Archivierung: Spiel auf Zeit
Wer bei den öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland nach der Archivstrategie fragt, erntet oft vielsagende Blicke, die von Ratlosigkeit über Indifferenz bis hin zu blankem Entsetzen reichen. Selbst dort, wo man angeblich schon eine Archivstrategie entwickelt hat — die aber oft kaum mehr beinhaltet, als irgendeine Art von Umkopiervorgang — reichen meist ein paar wenige Detailfragen, um die Betroffenen aus der Fassung zu bringen. Und während in den Kellern das Magnetband zerfällt, Filmrollen vor sich hin gammeln, Bänder verkleben und Emulsionen zerbröseln, hechelt die Chefetage der Sender dem Handyfernsehen hinterher.
»Die Schaffung von Mehrwert für die Gesellschaft (Public Value) muss auch in der digitalen Welt Leitfaden für die Weiterentwicklung der ARD sein.« So steht es wörtlich in einem von der Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) der ARD vor wenigen Tagen veröffentlichten Papier. Außerdem heißt es dort: »Die ARD muss auch in der digitalen Welt einen möglichst großen Beitrag zur Wissensgesellschaft leisten. Dazu ist es nötig, die Abrufbarkeit von Programminhalten zu ermöglichen und digitale Archive aufzubauen. Der Zugriff hierauf sollte gerade für Schulen und Universitäten ermöglicht werden. Auch hält es die GVK für wichtig, die Kooperation mit Institutionen aus dem Bildungs- und Kultursektor systematisch zu vertiefen und auszubauen.«
Schön wär’s, wenn dieser Vorsatz in Erfüllung ginge, denn das würde bedeuten, dass nun endlich Geld in die Archivierung fließen muss. Was aber verschiedene Senderverantwortliche in den vergangenen Tagen öffentlich von sich gaben, hörte sich ganz anders an, nämlich so, dass die ARD nun versucht, ihr Publikum per Handyfernsehen zu verjüngen. Solche Aktivitäten kann man aber auch als weitere Maßnahme zur Verschlechterung der Bildqualität interpretieren, wie sie ja schon mit DVB-T überaus erfolgreich umgesetzt wurde.
Zurück zum Ausgangspunkt: Die Archivproblematik ist bekannt, und mit digitalen Archivsystemen versucht man der Angelegenheit Herr zu werden. Doch auch das geht nur Schritt für Schritt, denn allein schon die täglich hinzukommenden Beiträge lasten manches Archivsystem komplett aus, es bleibt keine Kapazität, um die oft beschworenen Schätze zu heben, die angeblich in den Senderarchiven schlummern.
Das grundlegende Problem tritt in veränderter Form letztlich in jedem Produktionsbetrieb auf: Wie und vor allem was soll man denn archivieren? In Zeiten der Bandproduktion ließ sich das noch relativ einfach lösen: Da wurden einfach die Bänder ins Regal gestellt, in der Hoffnung, dass sie möglichst lange halten mögen.
Mit dem Einzug der bandlosen, digitalen Produktion und Postproduktion ist die Welt der Archivierung sehr viel komplexer geworden: Zum einen gibt es schon jetzt etliche bandlose Speichermedien, für die es vielleicht schon in wenigen Jahre keine oder nur noch wenige Abspielgeräte geben könnte. Zum anderen gibt es in einer Welt zahlloser unterschiedlicher Formate und Files sehr schnell das Problem, dass sich nicht jedes Format und auch nicht jedes File problemlos wiedergeben lässt: Betriebssysteme und Softwares ändern sich. Wer jemals versucht hat, eine uralte Textdatei zu öffnen — an sich eine recht simple Aufgabe — der kann sich leicht ausmalen, was ein File-Konverter aus einem Media-File machen kann.
Was tun? Für die Sender ist es sicher nicht einfach, eine umfassende Lösung zu finden, und vielleicht muss und sollte man sich auch von dem Gedanken trennen, alles oder sehr vieles archivieren zu müssen. Zumindest für die öffentlich-rechtlichen Sender dürfte dies aber kein gangbarer Weg sein: Zu viele Randbedingungen gilt es zu berücksichtigen, seien sie gesetzlicher oder produktionstechnischer Natur oder im oben zitierten Anspruch formuliert.
Eine allgemeingültige Lösung gibt es wie so oft nicht, und das Thema ist sicher zu komplex, um es in wenigen Zeilen abzuhandeln. Doch die Strategie »Hoffen und Ausharren« ist eben auch keine Lösung.
Sie werden sehen.