Aktuelle Bären und eine künftige Berlinerin
Am vergangenen Samstag ging die 73. Berlinale mit der Preisverleihung zu Ende. Das Führungsduo, dessen fünfjährige Amtszeit zugleich endete, zog eine positive Bilanz.
Als Bester Film des Festivalwettbewerbes wurde »Dahomey« von Mati Diop (Kamera: Josephine Drouin Viallard) mit einem Goldenen Bären ausgezeichnet. Der Dokumentarfilm beschäftigt sich mit dem kolonialen Kunstraub in Afrika und dessen Langzeitfolgen. Die Koproduktion Frankreich / Senegal / Benin greift das Beispiel der Rückgabe von 26 Kunstwerken an Benin auf. Mit dieser Auszeichnung bewegt sich die siebenköpfige Jury um die kenianisch-mexikanische Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong’o in der Berlinale-Tradition, filmische Diskussionsbeiträge zu aktuellen Themen herauszustellen statt Blockbuster zu hofieren. Bedurfte es für diese Würdigung des international kaum beachteten Filmkontinents Afrika erst einer Jurypräsidentin mit afrikanischen Wurzeln?
Einen der sieben vergebenen Silbernen Bären nahm Matthias Glasner für das Drehbuch seines Films »Sterben« entgegen. Martin Gschlachts Bildgestaltung für » Des Teufels Bad« von Veronika Franz und Severin Fiala wurde von der internationalen Jury mit dem Silberbären für eine herausragende künstlerische Leistung herausgestellt.
Die Liste preisgekrönter Berlinale-Filme zum Nachschlagen.
Nach dem Halbzeitwert von 271.500 Tickets hatte der Publikums-Sonntag nach der Preisverleihung …
Die positive Berlinale-Bilanz werde durch die Rekordteilnahme von 12.000 Fachbesuchern aus 143 Ländern am European Film Market unterstrichen. Sie konnten Kontakte mit 614 ausstellenden Firmen und Institutionen aus 69 Ländern aufnehmen. 664 Filme wurden in 1.029 Screenings, darunter 536 Marktpremieren, gezeigt. Produzenten nutzten die Möglichkeit, 660 neue Filmprojekte vorzustellen. Am Beginn des Handelsjahres habe der Berliner Handelsplatz wiederum »seine Position als Impulsgeber für die weltweite Filmwirtschaft« bewiesen, wird bilanziert. Das betreffe auch den großen Andrang auf das Begleitprogramm mit dem Schwerpunktthema KI.
German Films konstatiert erfreut einen Rekordanteil von 50 deutschen (Ko-) Produktionen an den 199 Filmen aus 51 Ländern des Programms. Davon waren 35 Film majoritär deutsche Produktionen. Dies zeige »das große Interesse und die Qualität des deutschen Films«, lässt die Agentur für das Auslandsmarketing deutscher Kinofilme verlauten.
Wachablösung: Rissenbeek/Chatrian übergeben an Tuttle
Kulturstaatsminsterin Claudia Roth verwies auf die Schwierigkeiten der fünfjährigen Amtszeit. Rissenbeek und Chatrian sei es gelungen, das weltgrößte Publikums-Filmfestival durch die Widrigkeiten der Pandemie und eine Zeit weltweiter Krisen und Gewalt zu schleusen. Sie hätten den Stellenwert für die Filmfans und die Berlinale als Ort des politischen Dialogs über Sichtweisen und im Sinne der Demokratie ernst genommen, lobte Roth.
Die 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin wird die US-Amerikanerin Tricia Tuttle leiten. Dieser Personalentscheidung war ein Debakel vorausgegangen: Nachdem Rissenbeek ihre Kündigung erklärt hatte, verlautete aus dem Kulturstaatsministerium der Plan für eine Intendanz. Dem wollte Chatrian sich nicht unterordnen und kündigt ebenfalls.
Tuttle habe die Findungskommission »mit ihren sehr strukturierten Vorstellungen zu den künstlerischen Perspektiven der Berlinale überzeugt«, so Kulturstaatsministerin Roth bei der Bekanntgabe der Personalie. Daher »ist sie die absolut richtige Wahl, die Berlinale in eine erfolgreiche Zukunft zu führen«, hieß es aus dem Bundeskanzleramt.
Die US-Amerikanerin, die bereits das Londoner Filmfestival geleitet hat, wird ihre Ideen gegen widerstreitende Vorstellungen aus der Filmindustrie durchsetzen müssen. Wahrscheinlich muss sie auch mit weiteren finanziellen Kürzungen und Zurückhaltung von Sponsoren rechnen, die schon vor ihrer Amtszeit u.a. zur Reduzierung des Filmangebots geführt haben. Tuttle konnte, nach 20 Fachbesucherinnen-Jahren, jedenfalls schon mal hinter die Kulissen des Festivals blicken. Nachdem sie Anfang April die Geschäfte übernommen hat, will sie ihr Konzept vorstellen. Laut Medien sei sicher, dass sie die Chefstelle des European Film Market aus ihrem Umfeld neu besetzen will.