Live-Storytelling bei großen Sport-Events
Sport-Bildregisseur Laurent Lachand und ZDF-Spezialist Patrick Jung vom ZDF diskutieren über Replays und das Live-Storytelling großer Fußballspiele.
EVS richtete ein Webinar aus, bei dem der Bildregisseur Laurent Lachand und Patrick Jung, der EVS-Spezialist des ZDF, das Live-Storytelling und die Bedeutung von Replays bei großen Sport-Events diskutierten. Jan Mokallai, VP Solutions bei EVS, moderierte das Webinar.
Bei der Fußball-WM in Katar im Jahr 2022 war Laurent Lachand als Bildregisseur für das Endspiel zwischen Frankreich und Argentinien verantwortlich. Über 40 Kameras waren bei diesem Spiel im Einsatz, darunter neben den Standard-Kameras auch eine Helikopter-Kamera, eine Drohne, diverse Slomo-Kameras und natürlich unzählige Spezialkameras.
Bei der Arbeit an so großen, aufwändigen Produktionen, arbeitet Lachand im Team — und der Zuschnitt der einzelnen Aufgaben erklärt teilweise schon, wie wichtig dem Regisseur das Storytelling im Live-Bereich ist: Im Unterschied zu anderen Regisseuren gibt Laurent Lachand während eines Spiels nicht nur Schnittanweisungen, sondern er schneidet selbst. Er findet, dass es einfach zu lange daure und zu träge sei, wenn er erst einer anderen Person die Schnitte ansage. Also bedient er den reinen Live-Bildschnitt am Videomischer als Regisseur selbst. Bei den Spielen, an denen er beteiligt ist, übernimmt zudem eine Mitarbeitern oder ein Mitarbeiter die weiteren Aufgaben der Bildmischung, das sind primär die Grafiken und weitere On-Air-Aufgaben. Für die Slomo-Zuspielungen hat Lachand zudem einen weiteren wichtigen Partner dabei: François Briquet, der als Replay Director fungiert.
Auf Jan Mokallais Frage, wie man bei der großen Anzahl an Kameras von wichtigen Events überhaupt noch den Überblick behalten könne, antwortet Laurent Lachand, dass man eben schon vor dem Spiel sehr viel vorbereiten müsse. Er erklärt das an einem Beispiel: Wenn ein Spieler völlig überraschend ein entscheidendes Tor schieße, müsse schon vorher klar sein, was dann in der Bildregie passiere. Wolle man in dieser Situation auf die Reaktionen der Familie des Spielers umschneiden, müsse das eben entsprechend vorbereitet und möglich sein.
Kurzum: Es gebe wirklich zahllose Möglichkeiten, wie sich ein Fußballspiel entwickeln könne und welche Spieler besonders in Erscheinung treten könnten. Genau darauf müsse man sich bestmöglich vorbereiten.
Laurent Lachand erklärt weiter, dass die Bildregie eines großen Fußballspiels mit einem mehrschichtigen Kuchen vergleichbar sei: Man taste sich Ebene für Ebene vor, so auch im Storytelling, von der Action auf dem Feld bis hin zur Reaktion von Fans oder der Familie eines Spielers.
Patrick Jung, EVS-Spezialist beim ZDF, hält gute Vorbereitung ebenfalls für essenziell, nicht zuletzt deshalb, weil man für die Highlights oft mit Personen arbeite, die man gar nicht persönlich treffe. Umso wichtiger seien genaue Absprachen. Man versuche im Vorfeld, detailliert zu klären, was die Produktions-/Redaktionsteams wollten, um optimal zusammenarbeiten zu können.
Wie wichtig der Highlight-Schnitt fürs Storytelling ist, kann man auch daran ablesen, wie viele Mitarbeiter damit beschäftigt sind. Bei den Olympischen Spielen etwa waren allein beim ZDF zehn Personen mit EVS-Slomo-Technik betraut. Zunächst konzentriere man sich mit den Replays üblicherweise auf das lineare TV, erklärt Jung, dann auf die diversen Online-Ausspielplattformen.
Seit seiner Markteinführung im Jahr 2021 hat sich XtraMotion (Meldung) von EVS zu einem beliebten Tool für die Verbesserung des Storytellings entwickelt — und zwar besonders deshalb, weil man damit jedes Kamerasignal einer Produktion in eine Superzeitlupe umwandeln kann. Jan Mokallai wollte von den beiden Experten wissen, welche Rolle diese neue Möglichkeit spielt.
Patrick Jung erläuterte, dass das ZDF XtraMotion etwa bei der WM-Produktion zusätzlich zum normalen Replay-Angebot genutzt habe und damit auf den LED-Wänden des Studios unter anderem Replays und Emotionen aus den Stadien eingespielt habe. Aber letztlich hätten alle Operator die Möglichkeiten von XtraMotion nutzen wollen, weil die »normalen« Slomos manchmal nicht ausreichten, so Jung. Letztlich gehe es immer darum, mit den Slomos auch noch mehr Zeit und mehr Raum zu schaffen, um Details sehen und darüber sprechen zu können.
Auf die Frage, wie viele Kameras man benötige, um ein Fußballspiel zu übertragen, antwortet Laurent Lachand, dass man mit 16 Kameras ein Fußballspiel im Grunde gut abbilden könne. Die vielen zusätzlichen Kameras, die man bei besonders wichtigen Spielen zur Verfügung habe, lieferten letztlich einfach mehr Auswahl, sodass man eben für jede Szene auch den optimalen Blickwinkel zur Verfügung habe.
Wie üblicherweise das Verhältnis von Spiel- zu Replay-Szenen sei, beantwortet Laurent Lachand so: »You need to see the game«. Was er damit meint: Das Publikum müsse immer sehen können, was sich auf dem Spielfeld abspielt, es darf keine Zeitlupe stattfinden, wenn sich auf dem Spielfeld gerade etwas Wichtiges abspielt. Laurent Lachand fühlt sich in erster Linie dem laufenden Spiel verpflichtet, als Regisseur müsse man immer genau das tun und zeigen, was das Spiel am besten wiedergebe und erkläre.
Auf die Frage, ob auch der Replay Director ein Storyteller sei, sagt Laurent Lachand, dass er als Bildregisseur in erster Linie jemanden brauche, auf den er sich verlassen könne, jemanden, dem er absolut vertrauen könne. Sein Replay-Partner François Briquet sei diese Person, die so denke, wie er, und ein Spiel so sehe, wie er. Insofern: Ja, der Replay Director spielt aus seiner Sicht eine wichtige Rolle fürs Storytelling.
Patrick Jung betont, dass eine gute Zusammenarbeit im Team eine essenzielle Rolle spiele. Bei großen Sport-Events wie Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen arbeite er stets mit großen Teams, weshalb eine gute Vorbereitung mit detailliert ausgearbeiteten Workflows ebenfalls unabdingbar sei.
Inwieweit IP die Arbeit auf File-Ebene vereinfacht habe, beantwortet Patrick Jung so, dass sein Bereich im IP-Zeitalter beispielsweise verstärkt versuche, Metadaten zu nutzen und besser einzubinden. Allerdings bewege man sich immer auf einem schmalen Grat und brauche eigentlich Gateways, die dafür sorgten, dass eine Installation nicht »zu offen« fürs Public Internet sei. Denn einerseits wolle man möglichst viele Bereiche und Informationen von außen einbeziehen, müsse aber auch stets dafür Sorge tragen, dass die Technik sicher und nicht angreifbar sei.
Ob er vor einem großen und wichtigen Spiel nervös sei, beantwortete Laurent Lachand so: »Nein, ich kenne meinen Job, ich weiß, was zu tun ist. Ich bin sehr konzentriert, aber ich bin nicht nervös. Ich bin einfach sehr fokussiert, freue mich über den Sport, über das, was er auslöst beim Publikum.«
Die Teilnehmer des Webinars hatten Gelegenheit, über einen Chat Fragen an die beiden Experten zu richten. Was einen guten Replay-Operator ausmache, beantwortet Laurent Lachand sehr klar: Er müsse den Briefings folgen und genau das tun, was vorher von ihm verlangt worden sei. Am schlimmsten sei es, wenn ein Replay-Operator in dem Glauben, er helfe einem, vom vorher abgesprochenen Briefing abweiche.
Gefragt nach einem Rat für Einsteiger, die sich für die Bildregie im Fußball interessieren, betont er, dass es absolut nicht darum gehe, leidenschaftlicher Fußballfan zu sein. Das sei sogar eher hinderlich, weil man dann eher in der Bildregie fehlgeleitet werde. Viel wichtiger sei es, Fußball mit all seinen Regeln zu kennen und zu verstehen, nur dann könne man den Sport auch dem Publikum mit ansprechenden Bildern erklären und nahe bringen.
Ein Teilnehmer wollte von den Experten wissen, ob der in jüngster Zeit zunehmende Einsatz von Cine-Kameras der Bildregie in der Gestaltung helfe. Laurent Lachand antwortete, dass es primär darum gehe, was man ausdrücken wolle, und erst dann um die Frage der Tools. Er erklärt das an einem Beispiel: Als Christiano Ronaldo bei der WM nach dem Ausscheiden Portugals gegen Marokko unter Tränen das Spielfeld verlassen habe, sei es nicht nur um die Spielniederlage gegangen, sondern auch um seinen endgültigen Abgang von der WM-Bühne — und eine solche Dramatik könne man mit filmartigen Cine-Bildern eben sehr gut transportieren.
Wie könnte man die Live-Produktion noch verbessern, wollte Mokallai wissen, und fragte, ob Statistiken hierfür zunehmend wichtig seien. Laurent Lachand findet, dass es ganz darauf ankomme, um welche Statistik es sich handle. Den XGoal-Wert etwa, also die Torwahrscheinlichkeit für einen Abschluss, hält er für einen sehr aussagekräftigen Wert, der auch im Sinne des Storytellings sehr gut eingesetzt werden könne. »Manchmal sagt eine Statistik mehr als eine Slomo«, findet er, ist aber insgesamt eher skeptisch, was den Einsatz zu vieler statistischer Werte betrifft. Viel interessanter fände er es, von den Spielern auch körperliche Leistungswerte zu erhalten. »Darüber sollten wir diskutieren«, so Laurent Lachand.
Eine Zuhörerin des Webinars ergänzte, dass Fußball für viele der jüngeren Generation nicht mehr so interessant sei. Sie wollte wissen, was getan werden sollte, um das zu ändern. Laurent Lachand glaubt, dass man hier vielleicht über eine bewegte Hauptkamera zwischen links und rechts nachdenken müsste, vielleicht aber auch über unterschiedliche Feeds. Ein Feed könnte eher klassisch mit der bekannten Hauptkamera produziert werden. Der andere Feed könnte eher mit einer bewegten Kamera entlang des Spielfelds und mit Spielerkameras, die sich auf besonders prominente Spieler konzentrieren, generiert werden – und so eine jüngere Zielgruppe ansprechen. Damit hat Lachand offenbar im Hinterkopf, dass ein jüngeres Publikum eher eine dynamischere, eher games-orientierte Perspektive gewohnt ist und auch in einer Übertragung erwartet.
Jan Mokallai dankte den beiden Experten für die interessanten Einblicke, die sie während des Webinars gewährt hatten.