ARD/ZDF: Bandlos-Workflow bei Olympia und Euro 2012
ARD und ZDF haben bei der Übertragung der Olympischen Spiele und der Fußball-Europameisterschaft 2012 mit einem komplett bandlosen Workflow gearbeitet. Das Produktionssystem basierte auf einer vernetzten Umgebung aus Avid-, EVS- und Fairlight-Systemen. film-tv-video.de hat sich mit ZDF-Planungsingenieur Robert Copot vom Team Sonderprojekte über den Bandlos-Workflow in der Aufzeichnung und Bearbeitung unterhalten.
ARD und ZDF produzieren die großen Sport-Events wie Olympia oder Fußball-Welt- und Europameisterschaften seit Jahren mit hohem technischen Aufwand. Bei der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine wie auch bei den Olympischen Spielen in London setzten die beiden Sender auf ein bandloses und vernetztes Produktionssystem, das nun schon bei einigen Großevents im Einsatz war und über die Jahre ständig weiterentwickelt und verfeinert wurde. Den Kern des Systems bildet eine vernetzte Umgebung aus Avid-, EVS- und Fairlight-Systemen. Intern wird bei dem Produktionsystem durchgänging und ausschließlich im DNxHD-120-Codec in 1080i50 gearbeitet. film-tv-video.de hat sich das System bei der TV-Produktion der Olympischen Spiele in London angesehen.
Avid/EVS-Setup
Die Grundlage der Berichterstattung von ARD und ZDF bildete in London wie auch in Warschau das vom Host-Broadcaster produzierte Material. Die Feeds der einzelnen Venues, wie auch das Material der zusätzlichen, eigenen Kameras, liefen bei ARD und ZDF im Ingest auf und wurden von einem Avid-Isis-Speichersystem und von EVS-XT3-Servern aufgezeichnet. Warum diese Zweiteilung? »Auf den EVS-Servern speicherten wir eher das Material, das für Highlight-Schnitte und für aktuelle Beiträge genutzt wurde, während wird das ISIS-System für aufwendig produziertere Beiträge nutzten«, erläutert Robert Copot, ZDF-Planungsingenieur. Welches Material auf welche Server gespielt wurde, das koordinierte ein Mitarbeiter, der die einzelnen Feeds jeweils den entsprechenden Speichern zuordnete. Beide Systeme liefen autark voneinander. Im Störungsfalls war es also möglich, mit dem jeweils anderen System weiter aufzuzeichnen, zu bearbeiten und zu senden.
Avid Isis Speichersystem
»Wir haben mit einem klassisch ausgestatteten Isis-7000-System in der mittleren Ausbaustufe gearbeitet, das komplett redundant ausgelegt war«, berichtet Robert Copot. Damit konnten die beiden Sender auf 224 TB Speicher (112 gespiegelt) rund 1.700 Stunden Material aufzeichnen, doch selbst diese Kapazität war zu knapp bemessen, bilanziert Robert Copot. Pro Tag wurden nämlich bei den Olympischen Spielen rund 150 Stunden Material ins System eingecheckt, so dass gegen Mitte der Spiele bereits altes Material gelöscht werden musste, um Platz für neues zu schaffen.
Sowohl bei Isis, wie auch bei Interplay war das Software-Bundle 2.4 im Einsatz. Das Isis -System umfasste zwei System Directoren im Failover-Betrieb sowie zwei Media Indexer, die das Material indizierten und an den Interplay-Engine (Cluster) weitergaben. Die doppelt vorhandenen Lookup-Server überwachten die Services im System und waren für die Avid Webservices zuständig. Zwei Transfer Manager waren für den Transfer von der Avid- in die EVS-Welt zuständig, außerdem ließ sich damit auch der Materialexport auf externe FTP-Server realisieren. Ein einfach ausgelegter Command Server diente als Sendeautomation für die Studiozuspielungen.
Für die Aufzeichnung waren ausschließlich Videoserver des Typs Avid Airspeed Multistream DNxHD im Einsatz, die jeweils mit zwei Kanälen direkt auf das Isis-System aufzeichneten. Acht Airspeeds waren für den Ingest vorgesehen – und somit konnten maximal 16 Feeds parallel aufgezeichnet werden. Ein weiterer Avid-Server war für Abgaben, also HD-SDI Videoüberspielungen nach außen, etwa in die Heimatredaktionen, vorgesehen. Für die Regie war ein doppelt ausgelegter Playout-Server integriert – das waren im Grunde zwei Server in Studiokonfiguration. Der erste Kanal der beiden Server lief jeweils parallel, der zweite war nicht redundant ausgelegt und lief als Einzelkanal. »Der zweite Kanal des B-Servers fungierte letztlich als Zuspielkanal in der Regie, falls der Regisseur nochmals einen Beitrag vorschauen wollte«, erklärt Robert Copot.
Die Aufzeichnungssteuerung der Airspeeds wurde mit dem Capture Manager realisiert. »Hier gibt es mittlerweile zwar Interplay Capture, aber wir haben schon in der Vergangenheit mit Capture Manager erfolgreich gearbeitet und sind deshalb nicht umgestiegen.«
Sofo-Raum: Ingest und Schnittstelle nach außen
Im Sonderformate-Raum (»Sofo«) liefen ganz unterschiedliche Signale auf: Hier wurde zum einen der komplette Material-Ingest auf die oben erwähnten Airspeed Multistreams per Capture-Manager-Oberfläche koordiniert. Neben der Aufzeichnung war der entsprechende Mitarbeiter aber auch für die Bedienung des Abgabe-Servers zuständig.
Zusätzlich wurde im Sofo-Raum auch das komplette Material der EB-Teams eingespielt. Die ZDF-EB-Teams arbeiteten mit P2 (DVCPROHD), die ARD-Teams mit Professional Disc (XDCAM HD 422). Um das Material der unterschiedlichen Ausgangsformate bequem einspielen und transkodieren zu können, standen drei Media Composer in der Software-only-Variante (Version 6) zur Verfügung. Zusätzlich waren aber auch drei hardware-basierte Media-Composer-Systeme im Einsatz, die unter anderem dann eingesetzt wurden, wenn Material doch noch von Band (etwa Archivmitschnitte von Peking 2008) eingespielt werden musste.
Immer häufiger setzen die Redakteure in letzter Zeit auch Material ein, das aus externen Quellen stammt und per FTP-Server abgeholt wird. Um dieses Material einzuspielen, war in London ein weiteres Schnittsystem im Einsatz (Grass Valley Edius), das direkten Zugriff auf solche externen Server via Internet erlaubte.
»Auch Archivmaterial aus den Heimatredaktionen oder externes Material, das beispielsweise auf SD-Karten vorlag, spielten wir damit ein«, erläutert Robert Copot.
Eine weitere Aufgabe im Sofo-Raum: Hier fand auch der Archivmitschnitt auf DVCPRO-HD-Band (ZDF) und Professional Disc (ARD) statt.
EVS-XT3-Speicher
Insgesamt setzten ARD und ZDF 17 sechs-kanalige EVS-XT3-Server ein und kamen so auf eine EVS-Speicherkapazität von rund 3.000 Stunden – 1.000 h davon als Nearline-Speicher auf PC-Basis. Sechs XT3-Server waren als Haupt-Speicher vorgesehen, die unter anderem im Havariefall des Isis bis zu zehn Avid-Schnittplätze mit den letzten 90h Material über eine RS-422-Anbindung hätten versorgen können. Fünf weitere XT-3 Server wurden fürs Editing von Zusammenfassungen einzelner Sportarten genutzt, zusätzliche EVS-Server gab es in der Regie (Highlight-, Loop- und Playout-EVS) und im Sofo. Ein weiterer EVS-Server transferierte Material per IP-Browse und IP-Director vom EVS-Netzwerk des Host-Broadcasters, das in AVC-Intra 100 vorlag, per Echtzeit-Videoausspielung in die Avid/EVS-Welt. Das klingt wie ein Umweg, war aber dem Umstand geschuldet, dass zum einen das Host-Netz vom ARD/ZDF-Produktionsnetz getrennt werden sollte und zum anderern innerhalb des Produktionssystems nur mit einem Codec, nämlich in DNxHD, gearbeitet werden sollte.
Im Zusammenspiel mit den EVS-Servern waren 14 IP-Director-Systeme im Einsatz. IP Director ist — vereinfacht gesagt — eine zentrale Datenbank-Software, mit der sich sämtliche Daten aller im Netzwerk befindlichen EVS-Server verwalten lassen. Die Software ermöglicht mit unterschiedlichen Modulen wie dem Ingest-Scheduler, mit dem Streams der XT-3 Server per XT-Access auf den Nearline-Speicher aufgezeichnet wurden, auch die Sichtung des Materials, wie auch den Austausch und Transfer von Clips zu anderen EVS-Servern oder dem Isis-System. Teil der verwendeten Software im Gesamtsetup war auch Xedio Dispatcher: Die Software-Anwendung dient dem Sichten und der Vorauswahl von Clips, die mit dateibasierten Camcorder-Systemen wie P2 und Professional Disc aufgenommen wurden.
An den EVS-Schnittplätzen gab es erstmals auch eine Vertonungsmöglichkeit, erläutert Kristina Kirk, Videoingenieurin beim NDR. Diese Funktionalität des IP-Directormoduls IP Edit wurde gut angenommen und eignete sich im Zusammenspiel mit Jünger Mix 4 Pulten und RTW TM3s insbesondere für die Produktion von NIF-Beiträgen. Längere Zusammenfassungen wurden per IP-Director auf das Isis-Speichersystem und dann zum Fairlight-Audiopult gesendet. Neu im Einsatz waren außerdem das Web-Monitoring-Tool und Vedio von EVS, womit jederzeit eine Überwachung des Gesamtsystems wie auch der XML-Jobs der acht XT-Access Systeme stattgefunden hat.
Materialaustausch zwischen Avid und EVS
ARD und ZDF hatten sich bei der Bearbeitung des Materials für den Codec DNxHD120 entschieden. Damit Material zwischen der Avid- und der EVS-Welt problemlos ausgetauscht werden konnte, waren auf EVS-Seite XT-Access-Systeme (Avid Webservices Anbindung) und auf Avid-Seite Transfer Manager im Einsatz. Mit diesem Setup war es —vereinfacht gesagt — möglich, Material zwischen den beiden Serversystemen in DNxHD auszutauschen – wahlweise als Livestream oder als Clip – in beiden Fällen war ein Zugriff auf sich noch in Aufzeichnung/Transfer befindlichen Materials möglich.
Schnitt mit Media Composer
In London waren im IBC 18 Media-Composer-Schnittplätze im Einsatz. Sechs davon beim ZDF, fünf bei der ARD und sieben, die als Multiplätze ausgelegt waren und von der jeweils sendenden TV-Anstalt zusätzlich genutzt werden konnten. Die Schnittsysteme waren mit der MC-Version 5.5.32 ausgerüstet.
In den Schnitträumen waren die Avid-Systeme mit zusätzlicher Hardware in kompakten Flightcases untergebracht. Neben lokalem Speicher war unter anderem ein Jünger Mix4-Pult eingebaut – gedacht für die Vertonung von hochaktuellen Beiträgen. Mit TM3-Systemen von RTW realisierten die Sender direkt am Schnittplatz auch die Lautheitskontrolle der Beiträge – das ist für die Sender seit der Einführung der EBU-R128-Richtlinie neu.
Das Feedback der Editoren zum bandlosen Editing während Euro 2012 und Olympia fiel positiv aus. In den Sendern werde letztlich noch nicht in allen Bereichen bandlos gearbeitet, und die Vorteil der file-basierten Arbeitsweise überzeugten, wie etliche Editoren in London bestätigten.
Nachvertonung mit Fairlight
Für die Audionachbearbeitung setzten ARD und ZDF zwei Constellation 2 Fairlight-Systeme ein. Die empfingen fertig geschnittene Beiträge, die aus dem Media Composer als AAF exportiert wurden. Im Fairlight-System wurde das AAF-File importiert, dann die Sprachaufnahme realisiert und im neuen Projekt alle Audioparameter wie etwa Sprachaufnahme, Verlinkung aufs Video, Pultautomation und weiteres gespeichert. Das bearbeitete Projekt wurde schlussendlich wieder als AAF exportiert und mittels Software-Media-Composer ins Interplay zum Sendeserver transferiert.
File-basierte Workflows
Bei file-basierten Workflows gilt es, etliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Einheitliche und nachvollziehbare Vorgaben für die Benamung von Files spielen beispielsweise eine essenzielle Rolle – ebenso auch die Frage, wer was wann löschen darf. Hinzu kommt: In der file-basierten Welt kann der Speicher eigentlich nie groß genug sein. Gerade bei großen Sport-Events wie Fußball oder Olympia produzieren die Sender sehr umfangreiches Material. »Allein bei Olympia lagen bei uns täglich gut 100 Beiträge auf dem Sendeserver«, berichtet Robert Copot. Angesichts solcher Zahlen kann man sich leicht vorstellen, dass selbst zunächst großzügig bemessener Speicherplatz gegen Ende des Events knapp wird »und dann geht es darum, das richtige Material zu löschen«, erklärt Robert Copot.
Fazit
Für ARD und ZDF hat sich die file-basierte Arbeitsweise auf der Basis von Avid- und EVS-Equipment bewährt: »Für ein System dieser Größenordnung läuft das Gesamtsetup aus Avid Isis, EVS und Fairlight extrem stabil und zuverlässig«, bilanziert Robert Copot. Für den reibungslosen Austausch des Materials zwischen den beiden Server-Welten mussten die Hersteller zwar etliches an Integrationsarbeit leisten, doch das dürfte sich mehr als gelohnt haben: Mittlerweile wird weltweit insbesondere in der Sport- und Außenproduktion mit der Kombination aus EVS-Servern und Avid-Schnitt- und Speichersystemen sowie Interplay gearbeitet.
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