In die nächste Runde
Fußball-Deutschland im Fieber: Das deutsche Team zieht ins Halbfinale der Europameisterschaft ein. Wie soll man das bloß aushalten? War doch seither schon ständig die Rede von »Schicksalsspielen«, »Angstgegnern«, »Geheimfavoriten«, »Fußballkrimis« und dem vorzeitigen »Endspiel«. Da konnten wohl nur Fußballweise wie Kaiser Franz Beckenbauer Ruhe bewahren, denn aus dessen Sicht geht es nun nach den »langweiligen Vorrundenspielen« erst richtig los.
»Ach ist der Rasen schön grün«, könnte es da dem weniger oder gar nicht Fußballinteressierten in den Sinn kommen. Aber das stimmt gar nicht: Dass der Rasen, auf dem das gestrige Spiel ausgetragen wurde, wie eine Patchwork-Decke aussah, konnte man auch ohne HD gut sehen. Und in HD natürlich noch viel besser: Das ganze Fußballfest in Österreich und der Schweiz wird nämlich in HD produziert, so wie es auch bei den Olympischen Spielen der Fall sein wird. Bei den deutschen Fernsehzuschauern kommt — mit Ausnahme einiger weniger Technikpioniere — aber leider nur SD an.
Und das bei einem Ereignis, das den öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland als Top-Plattform dient: Für ARD und ZDF ist das Weiterkommen der deutschen Elf nämlich mindestens ebenso erfreulich, wie für die Akteure und die Fans, denn nun geht das Quotenfest weiter. Schon in der Vorrunde räumten die beiden Sender bei Spielen mit deutscher Beteiligung absolute Traumquoten ab: Das gestrige Spiel der deutschen Mannschaft sahen im ersten Programm der ARD laut Marktforschung 27,7 Millionen Zuschauer, was einem Marktanteil von 78,7 % entspricht. Auch die Spiele ohne deutsche Mannschaft trafen bei den Zuschauern auf so hohes Interesse wie selten zuvor bei einer EM: So sahen etwa 15,35 Millionen Frankreich-Italien live im ZDF, 19,12 Millionen Fußballfans die Schlussphase des Spiels Türkei-Tschechien.
Auf der Produktionsseite wird hierfür ein Aufwand getrieben, der heute schon ans Absurde grenzt, aber zukünftig sicher noch weiter anschwellen wird: Heute kann man sich kaum noch vorstellen, wie es vor Jahren überhaupt gelingen konnte, ein Fußballspiel mit weniger als zehn Kameras in Szene zu setzen — heute gibt es im und ums Tor herum schon so viele Kameras, wie früher insgesamt eingesetzt wurden. Da gibt es kaum noch ein Perspektive, die nicht durch irgendeine Spezialkamera abgedeckt wäre. Plazamedia, der einzige deutsche TV-Dienstleister, der im Auftrag der UEFA für den Host-Broadcaster tätig ist, hat allein schon 90 verschiedene Kamerasysteme aus seiner eigenen Produktreihe mitgebracht, um für spektakuläre Aufnahmen zu sorgen.
Das Spiel insgesamt tritt dabei fast schon in den Hintergrund: Schließlich lautet das Motto der Fußball-EM in Österreich und der Schweiz »Expect Emotions«. Das ist es, worum es den Machern heute geht: Große Emotionen vom Rasen zu den Zuschauern zu transportieren — Triumph und Leiden aus dem Stadion in die Welt zu tragen.
Ob das effektiver geht, je mehr Kameras man einsetzt, das ist eine offene Frage. Aber dass die »Mindestzahl« der Kameras bei Fußballspielen weiter wachsen wird, das darf man fast als gesichert annehmen.
Sie werden sehen.
P.S.: Beim jüngsten Spiel der deutschen Elf zeigte sich eine Erkenntnis, die viele Mitarbeiter aus unterschiedlichsten Unternehmen aus eigener Erfahrung bestätigen können: Wenn der Chef weg ist, läuft es am besten. Vielleicht sollte der Bundestrainer immer auf der Tribüne sitzen?