Offene Archive: Kulturelles Gedächtnis, wirtschaftliches Erinnern
30 Firmen und Institutionen erkunden seit November 2008 im Projekt Cinearchiv Digital die Voraussetzungen und Möglichkeiten für den Vertrieb digitaler Filmdokumente über das Internet. Der Versuch, die Tore der Bewahrer zu öffnen und »den Bogen zu schlagen vom Archiv bis zum Nutzer«, stößt aber auf Grenzen. Das zeigte sich auch bei der Resumé-Veranstaltung vor rund 200 Teilnehmern.
Unter dem Dach von Cinearchiv Digital arbeiten unter anderem die DEFA-Stiftung, das Bundesarchiv-Filmarchiv, das Deutsche Rundfunkarchiv, das Hasso Plattner Institut und Grundy Ufa zusammen. Das Ziel fasste Peter-Paul Schneider, Leiter des Deutschen Rundfunkarchivs in Babelsberg so zusammen: Die Film- und Fernseharchive sollen vom »Aufhebe- und Abrufort« zum »Erlebnisraum für das kulturelle Gedächtnis« werden. »Archive müssen in der digitalen Medienwelt sagen, was geht — nicht, was nicht geht.« Um den Weg zum »offenen Archiv« zu bewältigen, fordert Schneider die Archivinhaber auf, sich Verbündete suchen. Diese waren bei der Veranstaltung in Potsdam zumindest teilweise präsent: Neben Archivaren, Produzenten und Förderern füllten Datenbank- und IT-Spezialisten die Reihen im Kinosaal des FX Centers.
Ausgangspunkt des Projekts ist die Idee, so Andreas Vogel von der veranstaltenden Medien-Bildungsgesellschaft Babelsberg, zeithistorische Bewegtbilddokumente aus ihrem »Stiefkind«-Dasein zu befreien und einer breiten Öffentlichkeit Zugang zu diesem audiovisuellen Wissenspool zu schaffen. in einem interdisziplinären Entwicklungsnetwork zusammengeführt
Endkunden wollen Inhalte gratis
Das Web ist natürlich das zeitgemäße Medium für ein solches Unterfangen, gleichzeitig liegt im derzeit dort verbreiteten Nutzerverhalten auch die Crux: Das Verbraucherinteresse an historischen Archivalien — vor allem aus der Zeit ab etwa 1930 — ist zwar groß, es fehlt aber die Bereitschaft, dafür auch nur annähernd kostendeckende Preise zu bezahlen. Das bestätigte eine vom Veranstalter in Auftrag gegebene Befragung. Eine kostenlose Verbraucherplattform ist aber angesichts der hohen Kosten für die konservatorische Behandlung der Originale, für Datenbearbeitung und -bereitstellung, Verschlagwortung und Aufbereitung nicht realisierbar. Die Refinanzierung über Werbung oder Mini-Gebühren vom Endkunden, scheint unrealistisch. Bleiben noch Stiftungsmodelle oder staatliche Finanzierung, was aber in der momentanen Wirtschaftslage ebenfalls hoffnungslos erscheint. So kristallisiert sich letztlich ein Business-to-Business-Modell heraus: Die Archive bieten also ihre Inhalte kommerziellen Nutzern an, die dafür bezahlen. Auf dieser Basis könnte, so die Hoffnung, ein Geschäftsmodell reifen, das sich später in Richtung Verbraucher transportieren lässt.
Metadaten müssen her
Grundlage jeder Vermarktung muss aber neben einer klaren, einfachen Rechtelage, die Möglichkeit einer treffsicheren Recherche sein: Man braucht Werkzeuge um die AV-Materialien systematisch durchsuchen zu können. Schon heute sind neue Archivbeiträge zunehmend digital aufbereitet und somit reif für eine kommerzieller Weiterverwertung. »Metadaten werden uns in den nächsten 20 Jahren auch in der Produktion umtreiben«, so Ernst Feiler, Head of Technology bei Grundy UFA. Folgt man Feilers Forderung nach »file-basierten metadaten-konsistenten Workflows«, dann kann man die Archivierung von ab jetzt aufgenommenem Material automatisieren. Auch dieses Thema ist aber noch lange nicht gelöst, sondern erst in der Entstehung und Erprobung begriffen.
Eine Kernfrage stellt zudem die Kompatibilität solcher Such- und Findestrukturen dar: So benutzen etwa Privatsender und öffentlich-rechtliche Anstalten unterschiedliche Metadatensätze.
Noch schwieriger gestaltet sich aber die Frage, wie man bestehende AV-Archive zeitgemäß durchsuchbar machen kann. Mancherorts engagiert man Studenten, die ein paar Monate lang Archivalien sichten und verschlagworten, aber diese Arbeit kostet in der Summe sehr viel Zeit und Geld. Das steht vielleicht in Bereichen zur Verfügung, die sich relativ einfach kommerziell nutzen lassen: So gibt es etwa Datenbanken, in denen alle Details von Fußballspielen der Bundesliga erfasst sind, bis hinunter zur Zahl der Ballkontakte einzelner Spieler. Diese Infos kann man aber vergleichsweise gut verkaufen, was für die Inhalte historischer Archive in der Mehrzahl der Fälle leider nicht gilt.Dennoch: In jedem noch so verstaubten Archiv-Posten stecke ein Programmvermögen, das digital erschlossen über das Netz weltweit erfolgreich vermarktet werden könne, meint Ernst Feiler.
Hier liegen die Hoffungen, bezahlbare Recherchemöglichkeiten umzusetzen, auf der automatisierten Erzeugung von Metadaten. Hierfür gibt es etliche Ansätze, die sich aber zur Zeit in vielen Fällen noch im Forschungsstadium befinden, wie Patrick Ndjiki-Nya vom Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut deutlich machte. Arbeitsgegenstände sind dort unter anderem die Szenenerkennung mittels Farbanalyse oder MPEG-7-Werkzeugen. Die Zuverlässigkeit und — vor allem bei der Gesichtsidentifikation — die Referenzierung sind noch nicht gewährleistet. Ob automatisierte Verfahren unterm Strich billiger sind als manuelle ist ebenfalls eine offene Frage.
Mediatheken der TV-Anbieter als Vorbild?
Näher an der Gegenwart als an der Zukunft sind etliche Datenbank-Unternehmen und IT-Firmen die sich mit dem Thema befassen. In drei alternativen Show-Cases auf der Basis von vorhandenen Content Management Systemen wurden Modell-Portale für die kommerzielle Nutzung Digitaler Archivangebote gezeigt: als Online-Shop (medienmotor), als Archivsystem mit automatischer Video-Erkennung (Yovisto) und als Flow-Center für ein digitales Content Management System (Flow Works). Außerdem wurde die BBC Motion Gallery, das weltweit größte Audio- und Videoarchiv, vorgeführt, um eine effektive Archivnutzung sowohl im B-to-B- wie auch im Consumer-Bereich zu demonstrieren.
So zeigte Oliver Meurer von der Münchener Firma Flow Works ein Werkzeug, das Recherche, Transcoding, Auswahl von Ausschnitten aus vorgehaltenen Videos und die Erstellung einer ISO-Datei zum Brennen einer DVD beinhaltet. Über ein nicht ganz so umfassend konzipiertes System, das die ARD als Backend ihrer Mediathek verwendet, berichtete Philipp Schlüter von der Berliner Firma Medienmotor.
Was State-of-the-Art im Handel mit TV-Schnittbildern ist, wird am Beispiel der 2003 gestarteten BBC Motion Gallery deutlich. Nüchtern beschrieb Andrew Tennant das Ziel: »Making money«. Bei der BBC ist man unter diesem Aspekt auf dem richtigen Weg: Immerhin spiele das Online-Archiv jährlich etwa eine Million Euro ein, erklärte Tennant. Sender wie CBS News, der ORF und NHK haben sich der BBC-Plattform angeschlossen, die inzwischen im Zuge eines Outsourcing-Deals an Siemens verkauft wurde (siehe Meldung aus 2004).
Fast ohne eigenes Geld arbeitet dagegen das niederländische Archiv Beeld en Geluid. Die Plattform »Images for the Future« wird mit 173 Millionen Euro staatlich gefördert und befindet sich derzeit im Aufbau. Der niederländische Staat fördert allein die Bewahrung des audiovisuellen Erbes mit 99 Millionen Euro, berichtete Programmdirektor Hans Westerhof.
Beeld en Geluid ist der Nachfolger des NAA, des niederländischen nationalen Archivs für Video- und Audiodokumente. Parlamentsdebatten, aber auch Beiträge des holländischen Staats-Broadcasters NOB werden dort zentral archiviert, wenn sie historische Bedeutung haben, oder erlangen können.
Kultur und/oder Kommerz: Auch im Archivbereich ein Thema
»Vor der Digitalisierung steht der Kostenfaktor Bestandssicherung«, mahnte DEFA-Stiftungsvorstand Helmut Morsbach. Da reklamierte Ernst Feiler: »Wir reden nicht über unser Kulturgut, sondern über Business und Geld.« Er schlug eine »Digitalisierungsprämie« für die Bearbeitung von Content vor. Die Bewahrung, Aufarbeitung und Bereitstellung von Archivalien sieht Peter-Paul Schneider auch als Wirtschaftsfaktor. Schon mit geringer Förderung vom Bundeswirtschaftsministerium, aus Einnahmen rückzahlbar nach niederländischem Vorbild, könnte viel geleistet werden. Wenn Kultur und Wirtschaft Hand in Hand gehen, entstünde eine sichere (Daten-)Bank für das audiovisuelle Erbe.