DSLR-Videos: Fluch oder Segen?
Seine Einschätzung des Themas DSLR-Filmproduktion fasst Tom Poederbach zusammen, ein niederländischer Filmemacher und Kameramann, der bei seiner Arbeit auch vielfach DSLR-Kameras einsetzt. Sein Verhältnis zur Nutzung von DSLRs für Filmproduktionen ist von Ambivalenz geprägt. In diesem Beitrag wirft er einen Blick auf das immer noch junge Marktsegement, schildert seine ganz persönliche Einschätzung einiger DSLRs und der Alternativen, die sich zunehmend eröffnen.
Viele Besitzer von DSLR-Kameras sind begeistert von den Fähigkeiten ihrer Kamera: Full HD und vor allem die geringe Schärfentiefe, die sich mit den DSLR-Kameras erzielen lässt, haben die Erfolgsgeschichte dieses neuen Kamera-Typus auf den Weg gebracht. Viele erfolgreiche Profis nutzen ebenfalls DSLR-Kameras: In den USA wird beispielsweise die Serie »Dr. House« mit Canons EOS 5D Mark II gedreht.
Doch liefern DSLR-Kameras wirklich die fantastischen Bilder, von denen alle reden? Oder lassen wir uns blenden von einem Hype, den Vincent Laforet vor gut zwei Jahren auslöste, als er den »Reverie Clip« mit einer DSLR-Kamera drehte? Seit dieser Produktion möchte nahezu jeder »Budget-Hollywood-Videos« drehen — und zwar möglichst ohne zusätzliches Licht und gern auch mitten in der Nacht.
Von Moiré und anderen Problemen
DSLR-Kameras arbeiten im Videomodus umständlicher, als sich die meisten Leute vorstellen können. Die großen CMOS-Sensoren der Kameras verursachen Moiré, Line Skipping und Aliasing: kleine Details interagieren mit anderen Details und erzeugen dabei Störmuster, feine horizontale Linien springen hin und her, schräg verlaufende Linien sehen plötzlich aus wie Treppen. Zudem treten Rolling-Shutter-Effekte auf: vertikale Linien derformieren sich bei Szenen mit schnellen, horizontalen Bewegungen.
Das Überhitzen der Kameras ist ebenfalls ein Problem, was dazu führen kann, dass die Aufnahmen beschädigt werden, oder dass die Kamera beispielsweise bei längeren Interviewdrehs plötzlich die Aufzeichnung stoppt.
Für all diese bekannten Probleme gibt es mittlerweile mehr oder weniger gute Workarounds, ein ernsthafteres Problem bleibt hingegen der Mangel an Detailinformation bei DSLR-Kameras, der sehr selten thematisiert wird. Auch wenn eingefleischte DSLR-Fans aufschreien werden: Meiner Meinung nach liefern DSLR-Kameras keinen Deut mehr an Detailinformationen, als eine Low-Budget-Videokamera mit einem kleinen Sensor. Das mag bei Web-Auswertungen nicht stören, aber wenn man sich die Bilder auf großen Leinwänden ansieht, stört das durchaus.
Dies liegt darin begründet, wie DSLR-Kameras die Bilder, die der Sensor liefert, verarbeiten: Sie setzen Downsampling ein, um die hohen Pixelzahlen des Originalbildes zu bewältigen. Es gibt viele gute Möglichkeiten des Downsamplings, die dafür sorgen, dass Detailinformationen erhalten bleiben — sie sind bekannt von Softwares wie Lightroom oder Photoshop. Diese Methoden erfordern jedoch sehr viel Processing-Power, deshalb werden sie bei Consumer-Kameras eher selten eingesetzt.
Als Beispiel soll hier etwa Canons EOS 7D dienen, deren Sensor mit 22,2 x 14,8 mm nur geringfügig kleiner ist als ein 35-mm-Bild. Der Sensor dieser Kamera bietet 5.184 x 3.456 Pixel, das sind rund 18 Millionen Bildpunkte. Die Auflösung, die für ein HD-Videobild gefordert wird, beträgt 1.920 x 1.080 Pixel also rund 2 Millionen Pixel. Plakativ gesagt, lässt die Kamera also rund 16 Millionen Pixel weg, wenn Sie in HD aufnimmt (das ist technisch gesehen natürlich nicht korrekt, weil für die Gewinnung der Farbinformationen bei einem Single-Sensor-Gerät mehr Pixel auf dem Sensor nötig sind, als später im Videosignal transportiert werden, aber bei stark vereinfachter Betrachtung, könnte man diesen Rückschluss ziehen).
Nach dem Downsampling kodiert Canon das Bild mit H.264, damit man bei den gängigen Speicherkarten überhaupt ordentliche Aufnahmezeiten realisieren kann und es keine Engpässe mit der Datenrate beim Speichern der Daten gibt. Dieser Codec komprimiert zwar vergleichsweise effektiv, wurde aber ursprünglich gar nicht für den Aufnahmebereich konzipiet. Die starke Kompression der Originaldaten hat natürlich deutliche Auswirkungen auf die Bildqualität.
Der Hersteller stellt sich auf den Standpunkt, dass man eine Fotokamera entwickelt habe, die als eine von vielen Zusatzfunktionen auch Video aufzeichnen könne — und unter diesem Betrachtungswinkel ist das technische Vorgehen auch vertretbar. Schließlich seien DSLR-Kameras nicht als professionelle High-End-Videokameras konzipiert. Bisher macht Canon keine Anstalten, besser auf die Wünsche und Anfragen aus dem Videoprofilager einzugehen und etwa eine für Video optimierte DSLR-Kamera oder einen Camcorder mit einem großen Sensor vorstellen. Stattdessen liefert Canon nur hie und da ein Software-Update für die DSLRs aus, das dann jeweils einige Probleme löst und kleine Fortschritte für den Videoeinsatz bringt.
Panasonic hat mit der GH2 ebenfalls eine DSLR-Kamera mit HD-Videofunktion im Angebot: Sie ist mit einem 4/3-Zoll-CMOS-Sensor ausgerüstet (17,3 x 13 mm). Laut Panasonic arbeitet diese Kamera mit einer anderen Downsampling-Methode als die Canon-Kameras und nutzt den AVCHD-Codec. Die GH2 erzeugt in der höchsten Qualitätsstufe einen Datenstrom von 24 Mbps, während das Vorgängermodell noch mit maximal 17 Mbps gearbeitet hatte. Ein Hacker knackte allerdings damals die Software und machte aus dem 17-Mbps- einen 50 Mbps-Datenstrom: Das Ergebnis war ein sichtbar besseres Bild. Bei der GH2 ist die Software nun verschlüsselt, um sie besser vor Hackern zu schützen.
Auch Nikon ließ im DSLR-Fieber nicht lange auf sich warten und präsentierte mit der D7000 eine Kamera, die wie Canon den H.264-Codec einsetzt. Es ist allerdings unbekannt, mit welcher Methode Nikon das Downsampling auf 1080 vornimmt — jedenfalls finden die meisten professionellen Anwender das Ergebnis nicht besonders ansprechend.
Was will der Markt?
Wenn man bei den Anwendern nachfragt, stehen geringe Schärfentiefe, hohe Empfindlichkeit des Sensors und die Aufzeichnung im Raw-Format sehr hoch im Kurs. Man könnte zusammenfassend sagen, dass viele Stimmen im Markt sich eine Kamera mit Wechselobjektiven wünschen, die im Raw-Format aufzeichnen kann und die mit einem größeren Sensor bestückt ist, der geringe Schärfentiefe erlaubt. Offen ist allerdings die Frage, ob diese Anforderungen mit einer Foto/Video-Hybridkamera überhaupt erfüllt werden können. Um eine solche Kamera ergonomisch und kompakt zu halten, wäre es vielleicht besser, wenn Recording und Processing in phsyikalisch getrennten Einheiten stattfänden. Ein universelles Raw-Filesystem wäre dabei ganz sicher hilfreich.
DSLR-Alternativen
Während der vergangenen IBC präsentierte Panasonic mit dem AG-AF101 einen Camcorder mit Wechselobjektiv und mit demselben Sensor, wie ihn die DSLR-Kamera GH2 bietet. Er soll in voller HD-Auflösung aufzeichnen können, wobei folgende Raster zur Verfügung stehen: 1080i50, 1080p25, 720p25, 720p50. Weiter soll es auch möglich sein, unterschiedliche Frameraten, für Zeitraffer und Zeitlupe einzustellen. Der Camcorder bietet weiter einen elektronischen Sucher, einen LC-Ausklappschirm, XLR-Audiobuchsen, einen Wechselobjektivanschluss und einen Adapter, über den sich auch andere als Panasonic-Fotoobjektive nutzen lassen. Das Design des Camcorders ist vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig und leider bietet der AF101 auch keine Raw-Aufzeichnung, sondern kodiert die Daten im AVCHD-Format mit einer maximalen Datenrate von 24 Mbps. Ein Vorteil des Camcorders besteht jedoch darin, dass er mit einem HD-SDI-Ausgang ausgerüstet ist. Somit lässt sich ein externer Recorder anschließen, um unkomprimierte Bilder aufzeichnen zu können: besser als AVCHD, aber eben keine Raw-Daten. Der Netto-Listenpreis für den Camcorder soll in der Größenordnung von 6.000 Euro liegen.
Auch Sony kündigte mit dem PMW-F3 einen zukünftigen Single-Sensor-Camcorder mit PL-Mount an, der zum Netto-Listenpreis ab 14.500 Euro ab Januar 2011 verfügbar sein soll. Der neue Camcorder basiert auf dem XDCAM-EX-Format von Sony (MPEG-2 Long-GOP 4:2:0, 8 Bit, 35 Mbps) und verwendet SxS-Speicherkarten. Der CMOS-Sensor mit 35-mm-Abmessungen soll einen breiten Dynamikbereich sowie eine geringe Schärfentiefe mit hoher Empfindlichkeit und niedrigem Rauschen bieten (ISO 800, F11, Signalrauschabstand 63 dB, jeweils im 1920 x 1080/59.94i-Modus). Diesem Sensor traut Sony Bilder zu, die sich aus Sicht des Herstellers gemeinsam mit denen eines SRW-9000PL in Filmproduktionen verwenden lassen.
Ganz neu hat Sony einen technisch mit dem 101er von Panasonic verwandten, aber sehr viel kompakteren Camcorder angekündigt. 35-mm-Sensor und AVCHD-Aufzeichnung bei einem Netto-Listenpreis unter 6.000 Euro positionieren dieses Gerät als Konkurrenz für den 101er und als Camcorder für den Semiprofi-Bereich.
Red Scarlet ist gemeinsam mit Red Epic als vollkommen modulares System mit einer großen Bandbreite unterschiedlicher Sensoren und verfügbarer Auflösungen konzipiert und soll auch Raw-Daten aufzeichnen können. Red gibt aber weder für Epic noch für Scarlet einen konkreten Lieferstart an.
Als weitere Alternative bietet sich derzeit der schwedische Kamerahersteller Ikonoskop mit der A-cam dll an: einer digitalen Kamera, die in 1.920 x 1.080 mit einer Farbtiefe von 12 Bit aufzeichnet und mit einem 2/3-Zoll-Sensor bestückt ist. Der Sensor wird von Kodak hergestellt, er liefert Datenströme, bei denen jedes Frame bis zu 3,5 MB groß ist. Die Bilder werden im Cinema DNG (Raw)-Format gespeichert. Um die dafür nötige Datenrate zu erreichen, musste Ikonoskop eine eigene Speicherkarte entwickeln: Sie bietet eine Kapazität von 160 GB und kann somit 35 Minuten Raw-Material aufzeichnen. Mit einer möglichen Datenrate von bis zu 240 Mbps ist sie deutlich schneller als andere Karten, die derzeit bei DSLR-Kameras eingesetzt werden.
Sicher muss man sich an das Design der A-Cam dII und auch an ihr technologisches Konzept gewöhnen: Sie weist einen ziemlich eckigen und ungewöhnlichen Body auf, sie lässt sich aber als Handheldkamera nutzen, wie auch auf ein Rig oder ein Stativ montieren. Die A-cam dII wiegt weniger als 1,5 kg (inklusive Akku und Speichermedium) und kann mit einem LCD-Viewfinder mit einer Auflösung von 640 x 480 Pixel bestückt werden. Es gibt aber auch eine HDMI-Buchse für den Anschluss externer Monitore. Den Ton nimmt die Kamera mit 48 kHz in Stereo-PCM auf, weiter ist es möglich, eine Bildrate von 1 bis 60 fps einzustellen. Die Kamera lässt sich mit verschiedenen Objektivanschlüssen ausrüsten (PL, Leica M, IMS und C-Mount).
Nachteile der Kamera bestehen aber ebenfalls: Aufgrund des vergleichsweise kleinen Sensors bietet die Kamera nicht die geringe Schärfentiefe, die man von Single-Sensor-Kameras kennt, zudem ist die Kamera auch nicht sehr lichtstark. Der Netto-Listenpreis für die Kamera mit Akku und Speichermedium, aber ohne Objektiv liegt bei rund 9.700 Euro.
Erwünscht: Universelles Raw-Format
Was ist der Vorteil der Aufzeichnung von Raw-Daten? Zunächst werden bei dieser Arbeitsweise die digitalen Rohdaten der Kamera komprimiert oder unkomprimiert gespeichert und diese dann erst nachträglich in der Postproduktion in RGB-Bilder gewandelt. Der prinzipielle Vorteil liegt darin, dass die Kameraelektronik vereinfacht wird und für die nachträgliche Bildgestaltung mehr Spielraum bleibt. Erst in der Postproduction wird letztlich auch die endgültige Qualität geschaffen.
Bisher machen aber die Hersteller im Raw-Bereich weitgehend was sie wollen und gehen individuelle Wege. Ein universelles Raw-Format mit dem viele Softwares arbeiten können, wäre ganz generell wünschenswert – nicht nur im DSLR-Bereich, wenn hier auch ganz besonders.
Bisher sind die Ansätze in Richtung eines universellen Raw-Formats allerdings noch recht überschaubar: Adobe etwa hat mit Cinema DNG die Entwicklung eines offenen Dateiformats für digitale Kino-Dateien initiiert und auch schon etliche Hersteller für dieses Projekt gewonnen, darunter Iridas, Cineform, Fraunhofer llS, Avid, Ikonoskop, Weisscam, The Foundry, MXF4mac. Cinema DNG soll dazu beitragen, Workflows zu vereinfachen und das sorgfältige Archivieren sowie den Austausch von Dateien sicherzustellen, so Adobe.
Was kommt?
Wie wird sich der DSLR-Markt weiter entwickeln? Ist es nun Zeit für einen Wechsel? Eigentlich nicht, denn letztlich sind DSLR-Kameras trotz all ihrer Einschränkungen für viele Filmstudenten, Independent-Filmemacher, Low-Budget-Produzenten und Event-Filmer immer noch das Mittel der Wahl. Diese Anwender haben sich mit den Unzulänglichkeiten der DSLR-Kameras abgefunden — und man darf keineswegs übersehen, dass damit tatsächlich tolle Filme produziert wurden und werden. Eines sollte man aber ebenfalls nicht unterschlagen: Es geht nicht um die Werkzeuge und die Tools, sondern darum, was man damit macht — auch bei DSLR-Produktionen
Biografie
Tom Poederbach ist Kameramann, Regisseur und Autor. Der Niederländer produzierte viele Jahre Filme und Videos fürs holländische Fernsehen, bevor er 1990 für Avid tätig wurde und als Promoter das nonlineare Schnittsystem in Demos und Schulungen vorführte. Seit 2003 arbeitet Poederbach als technischer Autor und Kameramann und beschäftigt sich insbesondere mit dem Thema DSLR.
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