Sind Sie bereit? Zu allem?
Nächste Woche geht’s los: Dann wird in Peking das olympische Feuer entfacht und die Spiele werden beginnen. Wer Massenspektakel mag, wie sie olympische Eröffnungsfeiern bisher stets darstellten, der kann sich voraussichtlich auf Drachen, Akrobatik auf dem Niveau des chinesischen Staatszirkus, zartgliedrige Tänzerinnen und farbenfrohe Massenszenen freuen. Und selbst wenn die Eröffnungsfeier wider Erwarten ganz anders aussehen sollte, eins ist sicher: Der Staatsapparat in Peking wird alles tun, um die Welt mit diesem Spektakel zu beeindrucken.
Und wer wollte es den Machthabern verdenken: Eine solche Chance zur Demonstration chinesischer Leistungsfähigkeit können sie sich einfach nicht entgehen lassen. Die internationalen Medien werden ihnen dabei assistieren und hilfreich zur Seite stehen, wenn vielleicht auch mit leichtem Murren hinter den Kulissen — oder sogar unter der Begleitmusik öffentlich vorgetragener, formelhafter Kritik.
In Wahrheit ist längst schon alles auf die Schiene gesetzt, die Rechte sind teuer bezahlt, die riesigen logistischen Anstrengungen münden nun in die heiße Produktionsphase. Keiner wird hier noch irgendetwas abblasen. Boykott von was auch immer: ein flacher Witz. Das wissen auch die Veranstalter: Kein Sender packt zusammen und reist ab, weil es im Pressezentrum entgegen anderer Ankündigungen keinen unzensierten Internet-Zugang gibt.
The games must go on. Dieses im olympischen Zusammenhang zu trauriger Berühmtheit gelangte Statement zeigt das Dilemma: Nicht einmal nach dem Terroranschlag auf die Olympischen Spiele 1972 in München gab es einen Abbruch — auch mit dem Argument, dass man jetzt erst recht weitermachen müsse. So wie man auch dieses Mal erst recht hin muss, um zu berichten und das Reich der Mitte »weiter in Richtung Westen und Menschenrechte zu öffnen«.
Schon bei den Vorbereitungen für den Aufbau eigener Kameras in den Stadien gab es aber offenbar jede Menge Probleme. So berichtete etwa kürzlich der Spiegel, dass die TV-Technikmitarbeiter an allen Ecken und Enden mit der chinesischen Bürokratie und mit vielen Schwierigkeiten auch jenseits der Technik zu kämpfen hätten. So wie die UEFA es versuchte und meistens auch schaffte, in den offiziellen Bildern der Fußball-EM alle Zwischenfälle auszublenden, soll es in Perfektion auch bei den Olympischen Spielen ablaufen.
All das wird aber bald vergessen sein, denn wir brauchen Helden — Sporthelden. Beim Übertragungsmarathon, den ARD und ZDF planen, wird es den Sendern darum gehen, diesen Bedarf zu schüren und zu befriedigen, die Zuschauer zu fesseln, Quote zu machen und damit die immensen Kosten für Rechte und Übertragung wieder einzuspielen. Da muss der hehre journalistische Anspruch, den die öffentlich-rechtlichen Sender gern als eigene Stärke ins Feld führen, im Zweifel auch mal zurückstehen.
Sicher werden die Zuschauer auch die eine oder andere Panne und unerwartete Unterbrechung verzeihen, wenn nicht gerade das internationale Bild in einer entscheidenden Phase des Wettkampfs zusammenbricht. Und spätestens dann, wenn Deutschland die erste überraschende Goldmedaille holt, werden auch die Berichte über Doping, politische Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen in China endgültig in der Versenkung verschwinden. Alles andere wäre ein große Überraschung.
Wer will schon verprügelte Tibeter sehen oder über die Todesstrafe in China informiert werden, wenn er stattdessen in Superslomo und via 100fach-Tele verfolgen kann, wie sich die Gesichtsmuskeln der 100-Meter-Läufer beim Zieleinlauf bewegen, wie Freudentränen über die Wangen des Goldmedaillengewinners kullern und wie sich Athleten und Trainer über die Bande hinweg in die Arme fallen. Doping oder gar andere unappetitliche Themen anzusprechen, brächte da doch nur noch Miesepeter- oder Nestbeschmutzer-Image ein.
Wie gut diese Scheuklappen-Strategie funktioniert, war schon bei der Tour de France zu sehen: Da berichteten ARD und ZDF wie in guten alten Zeiten über 80 Stunden hinweg von all den schönen Tour-Events — und wenn Doping aufgedeckt wurde, galt das den Verantwortlichen sogar als wichtiger Beweis für die angebliche Selbstreinigungskraft des professionellen Radsports. Insgesamt sei die Tour auf dem richtigen Weg, so das allgemeine Credo der Sender — das klingt hohl und fast schon höhnisch, wenn man als Außenstehender unbeteiligt und mit kaltem Herz auf die Fakten blickt.
Scheuklappen und rosa Brillen empfehlen sich aber auch für den interessierten Zuschauer, wenn er in den kommenden Wochen Zeuge der Fabelrekorde nicht nur chinesischer Sportroboter in Menschengestalt wird. Live zu verfolgen, zu welchen Leistungssteigerungen richtige Ernährung und die regelmäßige Einnahme von Schildkrötenblut führen sollen, kann erhellend sein — das führte nämlich einst ein chinesischer Trainer als Erklärung für große Leistungssprünge seiner Athletinnen an. Später wurden dann aber doch auch noch ein paar andere Substanzen im Blut der Sportlerinnen nachgewiesen. Vielleicht sollte man gar nicht so lange warten, sondern in solchen Fällen gleich abschalten.
Sie werden sehen.