Die Klage des Einzelhandels
Waren Sie in jüngster Zeit mal in der Fußgängerzone einer größeren Stadt in Deutschland? Selbst tagsüber, an einem normalen Wochentag herrscht dort derzeit ein Betrieb, der eigentlich nur eine Umschreibung zulässt: Menschenmassen im Konsumrausch. Fruchten also endlich die Appelle von Bundeskanzler und Wirtschaftsminister? Geben die Leute mehr Geld aus, um die Wirtschaft eigenhändig an zu kurbeln? Wird jetzt kräftig angepackt, und wenn es auch nur der eigene Geldbeutel ist?
Der Einzelhandel verneinte das für das zweite Adventwochenende noch, musste aber nun nach dem dritten Wochenende vor Weihnachten doch von seiner Standardaussage abweichen: »Die Verkaufszahlen blieben unterhalb der Erwartungen« – das hätte doch all zu albern geklungen, angesichts all der tütenbepackten Horden in den Innenstädten.
Wie hätte man sonst deren Anwesenheit in den Innenstädten erklären sollen? Strömten sie nur in die Kaufhäuser, um sich auf zu wärmen und zuhause weniger vom teuren Erdöl verbrennen zu müssen? Trugen sie in den riesigen Tüten und Taschen gar keine neu gekauften Produkte mit sich herum, sondern ihren letzten Besitz, ein paar wenige Habseligkeiten, die ihnen noch geblieben sind?
Kauften die Leute tatsächlich gar nichts ein, sondern suchten nach dem neuerlichen Pisa-Schlag bessere Bildungsmöglichkeiten für ihren Nachwuchs? Wollten sie mit eigenen Augen die Karstadt-Krise besichtigen und sparten gleichzeitig für spätere Opel-Stützungskäufe?
Keine Frage: Die Wirtschaftssituation in Deutschland ist insgesamt immer noch alles andere als rosig. Für die meisten, die von Arbeitslosigkeit betroffen oder bedroht sind, kann es wirklich schnell eng werden, dann sieht die Welt natürlich oft gar nicht mehr hoffnungsfroh aus. Trotzdem gilt ganz sicher auch, dass das Gesamtbild meist viel trüber dargestellt wird, als es derzeit tatsächlich aussieht.
Auch die Film- und TV-Branche in Deutschland kommt langsam aber sicher wieder aus dem Stimmungs- und Umsatztief heraus: Etliche Hersteller, Händler und Dienstleister berichten, dass im Jahr 2004 das Geschäft wieder deutlich spürbar angezogen habe. Ja, es gebe derzeit sogar ein richtig gehendes Jahresendgeschäft, wie man es zwar aus früheren Jahren in der Branche noch kenne, wie es aber in der jüngeren Vergangenheit nicht mehr stattgefunden habe. Plötzlich ist bei etlichen Anwendern am Jahresende doch noch Geld übrig: Es werden Angebote angefordert und Aufträge erteilt. Worte wie »Lieferengpass« und »Back Orders« kommen wieder in den aktiven Sprachgebrauch zurück: Unschön für die Kunden, aber ein Zeichen dafür, dass mehr Bestellungen eingehen, als in den Forecasts der Hersteller erwartet wurden.
Die Stimmung ist dem entsprechend insgesamt viel besser als im Vorjahr, obwohl es natürlich auch noch etliche Sorgenkinder in der Branche gibt: Unternehmen, bei denen derzeit noch massive »Restrukturierungsmaßnahmen« laufen, die wiederum bei anderen schon abgeschlossen sind. Aktuelle Übernahmegerüchte gibt es ebenfalls (mehr dazu in Kürze). Insgesamt betrachtet gilt aber: Was zur NAB2004 als zartes Hoffnungspflänzchen keimte und zur IBC2004 erste Triebe zeigte, ist weiter gewachsen: Es wird wieder investiert und alle hoffen auf die erste Blüte im kommenden Jahr.
Und weil bei vielen Unternehmen und Teilen der Politik China derzeit hoch im Kurs steht, könnte man vielleicht mit einem Mao-Zitat schließen: »Lasst hundert Blumen blühen«. Natürlich bezog sich das auf einen ganz anderen Sachverhalt, es könnte aber gut sein, dass sich dieses Motto auch vorteilhaft auf die Medienwirtschaft ummünzen lässt.
Sie werden sehen.