gelten? Und vielleicht muss jeder erst einmal am eigenen Leib erfahren, dass ihm selbst die von »Vanilli« gelobte Crema vielleicht doch gar nicht so toll vorkommt?
Sie werden sehen.