Branche, Top-Story: 15.04.2009

Arri: Tradition verpflichtet — neue 2K-Kamera kommt

Franz Kraus, der als Vorstand der Arri AG und Geschäftsführer verschiedener Teilbereiche des Unternehmens die Geschicke der wohl bekanntesten deutschen Filmtechnikfirma maßgeblich lenkt, sprach mit film-tv-video.de über die aktuelle Situation und über Zukunftsperspektiven. Dabei gewährte Kraus Einblicke in die Strategie und kündigte noch für dieses Jahr eine neue 2K-Digitalkamera aus dem eigenen Haus an.

Arri ist im Filmbereich eine feste Größe. Es gibt nur wenige Hersteller, die schon so lange und erfolgreich im Bereich Filmtechnik tätig sind. Das Unternehmen ist besonders für seine Filmkameras bekannt und steht für Zuverlässigkeit und High-End-Technik. Zwar wird die überwiegende Mehrzahl der großen, internationalen Spielfilme auch heute noch auf Film gedreht, aber die Digitalisierung, die zuerst in der Postproduktion Einzug gehalten hat, wird auch vor der Aufzeichnung — zumindest in Teilbereichen — nicht Halt machen. Dass Arri das letztlich genauso sieht, beweist die Entwicklung der Arri-Digitalkamera D-21. Mit dem Druck, den Red Digital Cinema mit der Red One in den Markt getragen hat und der nun weiter wächst, wo sogar Spiegelreflex-Digitalkameras mit HD-Auflösung und »Filmlook« —sprich: filmtypischer Schärfentiefe — auf dem Markt sind, muss Arri neue Herausforderungen bestehen. Es geht dabei auch darum, das richtige Timing zu finden, um beim Verschmelzen von Film- und Digitaltechnik eine gute Marktposition zu halten.

Wie stellt sich der etablierte Hersteller der aktuellen wirtschaftlichen Situation und den Herausforderungen der Zukunft? Das wollte film-tv-video.de von Arri-Vorstand Franz Kraus wissen.

Neue 2K-Kamera noch in diesem Jahr

»Unsere größten Anstrengungen in Forschung und Entwicklung konzentrieren sich derzeit auf eine neue, eigene Digitalkamera«, erklärt Franz Kraus ganz direkt. »Unser Ziel ist es, damit den HD- und den 2K-native-Markt zu bedienen. Deshalb werden wir noch in diesem Jahr eine neue 2K-Kamera vorstellen, mit der wir sehr nah an die Qualität von Film herankommen und gleichzeitig an die Funktionalität und an das Handling unserer Filmkameras anknüpfen wollen.«

Damit deutet sich an, dass Arri sich im Digitalzeitalter wieder stärker auf einen Markt besinnen will, der das Unternehmen einmal groß gemacht hat: So wie früher der 16-mm-Bereich dem Unternehmen eine breite Basis bot, als Fernsehproduktionen noch weit überwiegend in diesem Format produziert wurden, so soll nun wieder der Marktbereich unterhalb des absoluten Top-Ends adressiert werden.

»Unsere neue 2K-Kamera wird eine Empfindlichkeit und einen Dynamikbereich aufweisen, den man sonst nur von Filmkameras kennt. Wir glauben, dass diese Kamera sehr gut im TV-Spielfilmmarkt aufgehoben sein wird«, kündigt Franz Kraus an.

Bislang hatte Arri den Markt der digitalen Cinematographie lediglich mit der Digital-Kamera D-20/21 bedient, die vor rund fünf Jahren vorgestellt und seither kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Diese Kamera zielt aber eher in Richtung 35-mm-Film als in Richtung 16 mm. Das zeigt sich schon daran, dass die Kamera mit einem CMOS-Sensor mit 35-mm-Bilddiagonale ausgerüstet ist und sich auch bei Bedienung und Ausstattung stark an 35-mm-Filmkameras orientiert — etwa auch bei der variablen Framerate von 1 bis 60 fps.

Dass man Arri vorwiegend mit dem High-End in Verbindung bringe, sei nicht immer so gewesen, meint Franz Kraus: »Arri ist in seinen Anfängen nicht von oben gekommen. Dort sind wir eigentlich erst mit der ArriCam angekommen. Nun wollen wir mit neuen Produkten auch wieder zurück in den Bereich, der früher das Kerngeschäft ausgemacht hat.«

Die neue 2K-Kamera soll daher Eigenschaften aufweisen, die man aus Sicht von Franz Kraus schon immer mit Arri in Verbindung bringt: eine lange Lebenszeit, Robustheit und Zuverlässigkeit. Vor allem aber soll sie ein solides Bedienkonzept aufweisen, das sich nicht im Halbjahres-Rhythmus ändert. »Wir haben mit vielen Kameraleuten gesprochen, die sich genau das wünschen und diese Konstanz auch bei unseren Filmkameras immer geschätzt haben.«

Den Wunsch, nicht ständig mit neuen Bedienkonzepten konfrontiert zu werden, könne man gut nachvollziehen, meint Franz Kraus, denn gerade im Bereich der Digitalkameras jage ein Software-Update das nächste, und mit jedem Modell kämen neue Funktionen, die für die Kameraleute in vielen Fällen keinen Mehrwert lieferten, sondern im Gegenteil mehr Stress am Set verursachten. »Schnelle Modellwechsel und Feature-Wahnsinn sprechen eigentlich eher Consumer an, Profis wollen das gar nicht — und das gilt keineswegs nur im Filmbereich. Deshalb wollen wir anders an das Thema herangehen, damit sich die Kameraleute auch in der digitalen Welt auf das konzentrieren können, was ihre eigentliche Arbeit ist: die Bildgestaltung«, sagt Franz Kraus.

Die neue 2K-Kamera soll nicht als singuläres Produkt konzipiert sein — man plane eine ganze Familie an Produkten, die auch die Geschäftsmodelle der Kunden berücksichtigen, erläutert Franz Kraus: »Mit einem klaren Upgrade-Pfad.« Was damit gemeint ist, macht ein Blick auf den Arri Laser deutlich: »Beim Arri Laser lässt sich das allererste Modell, das wir ausgeliefert haben, bis auf den neuesten Stand upgraden«, erläutert Franz Kraus, »und zwar so, dass es wirtschaftlich sinnvoll ist. Dieses Prinzip wird auch für die D-21 gelten, die wir in Form von Upgrades weiterentwickeln werden.«

Investitionssicherheit soll also auch bei der geplanten 2K-Kamera eine große Rolle spielen. Auch vom Preis der neuen 2K-Kamera hat Franz Kraus schon relativ konkrete Vorstellungen: vergleichbar zu dem einer 16-mm-Filmkamera.

»Es wird ein Sensor mit einem Partner entwickelt, der Knowhow im Bereich Sensorentwicklung und –produktion besitzt. Aber es handelt sich um eine spezielle Entwicklung für Arri, die auch Arri-Patente nutzt.« Ob es sich dabei um einen CMOS– oder einen CCD-Sensor dreht, mag der Arri-Manager aber noch nicht bekanntgeben. Aus Sicht von Franz Kraus hat die CCD-Technologie auch bei neuen Kameras durchaus noch ihre Berechtigung, »denn die CCD-Technologie ist eine reife Technologie, bei der es weniger Herausforderungen zu bewältigen gilt, als bei der CMOS-Technologie.«.

Diese Sicht hatte sicher auch großen Anteil daran, dass Arri Ende vergangenen Jahres Gespräche mit dem kanadischen Hersteller Dalsa über einen möglichen Kauf von dessen Digital-Kamera-Sparte aufnahm, die aber letztlich scheiterten. »Für uns ging es dabei primär darum, direkten Zugang zur Sensor-Technologie zu erhalten«, berichtet Kraus. »Der Einsatz eines hochwertigen CCD-Sensors bei einem High-End-Produkt erschien uns durchaus reizvoll – vielleicht sogar mit einer Hardware-Plattform, die CCD- ebenso wie CMOS-Integration erlaubt hätte.« Zwei D-21-Varianten also, eine mit CMOS und eine mit CCD-Sensor? Vielleicht hätte es so kommen können. Dass man sich mit Dalsa nicht handelseinig geworden sei, habe letztlich an den Preisvorstellungen des kanadischen Herstellers und den aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gelegen, so Kraus: »Die Technologie bleibt aber interessant für uns.« Gleichzeitig konstatiert Franz Kraus: »Ein absolutes High-End-Produkt, wie die zweite Digitalkamera von Dalsa, die Evolution, es sein sollte, konkurriert letztlich nicht mit 35- sondern mit 65-mm-Film. Daran müsste sich ein solches Produkt messen lassen — und das ist natürlich eine extreme Herausforderung.«

Hat Red Arri in Zugzwang gebracht?

»Eigentlich wirkt der Red-Effekt nur indirekt auf uns«, erklärt Franz Kraus. »Red hat aber zweifellos deutliche Auswirkungen auf den Markt erreicht: Zum einen hat die Red One klar gezeigt, dass file-basiertes Arbeiten der richtige Weg ist, der auch von den Anwendern akzeptiert wird. Zum anderen hat aber Red auch bei vielen Kunden eine völlig falsche Assoziationskette ausgelöst, nämlich dass digitale Cinematographie billig sei und nun quasi jeder den Sprung ins Kino schaffen könne.«

Kraus ergänzt weiter: »Der Markt, den Arri mit Kameras bedient, also der gesamte Bereich aus Spielfilm- und hochwertigen TV-Produktionen, ist weltweit mit rund 6.000 professionellen Filmkameras abgedeckt. So viele Kameras könnten wir hypothetisch verkaufen, wenn wir der einzige Anbieter wären. Und diese Kameras könnten wir dann im Lauf der Jahre auch wieder durch neue Kameras ersetzen. Das gilt als realistisches Marktvolumen. Wenn man das im Hinterkopf hat, ist klar, dass Red-Kameras ganz offensichtlich auch außerhalb dieses Bereichs eingesetzt werden. Die Red ist ein Schrotgewehr: Mit dieser Kamera werden tatsächlich einzelne Hollywood-Filme gemacht, aber der Großteil der Produktionen, die mit der Red One gedreht werden, wäre auf Film niemals realisiert worden. Es hat also eine Marktausweitung stattgefunden, und eine der treibenden Kräfte hierfür ist das Internet.«

Diesen neuen Markt hält der Arri-Geschäftsführer durchaus für interessant, aber er ersetze nicht bestehende Märkte. Aus dieser Sichtweise heraus glaubt Kraus, dass sich auch die neuen Spiegelreflexkameras durchaus ihren Markt erobern werden und damit Produktionen entstehen, die zwar so aussehen, als hätte man sie mit Film gedreht, die aber de facto keine Filmproduktion verdrängen. Arri plant mit seiner neuen 2K-Kamera aber dennoch kein »Schrotgewehr«, sondern — um im Bild zu bleiben — eine Präzisionswaffe für Profis.

Vielfach wird Red mit Apple verglichen und auch Franz Kraus zieht diese Parallele, wenn er sagt, dass es Red-Chef Jim Jannard gelungen sei, nicht Kunden, sondern Jünger zu gewinnen. »Das ist zweifellos eine tolle Vermarktungsleistung. Aber dass Red etwa eine Vereinfachung der Workflows bieten kann, das sehe ich anders. Digitale Cinematographie ist weder billig, noch einfach — auch nicht mit einer Red-Kamera. Vor allem aber erfordert sie Knowhow und Können. Und da stellt sich dann letztlich die Frage, wie entscheidend der Preis einer Kamera tatsächlich ist.«

In der Reduktion der Qualitätsbeurteilung auf ein paar plakative Zahlenwerte sieht Franz Kraus ebenfalls ein Problem: »Die Pixelzahl als Maß aller Dinge hat so langsam sogar im Consumer-Bereich ausgedient. Die Anwender erkennen irgendwann, dass mehr Pixel nichts mehr bringen, sondern sogar Nachteile haben: Mehr Pixel auf der gleichen Fläche bewirken, dass das einzelne Pixel kleiner und weniger lichtempfindlich ist. Das bringt mehr Rauschen und reduziert die Dynamik. Somit sind 4K oder noch mehr keineswegs das Maß aller Dinge, wenn es um die Bildqualität geht, sondern eben nur ein Parameter von vielen.«

DeGrain-Software für digitalisiertes 16-mm-Filmmaterial

Dass Arri eine Digitalkamera vorstellen wird, die letztlich mit 16-mm-Filmkameras konkurriert, zeigt, dass der Hersteller hier wohl am schnellsten mit einem Paradigmenwechsel rechnet. Die Digitalisierung und der Umstieg von SD auf HD in der TV-Welt tun ihr übriges dazu, diese Entwicklung zu beschleunigen. So will beispielsweise die BBC für die HD-Ausstrahlung ab 2010 kein Material mehr akzeptieren, das auf 16-mm-Film gedreht und dann digitalisiert wurde. Hintergrund: Die BBC komprimiert bei der HD-Ausstrahlung das Material vergleichsweise stark, und dabei treten dann bei digitalisiertem 16-mm-Filmmaterial Artefakte auf, die ihre Ursache im Filmkorn haben und die man bei der HD-Ausstrahlung natürlich vermeiden möchte.

Dass 16-mm-Produktionen somit bei der BBC aus dem Rennen wären, kann natürlich trotz der geplanten 2K-Kamera nicht im Sinne Arris sein. Und so hat sich der Hersteller mit einer kanadischen Software-Firma aus Vancouver zusammengetan, um Abhilfe zu schaffen. Die heißt »DeGrain« und ist ein Programm mit dem sich — vereinfacht gesagt — das Filmkorn kontrollieren und somit das Bild für den Fernsehgebrauch optimieren lässt. Je nach Wunsch des Anwenders kann das Korn reduziert bis eliminiert werden. Arri wird das Produkt bei der kommenden NAB zeigen und möchte dann Feedback zu denkbaren Produktlösungen einholen, etwa zur Frage, ob DeGrain als Soft- und/oder Hardware-System verkauft wird, ob es für jede Filmemulsion spezielle DeGrain-Filter geben wird und vieles mehr. Bei all diesen Fragen legt Arri Wert darauf, dass man in DeGrain aber letztlich kein Werkzeug für automatisierte Prozesse sehe, sondern vielmehr ein kreatives Tool, mit dem man von Fall zu Fall entscheiden kann und soll, wie stark das Korn reduziert werden soll.

Archivierung: Film als sichere Lösung

Je stärker sich die Digitaltechnik in Postproduktion und Produktion durchsetzt, desto wichtiger wird ein Thema, das zwar ganz am Ende der Produktion steht, aber letztlich spielentscheidend sein kann: die Archivierung.

Wenn es um die Langzeitarchivierung jenseits der aktuellen Library geht, sieht Franz Kraus den Film nach wie vor als einzige Alternative — auch bei Produktionen mit geringerem Budget. »In den USA archivieren alle großen Sender, darunter Warner und Fox, auf Film — und sie haben alle gute Gründe dafür. Bei uns ist das leider nicht so«, meint Kraus, »und das kann sich auf lange Sicht zu einem echten Problem entwickeln.« Das Umkopieren von Files koste schließlich bei langen Laufzeiten auch sehr viel Geld und Zeit, vor allem aber gebe es keine gesicherten Erkenntnisse über die Langzeit-Archivierung digitaler Files. »Film hat hier nach wie vor die besten Erfahrungswerte«, so Kraus.

Wie stellt sich Arri der aktuellen wirtschaftlichen Situation?

»Wir mussten Personal abbauen und setzen derzeit in der Produktion auch auf Kurzarbeit«, erklärt Franz Kraus. »Das ist eine Folge der Investitionszurückhaltung bei unseren Kunden.« Die Umsatzanteile, die Arri in den USA und Europa erzielt, sind ungefähr gleich groß und betragen rund 40 Prozent, aus Asien kommen rund 20 Prozent. Derzeit muss Arri unter anderem mit Einbrüchen im bislang sehr guten Russland- und China-Geschäft kämpfen, aber auch in den USA, wo derzeit nicht so stark re-investiert wird.

»Wenn es wirtschaftlich etwas enger wird, drehen viele Produktionsfirmen lieber mit dem alten Equipment weiter, das ja meist nach wie vor noch gut funktioniert und es wird eben stärker abgewogen, ob die neue Kamera tatsächlich notwendig ist oder vielleicht eher doch nicht«, weiß Franz Kraus. »Darauf müssen wir uns auch bei den Produkten einstellen und denken dass wir mit sinnvollen Ergänzungen wie einem neuen HD-Video-Assist und der DeGrain-Lösung punkten können. Große Hoffnungen setzt Kraus auch in den Lichtbereich: »Hier haben wir mit LED einen Innovationstreiber. Scheinwerfer mit Leistungen bis 1 kW werden wir künftig mit LEDs realisieren, darüber hinaus wird es weiterhin neue Produkte sowohl bei Tageslicht wie auch bei Kunstlicht in höheren Wattagen geben.«

»Das Bestreben, eine möglichst gute Bildqualität zu erzielen, ist etwas, was uns und unsere Kunden verbindet. Diesen Anknüpfungspunkt werden wir nicht aus den Augen verlieren«, betont Franz Kraus.