Die Karawane zieht weiter
Dieser Tage ging in Kalifornien die Apple-Entwicklerkonferenz zu Ende. Noch vor wenigen Jahren war das ein absolutes Insider-Thema, aber seit die Apple-Aktie im Februar 2012 die 500-Dollar-Marke geknackt hat und der Konzern aktuell mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 540 Milliarden als wertvollstes Unternehmen der Welt gilt, ist das natürlich anders.
Der Blick der Außenwelt auf Apple hat sich verändert — aber umgekehrt gilt dasselbe: So spielt etwa in der Apple-Strategie der professionelle Video-Creation- und Broadcast-Bereich eigentlich keine nennenswerte Rolle mehr. Das ist natürlich keine neue Erkenntnis, sie setzt sich nun jedoch — langsam, aber sicher — selbst bei denen durch, die das anfangs noch gar nicht glauben wollten.
Beispiel gefällig? Apple hat ein neues, leistungsfähiges Macbook Pro mit Retina Display angekündigt. Schön für den Freelancer und den mobilen Nutzer. Keine wirklich großen Neuheiten gab es dagegen beim Tower-Rechner Mac Pro, also dem Apple-Computer, der im Postproduction- und Broadcast-Bereich von allen Apple-Produkten die größte Bedeutung hat. Der Mac Pro wurde zwar ebenfalls ein bisschen modernisiert, bei der Eröffnungsrede der Apple-Konferenz wurde aber selbst das nicht einmal erwähnt.
Insgesamt finden viele Apple-Anwender, dass der Hersteller das Tower-Segment vernachlässige und hier den schon betagten Prozessoren auch noch Grafiklösungen zur Seite stelle, die fast schon die Anwartschaft auf einen Platz in einer Computer-Senioren-Residenz verdienten. Bei der Facebook-Gemeinschaft »We want a new Macpro« etwa, klickten bisher fast 19.000 Nutzer auf »gefällt mir«. Apple-CEO Tim Cook sah sich schließlich genötigt, auf die entsprechende Anfrage eines Mitglieds dieser Gruppe zum Thema Mac Pro zu antworten: »Wir arbeiten an etwas wirklich Großartigem fürs nächste Jahr«.
Stillstand für ein weiteres halbes Jahr oder länger und für danach die vage Ankündigung von »etwas wirklich Großartigem«? Apple ist für den professionellen Bereich der Branche ein unsicherer Kantonist geworden. Sprunghafte Technologie- und Produktwechsel gab es bei diesem Hersteller schon immer, nun beschleunigt sich ganz offenbar der Abschied von einer Branche, die von Apple mal als wichtiger Zielmarkt definiert wurde und deren Anforderungen mal zu den Kernkompetenzen des Computer-Herstellers Apple gehörten — weil der sich nun eben vollends zum consumer-zentrierten Lifestyle-Unterhaltungselektronikanbieter wandelt.
Darüber zu räsonieren ist letztlich sinnlos. Stattdessen hat an vielen Stellen schon die Suche nach Alternativen begonnen und zeigt Erfolge.
Sonnet etwa präsentierte dieser Tage mit xMac eine Serverlösung, die auf einem Mac Mini basiert und diesen zu einem vollwertigen erweiterbaren Rackmount-Server macht. Für manche Anwendungen durchaus eine Alternative zum Mac Pro.
Auch der apple-zentrierte, österreichische Anbieter Tools on Air hat für seine Live- und Playout-Lösungen neue Möglichkeiten gefunden: So lässt sich »TV Station in Box« schon seit einer ganzen Weile auf Basis eines Mac Mini betreiben, bei der LiveCut-Lösung aus gleichem Haus stehen nun Premiere CS6 von Adobe und Media Composer von Avid als Alternativen zu Final Cut zur Verfügung.
Red, bis dato ebenfalls immer sehr eng an Apple orientiert, hat sich nun mit HP zusammengetan, um von diesem Computerhersteller mit der Red Z820 eine leistungsfähige Videoworkstation bauen zu lassen – und lässt in seinem Forum mehr oder weniger offen durchblicken, dass man von Apple in nächster Zeit keine Alternativen erwarte.
Diese Liste ließe sich fortsetzen, aber vielleicht kann man es auch ganz einfach so zusammenfassen: Jedes Produkt hat seine Zeit — und die ist eben irgendwann vorbei. Aber Moment: Wieso setzt dann Autodesk mit Smoke nun so massiv auf die Mac-Plattform? Weiß man dort etwa schon, was sich hinter dem »wirklich Großartigen« verbirgt, was Apple angeblich in der Pipeline hat?
So oder so: Wenn man sich die Entwicklung von Apple als Konzern so ansieht, ist es für professionelle Anwender im Post- und Broadcast-Bereich sicher keine schlechte Idee, sich vielleicht schon jetzt zumindest perspektivisch nach Alternativen umzusehen. Zu früh dürfte das nicht sein.
Sie werden sehen.