Grünerer Strom für Filmproduktionen am Set
Kemama und Maier Bros. haben eine Alternative zu Dieselgeneratoren entwickelt.
Der Betrieb eines Dieselgenerators war über viele Jahre an Filmsets unerlässlich. In Zeiten wachsenden Umweltbewusstseins erscheint das aber nicht mehr wirklich opportun. Schließlich ist ein Dieselgenerator relativ ineffizient und stößt neben CO2 auch reichlich andere Schadstoffe aus. Darüber haben sich Kemama und Maier Bros. Gedanken gemacht und stellen den Filmhybrid 30/60 vor, ein innovatives, umweltfreundliches und praxisgerechtes Stromversorgungssystem auf Basis eines Elektronutzfahrzeugs.
Beschränkungen für Dieselaggregate werden wachsen
Auch wenn viele der leisen Selbstfahrgeneratoren, die Filmdienstleister anbieten, ein grünes Kennzeichen haben, sind sie oft nicht mehr willkommen, selbst wenn sie rein rechtlich auch noch in Umweltzonen einfahren und dort betrieben werden dürfen. Vielerorts werden in der Praxis keine Drehgenehmigungen mehr für Dreharbeiten mit herkömmlichen Dieselstromerzeugern erteilt. Vorhandene Feststromanschlüsse wiederum genügen oft einfach nicht aus, um ein Filmset mit ausreichend Strom zu versorgen. Das Anschließen von passenden, temporären Feststromanschlüssen ist meist auch sehr teuer, oder technisch gar nicht möglich und benötigt immer eine gewisse Vorlaufzeit.
Diese Lücke soll der »Filmhybrid 30/60« multifunktional schließen: Die Batterie des Fahrzeugs wird zur Stromversorgung am Set genutzt. Der FH30/60 ist als System zur autarken Stromversorgung konzipiert, kann aber zudem auch jede beliebige Feststromquelle in die Stromversorgung mit einbinden. Dabei ist der FH30/60 emissionsfrei und CO2-neutral, solange die Batterien mit Ökostrom geladen werden, erläutern die Entwickler. Der FH30/60 ist für die besonderen Anforderungen bei Film- und Fernsehproduktionen ausgelegt, kann aber auch als große Class-A-USV oder in anderen Bereichen eingesetzt werden.
Funktionsprinzip
Das zentrale Element des FH30/60 ist die 110 kWh große Batterie des Elektrofahrzeugs. Diese wird sowohl zum Fahren des Fahrzeugs, als auch zum Betrieb der Wechselrichter genutzt. Die Wechselrichter haben eine Leistung von 60 kW verteilt auf 3 Phasen à 20 kW (24 kVA) und können Strom aus verschiedenen Quellen gleichzeitig nutzen. Über bidirektionale Ein-/Ausgänge kann jeder vorhandene externe Feststromanschluss in die Versorgung eingebunden werden. Damit können nun auch Feststromanschlüsse zur Stromversorgung genutzt werden, die unter bisherigen Umständen nicht gereicht hätten, um etwa größere Scheinwerfer zu versorgen. Auch die klassischen Typ-2-Ladesäulen mit 11 kW oder 22 kW können in dieser Funktion genutzt werden.
Darüber hinaus verfügen die Wechselrichter über eine Phase-Balancing-Funktion. Damit werden die drei Phasen einer möglichen Netzeinspeisung gleichmäßig belastet, auch wenn die Phasen der Ausgangsseite unsymmetrisch belastet sind. Ein Beispiel: ein 18-kW-Scheinwerfer wird auf einer Phase ausgangsseitig mit 18 kW versorgt, während auf der Einspeiseseite drei Phasen gleichmäßig mit je 6 kW belastet werden. In diesem Beispiel wird die Batterie noch gar nicht belastet).
Jeder vorhandene Stromanschluss vergrößert die Leistung und Kapazität des FH30/60. Mehr Kapazitäten einer Netzeinspeisung werden immer genutzt, um die Batterien zu laden.
Wenn die rein elektrischen Ressourcen nicht ausreichen oder der Ladezustand der Batterie zur Neige geht, schaltet sich ein 20-kVA-Range-Extender zu. Der Range-Extender ist für Dauerbetrieb auf 15 kW limitiert, wird mit Care-Treibstoff betrieben und entspricht der Abgasnorm Stage V.
Eine Photovoltaikanlage versorgt auch bei längeren Standzeiten immer die Steuerung und Bordelektrik.
Wofür steht die Bezeichnung?
Der FH30/60 hat genügend Energie an Bord, um einen zehnstündigen Drehtag kontinuierlich mit 30 kW zu versorgen. Kombiniert aus Batteriekapazität und Range Extender sind das 300 kWh (mit AC-Einspeisung natürlich entsprechend mehr). Die Spitzen-Dauerleistung ist 60 kW. So ist die Bezeichnung zusammengesetzt.
Diese Angaben sind nur bedingt vergleichbar mit herkömmlichen Dieselaggregaten: Während ein klassischer Stromerzeuger auch im Leerlauf Diesel verbraucht, ist das bei dem FH30/60 nicht der Fall. Zudem wird überschüssige Energie sofort wieder in die Batterie geladen. Die 300 kWh beim FH30/60 reichen also wesentlich weiter als bei einem herkömmlichen Aggregat. Bei der Spitzen-Dauerleistung hat man bislang ein Aggregat mit maximal 80% belastet, der FH30/60 kann dauerhaft voll belastet werden. Auch einzelne Phasen können dauerhaft voll belastet werden, da der FH30/60 wegen des Phase-Balancings keine Schieflasten kennt.
Batterietechnologie
Die verwendete Batterietechnologie ist Lithium-Eisenphosphat (LiFePO4, oder kurz LFP). Das ist sehr sicher, unempfindlich gegen mechanische Beschädigung und kurzschlusssicher (anders etwa als Lithium-Ionen-Batterien). Zudem sind LFP-Batterien langlebig (bis zu 5.000 Voll-Zyklen) und temperatur-toleranter als etwa LiIon-Batterien. Auch die Umweltbilanz ist deutlich besser: in LFP werden keine giftigen Schwermetalle wie Kobalt, Kadmium oder Nickel verwendet, und alle verwendeten Metalle können zu 100% recycelt werden (anders als bei anderen Materialkombinationen). Auch die Elektrodenmaterialien und der Polymerseperator lassen sich zu über 90% wiederaufbereiten, erläutern die Entwickler.
Entstehung
Das Rental-Unternehmen Maier Bros. hatte bereits mit der Entwicklung des Filmhybrid 100 und dessen Vorstellung in 2019 Pionierarbeit geleistet und bei folgenden Praxiseinsätzen wertvolle Erfahrungen gesammelt. Bereits zu dieser Zeit lagen bei Geschäftsführer Niels Maier schon Ideen für die Entwicklung eines Systems auf Basis eines reinen Elektrofahrzeugs in der Schublade, aber es fehlte die Zeit für die Umsetzung. Dieser zeitliche Freiraum stellte sich dann mit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 ein.
Maier Bros. nutzte die Zeit und konzentrierte sich im Sommer 2020 auf die konzeptionelle Erarbeitung, hierbei flossen wertvolle Erfahrungen aus Konstruktion und Anwendung des Filmhybrid 100 ein. Es folgten eine umfangreiche Recherche nach einem geeigneten rein elektrischen Fahrgestell und ausgiebige Tests verschiedener Wechselrichtersysteme. Bereits im Dezember 2020 wurde das Basisfahrzeug, ein Orten ET35 von Orten Electric Trucks, ausgeliefert.
Mit der Realisierung war von Beginn an die Firma Effektschmiede GmbH unter der technischen Leitung von Conrad Keuck aus Köln beauftragt. Keuck hatte auch schon den Prototypen des Filmhybrid 100 zur Einsatzreife gebracht, nachdem dort die Entwicklung stagnierte.
Die Testläufe des ersten Prototypen des FH30/60 waren so bahnbrechend und vielversprechend, dass die Unternehmen beschlossen, die Kemama GmbH & Co KG zu gründen. Kemama konzentriert sich künftig voll und ganz auf die Entwicklung und Herstellung von innovativen, umweltfreundlichen und mobilen Systemen zur Stromversorgung. Die Geschäfte werden bei Kemama von Judith Mann geführt. 2023 wird Kemama eine erste Kleinserie fertigen. Der Aufbau der Serienfertigung wurde unterstützt mit Förderdarlehen der Film- & Medienstiftung NRW und der FFA.
Hintergrund
Ein Filmstromerzeuger muss besonderen Anforderungen genügen: er muss schnell auf große Lastwechsel reagieren, sehr leise, mobil und absolut frequenzstabil sein. Eine weitere große Herausforderung ist die breite Spanne verschiedener Lastanforderungen. Filmstromaggregate sind für eine bestimmte Maximallast ausgelegt. Eine solche Maximallast wird jedoch selten abgerufen, an vielen Tagen werden nur kleine bis mittlere Lasten benötigt.
Häufig läuft der Generator nur, um die Kameraakkus zu laden. Wenn jedoch ein Dieselaggregat derart unterfordert ist, kommt es nicht auf Betriebstemperatur, die Verbrennung ist unsauber und gegebenenfalls vorhandene Rußpartikel- minderungssysteme funktionieren nicht, sie setzen sich zu. Eine Aus-, bzw. Nachrüstung von Dieselaggregaten mit Rußpartikelminderungssystemen ist aber schwierig, da die Funktion eine Mindestlast erfordert. Bei einem Dieselmotor wird hierfür das Abgas mit einer zusätzlichen Heizung erhitzt. Das verbraucht wiederum entsprechend Treibstoff und emittiert CO2.
Filmhybride meistern all diese Anforderungen, weil sie sich je nach Lastanforderung den günstigsten Betriebsmodus wählen. Sie bieten die effizienteste und sauberste Möglichkeit, Strom “on Location“ zu erzeugen
Verfügbarkeit
Der erste Filmhybrid 30/60 wird von Mitentwickler Maier Bros. betrieben und steht Filmproduktionen ab sofort zur Miete zur Verfügung. Weitere werden folgen. Hergestellt wird der Filmhybrid 30/60 von Kemama mit Sitz in Köln.
Eckdaten, Features
- Reichweite Fahrzeug: 300 km (unter realistischen Bedingungen)
- zulässiges Gesamtgewicht 4.250 kg
- Batteriekapazität 110 kWh
- bewährte, sichere und robuste Batterietechnik: LiFePO4 (Lithiumeisenphosphat)
- Wechselrichterleistung 60 kW
- 3 Phasen à 20KW (3x 24kVA)
- Range Extender 20kVA (15 kW Dauerbetrieb) mit Care-Treibstoff (70l Tank), EU-Abgasnorm Stage V
- Feststromanschlüsse können eingebunden werden
- AC-Einspeisung bis zu 32A 3P, auch Typ-2 Ladesäule (kann optional auf 63A 3P erweitert werden)
- Phase-Balancing bei AC-Einspeisung (eingangsseitig werden 3 Phasen gleich belastet)
- intelligente Steuerung im Automatikmodus folgt der Priorität: 1. Strom extern, 2. Batterie, 3. Range Extender
- unterbrechungsfreie Übergabe der verschiedenen Betriebsmodi
- Photovoltaik versorgt Hybridsteuerung und das Bordnetz des Fahrzeugs
- der Filmhybrid 30/60 kann als Class-A-USV eingesetzt werden
- auch für Notbeleuchtung und Beschallung im Event-Bereich oder Ü-Wagen-Einsatz geeignet