Spiel mit dem Feuer
Speicherchip und Disc bringen beim tagesaktuellen, schnellen Arbeiten viele Vorteile. Außerhalb des News-Bereichs wird aber wohl noch jahrelang weiter mit bandbasierten Camcordern aufgezeichnet werden. Das Band ist auch in der Akquisition noch lange nicht tot.
So lassen sich zumindest die offiziellen Statements von Sony- und Panasonic-Mitarbeitern zusammen fassen. Hinter den Kulissen beschäftigt sich aber viele mit einem Grundproblem, das die neuen Camcorder-Speichermedien aufwerfen. Dessen Dimension wird deutlicher, wenn man den Blick jenseits der Produkt- und Technologie-Ebene schweifen lässt: Viele Jahre lang waren Sony und Panasonic die einzigen Firmen, die mit der technisch anspruchsvollen Bandtechnik so umgehen konnten, dass dabei im High-Tech-Mix aus Feinmechanik und Elektronik robuste, profi-taugliche Produkte entstanden sind. Nun hat der Umschwung begonnen, die nächste Evolutionsstufe der Speichertechnik hält Einzug in die ureigenste Domäne der beiden großen Hersteller, in den Bereich, der sie überhaupt erst zu großen Playern im Broadcast-Markt gemacht hat.
Der Speicherchip ohnehin, aber auch die Disc, sind eher IT- als AV-Produkte. Das stellt die bisherigen Business-Modelle in Frage. Sony hält sich mit der Disc noch eher an den traditionellen Weg, sucht stärker den weichen Übergang als den harten Schnitt: Es gibt weiterhin Camcorder und Recorder, die weitgehend den tradierten Mustern entsprechen, nur wird eben nun statt des Bandes eine Scheibe eingelegt. Sonst bleibt vieles gleich. Radikaler geht Panasonic das Thema an, will ganz neue Vorteile erschließen, gleich eine Stufe weiter gehen. Der Preis dafür ist aber ein stark veränderter Workflow bei den Anwendern und ein stark verändertes Geschäftsmodell beim Hersteller: Es gibt praktisch keine Verschleißteile mehr bei den Geräten und das Speichermedium ist im engeren Sinn kein Verbrauchsmaterial mehr.
Beide Strategien haben etwas für sich und werden ihre Anhänger finden, soviel scheint sicher. Wer am Ende mehr Marktanteile erreichen wird, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.
Gemeinsam ist aber beiden Ansätzen: Der Einstieg in den Ausstieg hat begonnen. Wenn sich nach erster Skepsis in der Praxis zeigen sollte, dass die neuen Speichertechnologien nicht anfälliger, sondern sogar sicherer sind als die letztlich doch relativ empfindliche Bandtechnik, dann bleibt mittelfristig kein wirklich stichhaltiges Argument für Tape-Camcorder mehr übrig, gleichgültig in welchem Bereich sie eingesetzt werden. Wie schnell die Migration weg vom Band im Akquisitionsbereich gehen wird, hängt letztlich nur vom Preis und der Zuverlässigkeit der neuen Speichertechniken ab.
Die Einführung von Disc- und Speicherchip-Camcordern beschleunigt letztlich das Sterben des Videorecorder-Bereichs. Wer braucht noch einen klassischen Videorecorder, wo es ein viel einfacheres, billigeres Laufwerk tut? Wie sinnvoll ist es, ein Laufwerk, das so tut, als sei es ein klassischer Videorecorder, von einem NLE-System aus wie einen Videorecorder zu bedienen? In einer mehr oder weniger langen Übergangsphase wird es zweifellos viele solche Lösungen geben, aber eine wirkliche Zukunft hat dieses Modell nicht mehr: das Totenglöckchen für den Videorecorder fängt schon langsam an zu bimmeln.
»Aber der Archivbereich«, wendet so mancher da ein. Das ist zwar in der Tat ein ausgesprochen wichtiger, jedoch von der Gerätezahl her ungleich kleinerer Markt. Und letztlich spielt auch hier die Zeit für server-basierende Lösungen.
Server, Speicherchips, Disc-Drives und Card-Slots können aber neben Sony und Panasonic auch ganz viele andere Hersteller produzieren. Das wiederum reduziert, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, die Führungsrolle der traditionellen Broadcast-Hersteller Sony und Panasonic. Mit den neuen Technologien ist indirekt das bisher wichtigste Geschäftsfeld der Broadcast-Abteilungen dieser Hersteller gefährdet, der Bau und Service von Camcordern und Recordern. Von diesem Kernbereich hängen viele anderen Broadcast-Produktlinien dieser Hersteller direkt oder indirekt ab. Wenn ein Großteil davon ersatzlos wegbräche, bliebe für Sony und Panasonic im Broadcast-Markt mittelfristig kaum mehr als der Status reiner Kamerahersteller mit ein paar kleinen Zusatz-Produktlinien.
Auch als (fast) reiner Kamerahersteller kann man überleben, wie Ikegami zeigt. Aber die Bemühungen dieses Herstellers, sich mit einem eigenen Tapeless-Camcorder-Konzept und einem Monitor-Line-Up zu diversifizieren, sprechen eine deutliche Sprache: mehr Standbeine sind sicherer.
Sony und Panasonic spielen also mit dem Feuer, aber sie haben gar keine andere Wahl: If you can’t beat them, join them! So bauen die beiden Großen der Branche ihre Unternehmen um. Mit einigem Zeitdruck im Nacken, richten sie sich nun noch klarer und deutlicher zum IT-Bereich hin aus. Und sie versuchen stärker als je zuvor, sich im Broadcast-Markt neue Geschäftsfelder zu erschließen. Das ist auch unabdingbar, wenn das Business mit Bändern, Recordern und Verschleißteilen auf Grund der eigenen neuen Entwicklungen mittelfristig ein zu brechen droht.
Bei Sony haben diese Bemühungen schon deutliche Konturen: Man positioniert sich als »Solution Provider«, bietet Consulting und andere Dienstleistungen als eigene Produkte an. Thomson hat sich ja innerlich schon länger vom Band verabschiedet (wie film-tv-video.de schon nach der NAB2002 konstatierte) und geht einen ähnlichen Weg. Und auch Panasonic hat die ersten Weichen für diese Route gestellt.
Sie werden sehen.