HD à la turka
Wenn man sich mit dem Auto durch Istanbul quält, kann man leicht den Eindruck gewinnen, dass die gesamten 12 Millionen Einwohner gleichzeitig unterwegs sind. Trotzdem ist es möglich, unbeschadet zu einer der Niederlassungen von Imaj zu gelangen, einem Medienunternehmen, das in der Musik-, Film- und Werbeproduktion tätig ist. Schnell wird klar: Postproduction- und Rental-Haus von Imaj suchen ihresgleichen – und das keineswegs nur in Istanbul und der Türkei. (PDF-Download der Vollversion am Textende.)
Cemal Noyan ist die treibende Kraft, der Gründer und alleinige Inhaber von Imaj. Er setzt voll auf die digitale Produktion von Spielfilmen und Werbung in
Konkret sieht das HD-Engagement so aus, dass Noyans Imaj drei HDCAM-Camcorder des Typs HDW-F900 von Sony besitzt, die Noyan auf die Version F900/3 upgraden ließ. Die passenden Studiorecorder sind in den zentralen Maschinenräumen seiner drei Facilities installiert. Auch zwei Kameras des Typs HDC-950 verleiht Imaj. Drei dazu passende HDCAM SR-Recorder des Typs SRW-1 stehen im Rental-Park zur Verfügung und werden auch an verschiedenen Stellen im Unternehmen eingesetzt. Weiteres HDCAM-Equipment ist schon bestellt. Dieses Equipment ergänzen in der Postproduction vier Nitris-Systeme von Avid und zwei Infernos von Discreet. Rascal-Telecine und DSX-Scanner von Cintel, ein ArriLaser-Filmbelichter, drei Celco-Belichter, ein Lustre und ein 4k-DaVinci runden das HD-Equipment ab. Aber das ist nur das High-End an Equipment bei Imaj, die Spitze des Eisbergs: Adrenaline, Smoke, Flint, aber auch Softimage XSI und 16 ProTools-Systeme seien hier noch stellvertretend für die weitere Ausrüstung genannt, auch 2- und 3D-Animationssysteme gehören dazu. Zum Imaj-Imperium gehören zudem noch weitere Firmen: ein Duplikations-Service für CDs und DVDs etwa, auch ein Ü-Wagen und vieles mehr: Im Zentrum dieses Beitrags soll aber das Thema HD stehen.
IMAJ: FIRMENSTRUKTUR
Dass Imaj-Boss Cemal Noyan sein Geschäft versteht und weiß, was er tut, lässt sich an simplen Fakten ablesen: Laut Inhaber ist Imaj komplett schuldenfrei, Noyan bezahlt sämtliches Equipment bar und auch die Gebäude gehören dem Unternehmen, dessen alleiniger Besitzer Noyan ist. Es geht gar nicht anders, erläutert der Firmengründer: »In unserer Region funktionieren die westlichen Business-Modelle nicht, das lässt sich nicht 1:1 übertragen. Hier herrscht eine andere Mentalität vor, viele Dinge laufen hier einfach anders als anderswo. Ein Beispiel: Bei der Inflationsrate, die wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hier hatten, als ich die Firma auf- und ausgebaut habe, ging es gar nicht anders, als die Erträge sofort in neues Equipment zu investieren.«
Und in die Immobilien, sollte man vielleicht noch hinzufügen: Die großen, aufwändig ausgestatteten Gebäude lassen mit Ihrer schieren Fläche und dem luxuriösen Raumangebot in den einzelnen Suiten besonders die Besucher erblassen, die an Postproduction-Häuser in London gewöhnt sind, wenn sie erstmals bei Imaj Station machen. Mehr als 7.000 Quadratmeter Fläche für Postproduction und Rental-Bereich in zentraler Lage von Istanbuls europäischem Teil, also nordwestlich des Bosporus, sprechen für sich.
Postproduction-Jobs für Kunden aus westlichen Ländern machen rund 25 % des Umsatzes von Imaj aus, deshalb sind natürlich regelmäßig Kunden aus diesen Ländern zu Gast. Außerdem kommen rund 10 % der etwa 200 Mitarbeiter von Imaj aus dem Ausland: Operator und Department-Chefs aus London, aus Frankreich und Italien trifft man hier an Istanbuls HD-Hotspot, wo im Schichtbetrieb 24 Stunden pro Tag an sieben Tagen pro Woche gearbeitet wird, wo insgesamt 25 Video-, Audio- Grafik- und Telecine-Suiten nicht stillstehen. Teilweise sind die Gastarbeiter mit festen Verträgen gebunden, auch Dreijahres-Kontrakte mit jeweils 6 Monaten Präsenz in Istanbul pro Jahr sind üblich, auch die projektweise Mitarbeit bei Imaj gibt es natürlich.
Istanbul gilt für türkische Verhältnisse als teures Pflaster, im Vergleich zur EU sind Lebenshaltung und Arbeitskosten aber immer noch sehr günstig, letzteres besonders, wenn es um normale, nicht hoch spezialisierte Arbeitskräfte geht.
»Wir halten in Bezug auf Projekte und Mitarbeiter engen Kontakt zu anderen Postproduction-Zentren weltweit. Ich bin deshalb unter anderem etwa alle vier bis sechs Wochen in Soho«, erläutert Neslihan Gücüm, die stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin der Niederlassung Esentepe, die vor ihrem Job bei Imaj im Multimedia-Bereich in New York, St. Louis, Los Angeles und London gearbeitet hat.
Stichwort Mutimedia: Ein ganz sicher nicht unwesentlicher Teil des Geschäfts von Imaj ist das Authoring von DVDs für den türkischen Markt. Auch Video-CDs werden hier gemastert, die im türkischen Markt immer noch eine große Rolle spielen und mehr Marktanteil als DVDs haben. Imaj ist der regionale Partner von Warner, UIP, Disney und anderen, führt die Lokalisierung von deren Spielfilmen fürs Kino und für den Home-Entertainment-Markt durch. Das Unternehmen ist auch im Musikgeschäft aktiv, was die stattliche Anzahl von ProTools-Systemen bei Imaj erklärt.
Auch in die Produktion von türkischen Filmen ist Imaj auf verschiedenen Levels involviert, in einer oder mehreren Rollen: als Produzent, Koproduktions-Partner, Rental-Haus, Postproduction, Vermarktungs- und Verwertungspartner. Bekannte türkische Regisseure aus dem Spielfilm- und dem Werbebereich gehen daher bei Imaj ein und aus: Nuri Bilge Ceylan, dessen Spielfilm »Uzak« 2003 in Cannes und auf vielen weiteren Festivals prämiert wurde, produziert derzeit mit Imaj seinen nächsten Kinofilm in HD (siehe separaten Artikel hierüber). Gerade vor dem Kinostart, als www.film-tv-video.de bei Imaj in Istanbul war: »Hirsiz Var« von Oguzhan Tercan, der ebenfalls unter Beteiligung von Imaj in HD produziert wurde.
Bei der Vermarktung türkischer Filme spielen außer dem heimischen Markt vor allem Deutschland, die Niederlande und Frankreich eine Rolle, dann folgen Italien und Großbritannien: In diesen Ländern kommen die Filme ins Kino und hier werden auch große Stückzahlen von DVDs abgesetzt.
»95 % der Telecine-Jobs in der Türkei führt die Niederlassung Sinemaj im Stadtteil Kagithane aus. Dort haben wir, sozusagen auf neutralem Grund, Telecine-, Grading- und Filmbelichtungs-Dienstleistungen zusammen gefasst. Auch andere Posthäuser in der Türkei nutzen diesen Teil unserer Services und wollen natürlich nicht unbedingt, dass ihre Kunden mit unseren anderen Dienstleistungen konfrontiert werden,« erläutert Cemal Noyan.
Konkurrenz unter den Kunden von Imaj wiederum ist die Ursache für andere Besonderheiten des Unternehmens: »Die drei Häuser haben einen klaren Fokus: Werbung in Esentepe, Spielfilm in Kagithane und Musik in Besiktas. Weil es aber Kunden gibt, die nicht in der gleichen Facility arbeiten wollen wie ihre direkten Konkurrenten, gibt es jeweils auch Ausweichmöglichkeiten: Wir haben deshalb auch in der stärker auf Musik fokussierten Niederlassung in Besiktas ein Inferno, ein Smoke und zwei Nitris-Systeme sowie ein Adrenaline-System. Die Facilities sind per Glasfaser miteinander verbunden, wir können also auch Jobs zwischen den Facilities verschieben, wenn es sein muss,« lässt Editor Cengiz Çilek einfließen und weist damit auf die 2-Gbps-Verbindung hin, die Imaj hierfür bei der türkischen Telecom gemietet hat.
Die Angst der Kunden, dass andere ihre Projekte sehen könnten, bevor sie veröffentlicht werden, ist laut Cengiz Çilek auch einer der Hauptgründe, weshalb die Systeme nicht wirklich mit Shared Storage arbeiten, obwohl es in jedem Gebäude einen zentralen Maschinenraum und dort auch zentralen Speicher in NAS-Architektur gibt. »Unsere Kunden aus verschiedenen Bereichen wollen eine saubere Trennung, um sicher zu stellen, dass niemand ihr Material sieht oder gar kopieren kann. Natürlich gibt es etwa bei Unity Sicherungen und verschiedene Zugriffs-Level, die das auch gewährleisten können, das und die weiteren Vorteile, die sich aus dem Arbeiten mit Shared-Storage ergeben, müssen wir den Kunden aber erst vermitteln, bevor wir ein solches System installieren – und soweit sind wir noch nicht.«
Werbung, und dabei überwiegend TV-Werbung, macht ungefähr 90 % des Produktionsvolumens von Imaj im Bildbereich aus, die restlichen 10 % sind Spielfilmproduktionen. Der weit überwiegende Anteil der Werbung wird bisher auch in der Türkei auf Film gedreht und dann digital postproduziert: rund 85 % der Produktionen werden derzeit auf Film gedreht und dann als fertiger PAL-Werbespot im TV-Programm gezeigt. Auf rund 15 % summiert sich derzeit der Anteil von HD nach Angaben von Imaj im türkischen Werbefilmproduktionsmarkt, Unternehmensvertreter prognostizieren aber rasches Wachstum des HD-Anteils – nicht nur in der Werbung, sondern auch im Kinofilm-Bereich.
HD IN DER TÜRKEI
Firmenchef Cemal Noyan prognostiziert: »Mit »Hirsiz Var« und dem kommenden Film von Nuri Bilge Ceylan deutet sich bei uns in der Türkei an, was meiner Meinung nach rasch um sich greifen wird: die HD-Produktion fürs Kino. Ich sehe darin eine große Chance für die regionalen Filmwirtschaften außerhalb der USA. Ein Blick in die DVD-Charts bei Amazon zeigt ganz deutlich die Dominanz der US-Filmwirtschaft: Egal ob in Deutschland, England oder Frankreich, weit mehr als die Hälfte der Chart-Titel sind US-Produktionen – auch bei uns in der Türkei sieht das nicht viel anders aus. HD könnte ein Weg sein, der auch wieder wesentlich mehr lokale Spielfilme möglich macht. Ich wünsche mir das und ich wünsche mir HD-Spielfilme in digitalen Kinos und auf DVD.«
Nebenbei klingt in verschiedenen Gesprächen auch an, dass Imaj den Kauf oder die Gründung eines eigenen TV-Senders evaluiert. Wenn man Cemal Noyan über HD reden hört, kann man leicht auf die Idee kommen, dass es sich dabei sogar um einen HD-Kanal handeln könnte.
Derzeit ist der Hauptumsatzträger des Kerngeschäfts von Imaj aber der Postproduction-Bereich und hier mit 55 % Anteil die Nachbearbeitung für den regionalen Markt. 25 % werden mit Postproduction-Jobs für den internationalen Markt erwirtschaftet, weitere 20 % kommen aus dem Rental-Geschäft.
Burak Balkan, als Head of Graphics und Special-Effects-Artist in verantwortlicher Position des zentralen Bereichs bei Imaj, erläutert: »Für VFX und Compositing nutzten wir bisher überwiegend Discreet-Systeme, mit den neuen Funktionen in Avids Nitris könnte sich das ändern.« Editor Cengiz Çilek sieht das ähnlich: »Die Nitris-Systeme sind sehr leistungsfähig, wir können heute hiermit Jobs erledigen, die bisher den Einsatz ganz verschiedener Systeme erforderten, etwa wenn man an den Bereich Color Grading denkt. Noch wollen die meisten Kunden das Grading lieber am DaVinci machen, ich sehe hier aber durchaus schon erste Ansätze, dass sich das ändern könnte.«
Um nicht nur die Sicht des eigenen Unternehmens zu präsentieren, sondern einen breiteren Blick auf den türkischen Markt zu ermöglichen, hatte Imaj als www.film-tv-video.de vor Ort war, Regisseure und Produzenten aus dem eigenen Kundenkreis eingeladen und es ermöglicht, in Gesprächsrunden mehr über den Stand von HD in der Türkei zu erfahren.
Aus Sicht des Regisseurs Hazim Basaran, der bei Imaj aufwändige Spots etwa für die türkische AKBank postproduzieren lässt, liegen die Vorbehalte der Werbebranche gegen HD oft an Kleinigkeiten: »Langjährige Gewohnheiten, aber auch dass manchmal in den Aufnahmen ganz feine Details eben doch nicht so aussehen, wie wenn man sie auf Film gedreht hätte, auch dass man mit anderen Objektiven arbeiten muss, die ihre Eigenheiten haben – solche Dinge bremsen den Enthusiasmus für HD.« Aber, da ist sich Basaran, der auch schon Spielfilm- sowie TV-Produktionserfahrung gesammelt hat und unter anderem zwei Jahre in New York arbeitete, sicher: »In fünf Jahren wird das ganz anders aussehen, dann werden sicherlich sehr, sehr viele Commercials in HD gedreht und postproduziert.«
Manchmal ist HD aber ganz sicher auch jetzt schon die richtige Wahl, so etwa bei einem Spot für Yapi Kredi, den Imaj postproduzierte und animierte: die Hintergründe wurden in HD gedreht, dann wurden Popkonzertszenen mit kleinen lila Männchen in XSI animiert.
Auch bei Imaj war es bislang und ist es auch derzeit noch in den meisten Fällen so, wie es etwa auch in Deutschland und wahrscheinlich weltweit aussieht: Werbung wird auf 35-mm-Film gedreht, dann abgetastet und aufwändig nachbearbeitet – allerdings in SD-Auflösung, »weil man ja am Ende ohnehin nur ein SD-Master braucht«. Diese offensichtliche Diskrepanz werden sich in Zukunft aber immer weniger Werbeproduktionen leisten wollen oder können.
Den Kostenaspekt sieht auch Werberegisseur Mete Özok als zentralen Aspekt wenn es darum geht, ob sich HD auch in der Werbung durchsetzen wird: »Letztlich wird in vielen Fällen einfach das Budget entscheiden und mit HD lässt sich Werbung einfach viel günstiger realisieren. Ja: HD ist nicht Film – aber es ist meistens gut genug. Gut genug für TV-Werbung allemal. Außerdem sollte man HD gar nicht ständig mit Film vergleichen, denn es ist ein eigenes Medium, das man erkunden muss und ausnutzen kann. Das Schwierigste ist momentan eigentlich, den Agenturen klar zu machen, was HD überhaupt ist. Die sehen die Kamera und denken „Video, alles klar. Lass uns lieber auf Film drehen.“«
Mete Özok betreibt gemeinsam mit Bahadir Karatas und Bahadir Arliel die Firma Filmpark, die seit ihrer Gründung im Februar 2004 schon mehr als 50 Commercials produziert hat. Im Sommer 2005 will Filmpark einen eigenen Spielfilm produzieren. Produzent Arliel sieht den Kostenaspekt als wichtigste Größe, die für HD spreche. »HD ist kostengünstiger und flexibler. Es setzt zwar etwas mehr Genauigkeit und Kontrolle am Set voraus, liefert dann aber auch ein im Endeffekt besseres Ergebnis bei niedrigeren Kosten. Wir haben in den vergangenen Monaten zwölf Produktionen in HD realisiert, die Kunden waren glücklich, wir waren glücklich und alle haben Geld gespart. Trotzdem ist es schwierig, den Regisseuren und Agenturen HD schmackhaft zu machen, das hat aus meiner Sicht Traditions- und Gewohnheitsgründe. Dennoch werden aus meiner Sicht die Kosten als treibende Kraft helfen, HD auf immer breiterer Basis durch zu setzen: Das Material kostet viel weniger, man braucht weniger Equipment und weniger Personal am Set. Das sind die schlagenden Argumente.«
Arliels Firmenpartner Bahadir Karatas ist weniger euphorisch, wenn es um HD geht: »Ich bevorzuge Film und arbeite, wann immer es geht, lieber mit Film. Deshalb will ich auch von HD einen Filmlook haben, obwohl ich weiß, dass diese erzwungene Imitation eigentlich falsch ist und man sich lieber auf den HD-Look einlassen sollte, um dessen Besonderheiten zu nutzen. Wie ich wollen viele Leute, die üblicherweise mit Film arbeiten, dass HD wie Film aussehen soll, obwohl das eigentlich der falsche Ansatz ist.«
Trotz seiner Skepsis sieht Karatas eine Entwicklung in Richtung HD voraus: »HD verändert die Art, wie wir unsere Geschichten erzählen, ob in Commercials, Kinofilmen oder Dokumentarfilmen. Ich war anfangs völlig gegen HD musste aber erkennen, dass es in vielen Fällen ganz okay ist. Nun arbeite ich daran, den »Filminstinkt« ab zu legen. Ich hänge emotional am Film und ich denke, das geht vielen so. Man muss lernen, dass Film und Kino in Zukunft nicht mehr das Gleiche sind, das wird immer deutlicher werden. HD ist ein neues Medium, das man nicht mit Film vergleichen sollte.« Worin er konkret die Rückwirkungen von HD auf das Storytelling sieht, erläutert Karatas so: Die andere Schärfentiefe bewirkt, dass man eher mit langbrennweitigen Tele-Linsen arbeitet. Mit einem anderen Objektiv erzählt man aber auch eine andere Story. Natürlich können die Rückwirkungen des Mediums auf die Story auch positiv sein. Ich habe im Kino schon den HD-Spielfilm »Hirsiz Var« gesehen und denke, jeder kann an diesem Film sehen, wie Story und Medium aufeinander einwirken.« Vielsagend resümiert Karatas aus seinen bisherigen Erfahrungen: »HD ist größer als man denkt.«
Pro Jahr werden in der Türkei nach Schätzungen etwa rund 2.000 Commercials produziert. »Der Anteil von HD an diesem Produktionsvolumen wird rasch ansteigen«, prognostiziert Bahadir Arliel. Einheimische Filme sehen in türkischen Kinos rund 3,5 bis 4 Millionen Zuschauer pro Jahr, insgesamt zählt das Kino in der Türkei pro Jahr 16 Millionen Besucher. Auch hier könnte HD aus Sicht des Filmpark-Trios eine Veränderung bringen. Bahadir Karatas benennt eine weitere Einflußgröße für den türkischen HD-Markt und erweist zudem dem Imaj-Firmeneigner Noyan eine Referenz, wenn er sagt: »Cemal Noyan treibt den türkischen HD-Markt an. Ich bin sicher, er wird Produktionen aus Europa in die Türkei holen.«
Imaj-Gründer Cemal Noyan selbst hebt gar nicht so sehr auf die Kosten ab, wenn er die Vorteile von HD nennt. Ihm geht es darum, den Filmprozess zu vereinfachen: »Das Arbeiten mit Film ist umständlich und mit vielen Risiken behaftet: Licht, Temperatur, mechanische Probleme können den Film jederzeit auf dem gesamten Weg ab der Auslieferung beim Hersteller bis zum Verlassen des Kopierwerks und auch noch darüber hinaus beschädigen oder komplett ruinieren. Film bietet auch kaum Kontrollfunktionen: Es gibt noch nicht einmal so etwas wie eine Hinterbandkontrolle. Dagegen ist die HD-Aufnahme mit einem Recorder wie dem SRW-1 eine absolut simple und sichere Sache. Noch sind bei einem HD-Dreh alle Beteiligten ein bisschen nervöser und es wird am Set zehnmal mehr kontrolliert und überprüft, weil der Prozess für die Filmleute noch neu ist. Wir sind immer mit Waveform-Monitor und Vektorskop dabei und empfehlen das auch. Aber trotz des in diesem Aspekt vielleicht etwas höheren Aufwands: Bei HD wird das fertige Originalbild in einem einzigen Prozess am Drehort in einem einzigen Gerät aufgezeichnet. Beim Film stehen dem sieben Prozessschritte gegenüber, die nach dem Dreh folgen und von denen jeder einzelne stärker risikobehaftet ist, als die HD-Aufzeichnung insgesamt.«
Noyan sieht große Perspektiven: »Auch das Kino muss digital werden, dann ist der gesamte Prozess sicherer, kontrollierbarer, billiger und einfacher.« Als Beispiel dafür lässt Noyan ein technisches Gerät aus der Asservatenkammer holen, an dem er sichtbar hängt: Einen tragbaren Videorecorder der ersten Stunde, die Ampex/Nagra VPR-5. »Auch wenn sich dieser tragbare Recorder bei seiner Markteinführung nicht durchsetzen konnte, zeigte er doch schon ganz klar den Weg, gab die Richtung vor. Heute sind wir so weit, dass man mit einem kompakten, simpel zu bedienenden Gerät in einem einzigen Prozess kinotaugliche Bilder aufzeichnen kann.«
Zu den Equipment-Kosten bei HD befragt, winkt Noyan ab: »Das ist letztlich aus meiner Sicht gar nicht der wirklich entscheidende Punkt. Im Vergleich zu den Gesamtproduktionskosten eines Kinofilms sind die Equipment-Kosten letztlich unwichtig. Was zählt, ist die Zuverlässigkeit und Sicherheit und beides spricht aus meiner Sicht klar für digitale 4:4:4-Aufzeichnung.«
Leidvolle Erfahrungen mit dem Filmprozess hat Regisseur Oguzhan Tercan bei seinem in HD produzierten Kinospielfilm »Hirsiz Var« gemacht: »Wir waren mit dem Ergebnis unserer Arbeit sehr zufrieden, als die Endfassung fertig war. Probleme gab es dann mit den Kinokopien: Wir sind damit sehr unzufrieden, denn die Filmkopien sehen von Kopie zu Kopie sehr unterschiedlich aus, besonders, was die Farben betrifft. Wir haben etliche Tests gemacht und sind uns ganz sicher, dass das an der mangelnden Konstanz des Dub-Filmmaterials und der Kopierwerkschemie liegt. Wenn es beim letzten Schritt ins Kino solche Probleme gibt, ist das natürlich sehr unbefriedigend: Das hätte aber natürlich auch Gültigkeit, wenn wir auf Film gedreht hätten«.
Auch der international viel beachtete Regisseur Nuri Bilge Ceylan ist Pro-HD eingestellt, seit er die ersten HD-Erfahrungen bei den Dreharbeiten zu seinem kommendem Film »Iklimler« sammelte: »Ich glaube nicht, dass ich wieder zum Film zurückkehren werde,« sagt er dazu und begründete das im Gespräch mit vielen verschiedenen Aspekten, in denen HD ihm Vorteile bot (im separaten Artikel hierzu).
Digital Cinema vom Anfang der Produktion bis zur Leinwand, das ist das Ziel von Cemal Noyan: »Wenn Firmen wie Imaj die komplette Dienstleistung anbieten, wird sich Digital Cinema durchsetzen, davon bin ich überzeugt. Im normalen Kino sieht auch heute niemand 4K-Bilder, deshalb ist die Zeit jetzt reif. Schon jetzt kommen ja 60 % der Erträge im Spielfilmmarkt aus dem Home-Cinema-Bereich, das wird die Digitalisierung der gesamten Branche weiter antreiben. Und wenn die Verleiher statt 1.000 Dollar und mehr für eine Kino-Filmkopie aus zu geben, die Kinos beim Wandel ins digitale Zeitalter unterstützen würden, könnte Digital Cinema längst Realität sein.«
HIRSIZ VAR: HD-PRODUKTION FÜRS KINO
»Hirsiz Var« ist der erste komplett in HD gedrehte und produzierte türkische Kinospielfilm. Von Imaj kam das Aufnahme-Equipment, die Postproduction fand bei Sinemaj statt, ebenso die Rückbelichtung auf Film. Gedreht wurde mit zwei HDW-F900 von Sony.
Das Arbeiten mit HD in Echtzeit und mit fertigen Ergebnissen auf dem Bildschirm gefiel dem Regisseur Oguzhan Tercan und DoP Tolga Kutlar pflichtet ihm bei, wenn es um die Qualität geht: »Im direkten Vergleich mit 35-mm-Film ist HD schlechter. Aber für sich betrachtet ist es ein prima Format, das eben ganz andere Vorteile hat.« Welche das aus seiner Sicht sind, erläutert Regisseur Tercan so: »Wir wollten einen ganz bestimmten Look für diesen Film, den wir mit HD sehr gut und einfach erreichen konnten: flashy, hell, bunt. Außerdem mussten wir hoch produktiv arbeiten. Wir hatten nur 38 Drehtage, was für diesen Film sehr wenig ist. Die dafür notwendige, höhere Produktivität konnten wir nur mit HD erreichen, wir haben dank HD sehr viel Zeit gespart. Etwa 80 % des Films spielen nachts, da fanden wir HD optimal, hier konnte das Equipment seine Vorteile ausspielen. Außerdem sollte der Film sehr schnell geschnitten werden, ich brauchte also jeweils viele Einstellungen von jeder Szene. Man könnte sagen, wir haben sehr schnell gedreht und sehr schnell geschnitten – und beides sprach für HD.«
Zum Thema Produktivität erläutert DoP Tolga Kutlar: »Et-wa ein Viertel der Szenen haben wir mit zwei Kameras gedreht. Das wäre bei Film so nicht bezahlbar gewesen, wir waren mit HD aber auch einfach viel schneller. Weil »Hirsiz Var« ein unruhiger, bunter Film mit viel Bewegung und Action ist, passt HD zudem aus meiner Sicht vielleicht sogar besser zu diesem Spielfilm als 35-mm-Material.«
Oguzhan Tercan ergänzt: »Für meinen DoP Tolga Kutlar und mich war es die erste Produktion in HD und ich denke, wir haben gelernt, dass das richtige Lichtsetzen für HD extrem wichtig ist: Gutes Licht führt zu perfekten Ergebnissen. Bei den Szenen, wo wir tagsüber draußen drehten und die Lichtverhältnisse nicht komplett kontrollieren konnten, gab es hin und wieder kleinere Probleme, aber es war nichts dabei, was man nicht im Color Grading hätte korrigieren können.«
Tolga Kutlar merkt dazu an, dass er leider nicht auf HD-Erfahrungen türkischer Kollegen zurückgreifen konnte: »Ich habe zur Vorbereitung einfach alles gelesen, was an Erfahrungsberichten verfügbar war und natürlich haben wir auch umfangreiche Tests gemacht. So war ich etwa für das Thema Softness von Zoom- und Prime-Objektiven sensibilisiert und konnte das anpassen. Wir haben die Kamera ansonsten aber in der Grundeinstellung belassen, weder Gamma, noch Schwarzwert verändert. Wir waren mit den Ergebnissen, die die 900/III lieferte, auch ohne diese Eingriffe zufrieden. (…) Das Licht konnte bei rund 90 % der Einstellungen, die wir drehten, gut kontrolliert werden, so dass von dieser Seite keine größeren Probleme zu befürchten waren und auch nicht entstanden. Hin und wieder passierte es, das Highlights nicht weiß, sondern farbig dargestellt wurden, allerdings nicht durchgängig gleich, aber das ließ sich korrigieren. (…) Ich hatte vor diesem Film keinerlei HD-Erfahrung und ich gebe offen zu: Ich habe sehr viel gelernt, etwa auch was das Color Grading und die Zusammenarbeit mit dem Kopierwerk betrifft, wenn man mit HD arbeitet. Ich empfehle jedem, hier sehr viel zu testen. Im Rückblick kann ich sagen, dass ich mit dem Licht und mit der Kameraarbeit vor Ort glücklich bin, dass ich mir aber beim Grading und in der Zusammenarbeit mit dem Kopierwerk etwas mehr Zeit gewünscht hätte.«
Als besonders wichtige Einzelaspekte betont Tolga Kutlar etwa das Thema Schärfentiefe: »Die Canon-Zooms, die wir einsetzten, boten einfach weniger Schärfentiefe als die Zeiss-Festbrennweiten. Das mussten wir berücksichtigen und korrigieren. Das Thema Schärfe ist beim Arbeiten mit HD ohnehin schwieriger: wir hatten doch etliche »Soft Scenes«. Den Schwarzweißsucher finde ich unbrauchbar, damit kann man aus meiner Sicht nicht richtig arbeiten. Setzt man einen Monitor ein, was wir getan haben, verändert dies das Handling. Es ist ungewohnt und unnatürlich für Filmkameraleute wie mich, wenn das Sucherbild plötzlich nicht mehr an der Stelle der Kamera zur Verfügung steht, wo man es gewohnt ist.«
Aus Kutlars Sicht sind Film und HD keine Alternativen, sondern zwei ganz unterschiedliche Wege, um andere Looks zu kreieren und neue Möglichkeiten aus zu loten. »HD sollte gar nicht wie Film aussehen.« Für »Hirsiz Var« war HD aus Sicht von Kutlar und Tercan die richtige Wahl: »Ich kann nur sagen: Für diese Art von Film in der Türkei war es das Richtige.«
Unzufrieden ist Oguzhan Tercan mit den Schwankungen, die es zwischen den einzelnen Kopien gibt: »Leider entspricht bei vielen Kopien die Farbwiedergabe nicht dem, was wir im Grading gemacht haben. Das geht so weit, dass die einzelnen Akte voneinander abweichen. Wir glauben, dass etwas mit dem Print-Material nicht stimmt, denn es wird einfach keine konsistente Qualität erreicht. Ich weiß nicht, ob das nur den türkischen Markt betrifft, aber es ist keine gute Situation. Oft wird ja die Frage gestellt, ob man beim digitalen Grading den Monitor auf das Filmmaterial abstimmen sollte, oder ob es darum geht, mit dem Filmmaterial den Monitor-Look nach zu empfinden. Derzeit kann ich dazu nur sagen: Wenn die Eigenschaften des Filmmaterials nicht konstant sind, wenn es hier wechselnde Charakteristiken gibt, worauf sollte man dann den Monitor abgleichen?«
Tolga Kutlar bestätigt diese Sichtweise des Regisseurs: »Wir haben bei den Tests schon bemerkt, dass das rückbelichtete Material auf Film höchst unterschiedlich ausfiel. Nach langem Hin und Her und vielen Tests wurde uns dann klar: Das liegt am Filmmaterial.«
Oguzhan Tercan sieht in HD und dessen anderem Look trotz dieser – offenbar nicht in HD begründeten – Schwierigkeiten, so viele Vorteile, dass er wieder HD verwenden will. »Ein interessanter Effekt ist mir aufgefallen, als der Teaser in die Kinos kam: Unser auf HD basierender Look fiel neben den anderen Teasern richtig auf – und das will man ja schließlich bei einem Teaser.« Zudem resümiert Tercan: »Für Innenaufnahmen ist HD fantastisch, es bringt eine ganz neue Inspiration, mit der ich gern noch mehr experimentiert hätte, was wegen der engen Deadlines leider nicht ging. Production Design und Farbmanagement sind beim Drehen mit HD aus meiner Sicht sehr wichtig. Und mir gefällt das direkte Feedback beim Drehen, einfach die Bilder auf dem Monitor in hoher Qualität zu sehen.«
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