Kommentar, Top-Story: 06.02.2003

Winterschlussverkauf

Kaum werden wir in der Radio- und Fernsehwerbung angebrüllt »Geiz ist geil!«, schon wird alles billiger. Apple kündigte Anfang Januar während der Macworld in San Francisco eine deutlich billigere Version der Schnitt-Software Final Cut Pro an. Avid setzt noch eins drauf und verschenkt künftig seine Software: Die neue, simple Schnittprogramm Avid Free DV gibt’s kostenlos für Mac- und Windows-Anwender.

Ganz so drastisch geht es nicht überall zu, aber auch im Akquisitionsbereich gibt es ähnliche Tendenzen: Preis runter und Qualität rauf. Schönes Beispiel: Panasonic führt mit dem DVX100 einen DV-Camcorder ein, der in 25P aufzeichnen kann – und das Ganze für nur 5.000 Euro netto.

Aus Kundensicht sind diese Entwicklungen zunächst mal sehr erfreulich: Schließlich führt das kurzfristig zu einem konkurrenzlosem Preis/Leistungs-Verhältnis. Dieses Spiel ist aber für die Hersteller und letztlich auch wieder für die Kunden durchaus nicht ungefährlich. Das mussten auch schon etliche große Unternehmen feststellen, die sich auf diese Weise neue Märkte kauften und deren Kunden letztlich ziemlich allein da standen.

Sicherlich wird Apple wohl kaum daran zugrunde gehen, wenn Final Cut Pro billiger wird: Letztlich ist Software für Apple ohnehin nur ein Vehikel, um einerseits Windows-Anhänger zu bekehren und andererseits den Mac-Jüngern immer wieder neue, noch leistungsfähigere Rechner zu verkaufen.

Für Hersteller aus der Medientechnik, die bislang Ihren Profit zum Großteil mit teuren, professionellen Systemen erwirtschaftet haben, sieht die Welt aber ganz anders aus. Wer mit einer günstigen Einsteiger-Software so viel verdienen will, wie mit einem teuren Profisystem, muss Masse generieren – und das in einem Markt, der sich wohl nie zum Massenmarkt entwickeln wird. Um einen schon einmal in diesem Newsletter verwendeten Vergleich zu ziehen: Es werden nicht automatisch viel mehr Leute Cello spielen, wenn man die Instrumente billiger macht.

Wie sehen also die Überlebens-Strategien aus? Ganz unterschiedlich, aber das Verhalten von Avid steht durchaus für einen Trend: Man geht in die Breite und in die Spitze. Avid etwa forciert mit dem Gratis-Appetithäppchen seine Bekanntheit am unteren Marktende, um letztlich an diesem Ende auch mehr DV-Software zu verkaufen. Gleichzeitig wird aber mit Hochdruck daran gearbeitet, das HD-Geschäft auf den Weg zu bringen. Die Marktneulinge sollen also auf die richtige Schiene gesetzt werden und am oberen Ende soll der Umstieg auf HD für Marktbewegung und Umsatz sorgen. Auch Quantel, Pinnacle, Discreet und Media100 verfolgen letztlich im Ganzen oder in Teilen recht ähnliche Ansätze. Die Kunst wird in den kommenden Monaten wohl darin bestehen, die richtige Balance zwischen den beiden Polen zu finden.

Und was passiert noch? Praktisch alle Hersteller versuchen derzeit, ihre Beziehungen zu den öffentlich-rechtlichen Sendern zu intensivieren und wenn schon keine Produkte, dann wenigstens Consulting zu verkaufen. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind eben, trotz gelegentlich anderer Klagen, vom Einbruch im Werbemarkt weit weniger betroffen und schöpfen weiterhin aus dem Gebührensäckel.

Gleichzeitig geht es auf der Herstellerseite darum, intensiv neue Kundengruppen zu adressieren und mit günstigen Einsteigerprodukten hier Erstkunden zu gewinnen, denen es bis dato schlichtweg zu teuer war, ins professionelle Videobusiness einzusteigen: Agenturen, Architekturbüros, kleine Multimedia-Firmen. Immer mehr technische Brücken vom Consumer- ins Profi-Lager sollen dann den Weg für diese Kunden ebnen, innerhalb der Produktpalette immer weiter aufzusteigen.

Traditionelle und neue Maßnahmen zum Umgang mit der momentanen Marktsituation stehen im Wettstreit, beide werden aber mit Sicherheit die Produktankündigungen und die News der nächsten Monate kennzeichnen. Zur NAB2003 im April zeichnet sich vielleicht schon ab, welche Strategie wohl erfolgreicher aus der Krise führt.

Sie werden sehen.