Muss das wirklich sein?
Wer mit Fernsehleuten spricht, die nicht direkt für die Programminhalte verantwortlich sind, kann immer wieder feststellen: Die meisten davon haben mit der inhaltlichen Seite längst abgeschlossen. Manche hat der Inhalt ohnehin nie interessiert, bei anderen ist eine langsame innere Abkehr eingetreten.
Einer der Gründe: In Zeiten des steigenden Quotendrucks gibt es offenbar keinerlei Grenzen mehr, die nicht überschritten werden, um ein Skandälchen zu provozieren und dadurch ein paar Zuschauer mehr zu erreichen. Wer da an der Produktion von entsprechenden Beiträgen beteiligt ist, muss sich innerlich distanzieren, wenn er nicht irgendwann zum kompletten Misanthropen werden möchte.
Dass »Big Brother« nicht das untere Ende der Fahnenstange darstellen würde, war den meisten wohl klar. Zwischen dem »Kunstfurzer« bei RTL und der öffentlichen Demütigung bei »DSDS«, loten Sendungen über mißratene Kinder oder der berüchtigte »Frauentausch« bei RTL2, zunehmend Grenzen aus, die sogar die unsäglichen nachmitternächtlichen Call-In-»Quiz«-Sendungen relativieren.
Produktionen, in denen die Mitwirkenden menschenverachtend vorgeführt werden, scheinen sich zu häufen. Da wird ohne Rücksicht auf Verluste eine Freak-Show nach der anderen produziert — und die Protagonisten haben darin lediglich eine Rolle: Sie sollen möglichst viel Geschmackloses und Obszönes abliefern, sich an Körper und Seele entblößen, niedere Instinkte und charakterliche Defizite zeigen. Wo das nicht von alleine klappt, wird eben nachgeholfen: Druck auf die Protagonisten von Doku-Soaps bringt die Akteure immer wieder dazu, Dinge zu sagen oder zu tun, die ohne Kamera und Regieanweisung nie passiert wären. Und was sich vor Ort nicht so drastisch rauskitzeln ließ, wie eigentlich gewünscht, das kann mit hämischen Kommentaren und verfälschendem Schnitt in der Postproduktion noch angespitzt werden.
Vielleicht ist es zuviel verlangt, wenn Fernsehverantwortliche die Teilnehmer solcher Sendungen vor sich selbst schützen sollen. Wenn aber die Selbstkontrolle nicht funktioniert, müssen vielleicht die Rechte der Betroffenen gestärkt werden: Könnten die sich etwa auch nachträglich wehren und zumindest Wiederholungen verbieten lassen, müssten die Sender wieder genauer hinsehen und das Risiko wäre nicht so einseitig verteilt.
Sicher: Niemand muss in schwachsinnigen Doku-Soaps, Magazinen oder Casting-Shows mitmachen. Wer es dennoch tut, setzt sich einem Risiko aus und ist selbst schuld, wenn es schief geht. Allerdings steht den oft unbedarften Betroffenen eine Armada von Anwälten gegenüber, die einen wasserdichten Knebelvertrag so aufsetzen kann, dass der Normalbürger nur »Bahnhof« versteht, wenn er in der Hoffnung auf ein paar Minuten Fernsehruhm unterschreibt.
Die Frage sei erlaubt: Muss das Fernsehen wirklich jeden noch so menschenverachtenden, zynischen Schwachsinn produzieren, nur um damit Quote zu machen? Zusehen und wegsehen können dabei gleich verwerflich sein.
Sie werden sehen.