Rote Rosen: Moderne Technik im Telenovela-Einsatz
Die ARD produziert mit »Rote Rosen« eine erfolgreiche Telenovela, die seit mehr als fünf Jahren im Nachmittagsprogramm im Ersten läuft. Studio Hamburg hat für die Serie eine sehr schnelle und effiziente Produktionsform entwickelt, die speziell im Postproduktionsbereich Besonderheiten aufweist. Im Gespräch mit film-tv-video.de erläutern Wolfgang Pannier und Jens-Peter Ramm von der Studio Hamburg Postproduction die file-basierte Produktion und die daraus resultierenden Workflows.
Die Telenovela »Rote Rosen« spielt in Lüneburg und wird auch dort gedreht. Produziert wird die erfolgreiche ARD-Nachmittagsserie von der Studio Hamburg Serienwerft Lüneburg GmbH, Produzent ist Emmo Lempert. »Rote Rosen« läuft schon seit mehr als fünf Jahren wochentags um 14:10 Uhr im Ersten. Seit dem Start der Telenovela hat die Studio Hamburg Serienwerft Lüneburg schon mehr als 1.200 Folgen produziert. Seit etwas mehr als einem Jahr wird in HD produziert.
Hergestellt werden die einzelnen Folgen mit kurzem Vorlauf: schon sechs bis acht Wochen nach dem Dreh gehen die jeweiligen Folgen auf Sendung. Jede Folge dauert 50 Minuten, die Erstausstrahlung erfolgt jeweils im Ersten von 14:10 bis 15:00 Uhr.
Abzüglich Titelsequenz und Abspann müssen pro Folge täglich 48 Minuten produziert werden, und das — mit dem erwähnten zeitlichen Versatz — an jedem Werktag. Dazu müssen die Abläufe sauber getaktet sein. Unerlässlich sind ferner verlässliche Technik und eingespielte Teams, um die Quantität und Qualität des Produkts gewährleisten zu können.
Voraussetzung für diese Produktionsart ist räumliche Nähe: Die Studio Hamburg Serienwerft hat in einem Industriegebiet von Lüneburg eine Halle, die früher von Konica genutzt wurde, zu einem kompletten, autarken Studio umgebaut. Dort wird jetzt von montags bis freitags gedreht und gearbeitet – und alle Mitwirkenden sind in einer fast schon familiären Atmosphäre vor Ort versammelt: Autoren, Regisseure, Darsteller, technische und gestalterische Mitarbeiter. Rund 155 Personen sind vor Ort in Lüneburg in die Produktion eingebunden.
Emmo Lempert, Produzent der Studio Hamburg Serienwerft, erläutert: »Das gemietete und für die Produktion von „Rote Rosen“ umgebaute Industriegebäude vereinfacht die Logistik und beschleunigt die Abläufe. Dort findet im Prinzip die komplette Produktion von der Aufzeichnung bis zur Nachbearbeitung statt. Das Team dort ist nicht zuletzt aufgrund dieser Zentralisierung an einem Ort sehr gut aufeinander abgestimmt und eingespielt«.
Der größte Teil der Aufnahmen entsteht im Studio, aber es gibt auch Außendrehs – die übrigens einen positiven Effekt auf den Tourismus in der Region Lüneburg bewirkt haben. Um die große Masse an Material zu bewältigen und dabei den engen Takt einzuhalten, haben die Produzenten die Workflows über die Jahre immer weiter optimiert. Vom Sendestart im Jahr 2006 bis Ende 2010 wurde noch in SD aufgezeichnet, zum Jahreswechsel 2010/2011 stellte die Produktion auf HD um, was die Datenflut weiter erhöhte. Mittlerweile wird die Serie komplett file-basiert produziert.
Multikamera-Produktion
Bei der Produktion einer Telenovela geht es darum, möglichst schnell und effizient zu arbeiten. Dazu gehört auch, dass diese Produktionen fast immer als Multikamera-Drehs realisiert werden. Bei »Rote Rosen« wird mit fünf Kameras in zwei Teams gearbeitet: Team 1 dreht mit drei Kameras im Studio, Team 2 realisiert mit zwei Kameras sowohl Studio-, wie auch Außendrehs.
Im Studio arbeitet das Team 1 mit drei Sony-Camordern des Typs PMW-500. Diese Camcorder werden als Studiokameras genutzt, es findet keine interne Aufzeichnung im Gerät statt. Die Camcorder sind vielmehr mit einer CCU verbunden und geben ein HD-SDI-Signal aus, das bei »Rote Rosen« auf verschiedenen Wegen weiterverarbeitet wird. Aufgezeichnet wird im Codec DNxHD-120 direkt auf den Server.
Bei Team 2 entschied sich die Produktion wegen der Außenaufnahmen für den Einsatz von zwei Sony-Camcordern des Typs PDW-700. Damit zeichnen die Kameraleute das Bildmaterial auf Professional Discs im Format XDCAM HD auf. Der Ton wird separat mitgeschnitten und auf CF-Card gespeichert. Beide Träger werden dann in der Postproduktion angeliefert. Das Material wird dann auf die Server eingespielt und dort ebenfalls im Format DNxHD-120 gespeichert.
Jens-Peter Ramm, technischer Projektleiter bei der Studio Hamburg Postproduction: »Bei der HD-Umstellung war nicht nur die Verbesserung der Bildqualität das alleinige Ziel, auch die knapp bemessene Nachbearbeitungszeit jeder einzelnen Folge spielte bei unseren Überlegungen eine große Rolle. Beim früheren SD-Workflow wurde das auf Digital-Betacam-Kassetten angelieferte Kameramaterial über eines der Avid-Systeme auf unser damaliges Editshare-Storage digitalisiert. Bei den Studioaufnahmen wurde aus zeitlichen Gründen meistens nur die Programmfassung des Videomischers verwendet. In seltenen Fällen wurde zusätzlich noch eine abgesteckte Kamera eingespielt.«
Während der Recherchen zur HD-Umstellung stieß das Produktionsteam auf einen Geevs-Ingest-Server, der aus dem GPI-Signal eines Videomischers eine im Avid-System verwendbare Sequenz erstellen konnte. »Es stellte sich heraus, dass gerade diese GPI-Funktion den Workflow bei „Rote Rosen“ entscheidend verbessern konnte. Wir haben uns schließlich für ein Komplettsystem aus dem Hause Editshare entschieden, welches aus dem Geevs-Ingest-Server und einem 64 TB großen Shared-Storage-System der XStream-Serie besteht.«
Die Entscheidung für diese Lösung fiel aufgrund früherer Erfahrungen leicht: »Mit zentralen Speichersystemen der Firma Editshare konnten wir schon in der Vergangenheit an verschiedenen Standorten gute Erfahrungen sammeln. Dass Editshare eine 10-Gig-Verbindung zwischen Geevs, X-Stream und Switch ermöglichte, überzeugte uns ebenfalls«, erinnert sich Jens-Peter Ramm.
Neben dem Wegfall der zeitaufwändigen Digitalisierungsvorgänge eröffnet die neue Arbeitsweise dem Schnitt nun mehr Möglichkeiten. Es stehen nun drei direkt aufgezeichnete Kamerasignale sowie eine aus dem GPI erzeugte Sequenz zur Verfügung, deren einzelne Schnitte sich über den Trim-Modus am Avid-System verschieben lassen.
Das grundsätzliche Setup bei der Aufzeichnung im Studio sieht so aus, dass Team 1 mit drei Kameras aufnimmt. Die drei Kamerasignale werden mittels Geevs-Ingest-Server direkt auf einem zentralen Editshare-Speicher abgelegt. Die drei Signale liegen parallel am Videomischer im Studio an. Der wird im Grunde ähnlich wie bei einer Live-Produktion genutzt, nur eben jeweils innerhalb einer Szene: Per Mischer wird also zwischen den drei Kamerapositionen hin- und hergeschaltet und sozusagen ein Live-Schnitt erstellt. Über den GPI-Ausgang des Videomischers erhält der Geevs-Server während der Aufnahme die Information, wann auf welche Kamera umgeschaltet wurde. Aus dieser Schaltinformation wird dann schließlich innerhalb des Servers automatisiert eine Sequenz erstellt. Über die zum XStream-Speicher gehörende Flow-Software können dann schließlich die jeweilige Sequenz und die dazugehörigen drei Kamera-Masterclips per »drag and drop« direkt in die jeweilige Bin im Media Composer verschoben werden.
Aufgrund der file-basierten Aufzeichnung steht das Material praktisch ohne Zeitverzögerung auf dem Editshare-Speicher für die Nachbearbeitung bereit. Dank der automatisch erstellten Avid-Sequenz können die Editoren schon unmittelbar nach der Aufzeichnung mit dem Fine-Tuning des Schnitts beginnen, indem etwa einzelne Übergänge noch getrimmt werden. Das beschleunigt die Nachbearbeitung natürlich enorm.
Sollte es einmal technische Probleme geben, etwa mit der GPI-basierten-Erstellung des Multikamera-Projekts, dem Ingest-Server und/oder Zentralspeicher, gibt es eine Havarielösung: »Das Programmsignal des Mischers wird grundsätzlich mit einem XDCAM-HD-Recorder im Studio aufgezeichnet – sodass in jedem Fall Backups der aufgezeichneten Szenen auf Professional Discs vorliegen«, ergänzt Jens-Peter Ramm. Im Notfall kann auch jedes einzelne Kamerasignal direkt mit einer separaten XDCAM-HD-Maz in der Postproduction aufgezeichnet werden. Direkt im Camcorder wird hingegen bei den Studioaufnahmen nie aufgezeichnet.
Speicher und Schnitt
In den Arbeitsschritten, die sich an die Multikamera-Produktion anschließen, setzt »Rote Rosen« das folgende Setup ein: Ein Avid Media Composer dient als Assistenz-Arbeitsplatz. Auf diesem Rechner läuft unter anderem auch die Flow-Software von Editshare, die es ermöglicht, die jeweiligen Masterclips der Kameras 1 bis 3 sowie die generierten Sequenzen direkt in die Avid-Bins der beiden Hauptschnittplätze einzuspielen. »Diese Arbeitsweise ist sehr komfortabel und ermöglicht es der Assistenz, den Editoren, sehr effizient zuzuarbeiten«, so Jens-Peter Ramm. Das Material wird hier für den Schnitt vorbereitet, den Schnittsystemen zugewiesen und es werden etwa Töne angelegt, sowie die Aufnahmen von Team 2 eingespielt.
Zwei weitere Media Composer dienen als Hauptschnittplätze. Die einzelnen Folgen werden im Wechsel an diesen Arbeitsplätzen geschnitten. Damit ist auch schon klar, dass pro Folge jeweils zwei Tage für den Schnitt zur Verfügung stehen.
Eine weitere Avid-Station ist für Renderjobs und Formatieraufgaben im Einsatz, hier werden etwa die OMFs erzeugt, die dann an die Audionachbearbeitung weitergegeben werden.
Für Tonschnitt, -mischung und -synchronisation sind zwei Nuendo-Systeme im Einsatz. Die Entscheidung fiel letztlich deshalb auf Nuendo, weil auch in den in den anderen Abteilungen bei Studio Hamburg mit Nuendo-Systemen gearbeitet wird.
Das Grading und Finishing der fertig geschnittenen Folgen wird mit einem Avid-Symphony-System innerhalb eines Tages pro Folge erledigt. Insgesamt sollte die Serie von Beginn an eher filmisch aussehen, was den Einsatz von bestimmten Sapphire-Effekten bei zahlreichen Szenen erklärt.
Nach der sekundären Farbkorrektur an diesem System erfolgt dann hier auch der Playout. »Die Farbkorrektur nutzen wir natürlich überwiegend bei den Außenszenen, denn bei den Studioszenen wird ja bei der Aufnahme schon mit festgelegten Kamera-Setups und genau definierten Lichtsituationen gearbeitet, die sich auch nicht ändern«, erklärt Wolfgang Pannier.
Standortvorteil Lüneburg
»Rote Rosen« wird, wie schon erwähnt, nicht nur in Lüneburg gedreht, sondern dort auch nachbearbeitet – und zwar unter dem gleichen Dach. Das hat viele Vorteile und spart auch in der Postproduktion Zeit. Es macht die Abläufe flexibler und ermöglicht eine höhere Taktzahl. »Wenn ein Schauspieler etwa eine Szene nachsynchronisieren muss, dann geht er einfach aus dem Studio ein Stockwerk höher in die Audiopostproduktion und synchronisiert die Takes«, gibt Jens-Peter Ramm ein praktisches Beispiel. »So kommt die Nachbearbeitung nicht ins Stocken, Unwägbarkeiten und zusätzliche Kosten werden vermieden.«
Auch wenn sich der Regisseur einzelne Szenen oder Einstellungen, die gerade gedreht wurden, nochmals ansehen möchte, bietet die Postproduktion unter dem gleichen Dach natürlich Vorteile.
Produzent Emmo Lempert ist sich sicher, dass diese Art der Produktion auch die Teambildung und das Verständnis für die Arbeit der anderen Gewerke fördert: »In Lüneburg haben wir eine ganz andere Art der Zusammenarbeit: Da isst der Cutter-Assistent gemeinsam mit der Schauspielerin, das ganze Team ist an einem Ort versammelt, man kennt sich, ist vertraut und es gibt einen regen Austausch. Für eine Produktion wie „Rote Rosen“ hat das sehr positive Nebeneffekte.«
Der Abstand zwischen der Produktion einer Folge und ihrer Ausstrahlung beträgt – wie schon erwähnt – nur rund sechs bis acht Wochen. Da ist es natürlich fatal, wenn etwa einer der Schauspieler einmal unerwartet ausfällt, weil er krank ist. »Auch in solchen Situationen hat der zentrale Produktionsstandort Vorteile, weil Regisseur und/oder Drehbuchautor immer vor Ort sind und im Zweifel einzelne Szenen auch kurzfristig angepasst und umgeschrieben werden können«, so Emmo Lempert.
Planungssicherheit
Die Produktion von Telenovelas stellt für die technischen Dienstleister eine große Herausforderung dar, vor allem dann, wenn eine neue Serie an den Start geht. »Als Dienstleister muss man bei neuen Projekten genau überlegen, in welche Technik investiert wird. Letztlich muss das Equipment immer so flexibel sein, dass man es gegebenenfalls auch für andere Produktionen nutzen kann«, sagt Wolfgang Pannier.
Denn Dienstleister wissen, dass Serien-Produzenten keine langfristigen Produktionszeiten garantieren können und auch ein vorzeitiges Ende zur Realität gehören kann.
Neue Möglichkeiten
Die file-basierte Arbeitsweise bei »Rote Rosen« und der Einsatz moderner Speicher- und Server-Technologie haben etliche neue Möglichkeiten für das Produktionsteam geschaffen. »Aus kreativer Sicht haben die Kollegen aufgrund der schnelleren technischen und logistischen Abläufe mehr Gelegenheit, sich gestalterisch zu betätigen«, urteilt Jens-Peter Ramm.
Neben den Veränderungen im Multikameraschnitt hat sich auch die technische Abnahme der einzelnen Folgen verändert: »Das realisieren wir direkt mit Avid-Systemen und patchen das Videosignal über ein zentrales Steckfeld in den Abnahmeraum. Dazwischen ist ein KVM-Extender platziert, der ebenfalls umgepatcht wird. Der Kollege kann somit direkt aus dem Abnahmeraum heraus das Avid-System steuern und während der Abnahme beispielsweise Locator an jenen Stellen setzen, an denen noch etwas geändert werden muss.«
Mit der technischen Abnahme direkt aus dem Avid-System heraus ersparen sich die Produzenten auch das Ausspielen der jeweiligen Folge auf ein Trägermedium, was eine weitere Zeitersparnis darstellt.
Die Abnahme der jeweils innerhalb einer Produktionswoche fertig gestellten Folgen erfolgt jeweils am Ende der Woche. Wenn Änderungen nötig sind, werden diese zeitnah umgesetzt, die fertigen Master liegen dann jeweils am Dienstag vor. Ausgespielt wird das Master im XDCAM-HD-Format auf eine Professional Disc und diese wird als Sendemaster an die Degeto verschickt, die gemeinsame Produktionstochter der ARD, die »Rote Rosen« bei der Studio Hamburg Serienwerft Lüneburg GmbH in Auftrag gegeben hat.
Perspektiven
Aktuell spielen Kameras mit großem Single-Sensor-Chip und 35-mm-Optiken eine große Rolle in der Film- und Videoproduktion. Zu den Abläufen bei einer Telenovela befragt, bevorzugt Wolfgang Pannier aber die Arbeit mit den XDCAM-HD-Kameras, die mit 2/3-Zoll-Sensoren und dazu passenden Objektiven bestückt sind.
Für »Rote Rosen« kommt ein Wechsel auf diese Aufzeichnungstechnik auch deshalb nicht in Frage, weil der Look der Serie nicht verändert werden, sondern langfristig beibehalten werden soll. »Es wurde schon bei der Umstellung auf HD darauf geachtet, dass der prinzipielle Look und die visuelle Wiedererkennbarkeit gewährleistet blieben«, erläutert Emmo Lempert.