Kamera und Grading: »Im Westen nichts Neues«
Kameramann James Friend und der leitende Colorist Andrew Daniel über den Netflix-Film »Im Westen nichts Neues«.
Dieser Beitrag erschien erstmals am 7.12.2022 bei film-tv-video.de. Nun wurde »Im Westen nichts Neues« mit vier Oscars ausgezeichnet, unter anderem für »Beste Kamera«, deshalb posten wir diese Geschichte erneut. DoP und Oscar-Preisträger James Friend berichtet darin gemeinsam mit dem Coloristen Andrew Daniel über die Produktion.
Der Film »Im Westen nichts Neues« basiert auf dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque und stützt sich auf reale Ereignisse und Figuren. Der Film wurde ursprünglich 1930 von Universal für die große Leinwand adaptiert und ist nun in einer Neuverfilmung von Edward Berger auf Netflix und in ausgewählten Kinos zu sehen.
Die Neuverfilmung von »Im Westen nichts Neues« hatte auf dem Toronto International Film Festival 2022 Weltpremiere und versteht sich als vehemente Verurteilung des Kriegs.
Die von Amusement Park Film für Netflix produzierte, erste deutschsprachige Adaption wurde von DoP James Friend ins Bild gesetzt. Universal Production Partners (UPP) verantworteten mit Unterstützung des leitenden Coloristen Andrew Daniel von Goldcrest Post die Postproduktion.
»Für einen reibungslosen Wechsel zwischen Conforming, Grading und Finishing haben wir in DaVinci Resolve Studio eine auf ACES basierte Farbline eingerichtet, erklärt Jakub Brychta, Projektkoordinator bei UPP.
Um in Zusammenarbeit mit dem tschechischen Postproduktionshaus UPP das Grading zu leiten, wurde Daniel nach Prag eingeflogen. »Schon sehr früh, bereits vor den Hauptaufnahmen, entwarf ich eine Reihe von Transform-LUTs, die am Set zur Erstellung von Dailys dienten«, erklärt er. »Letztendlich kamen nur zwei zum Einsatz: eine für Aufnahmen am Tag, die andere für Nachtszenen.«
»Ed, James und ich kannten uns bereits aus der Produktion für ,Patrick Melrose‘. Entsprechend schnell waren wir auch dieses Mal aufeinander eingespielt.«
Berger und das Duo konzentrierten sich auf einen Look, der das Rückgrat der Produktion bilden würde, erläutert Daniel. »Das Projekt transportiert sowohl in literarischer als auch in filmischer Hinsicht ein wichtiges Stück Geschichte. Deshalb wollten wir uns durch mehr Sättigung und Kontrast etwas von früheren Looks ähnlicher Produktionen abwenden. Den Film durchzieht die von uns eigens kreierte dezente Filmkörnung.«
Laut Friend begibt man sich bei jedem Film erstmal auf Entdeckungsreise.
»Zu Beginn einer Produktion habe ich nur eine vage Vorstellung davon, wie der Film aussehen soll. Mit dem Eintreffen der ersten Bilder zeichnet sich dann meist eine Richtung ab, die die Integrität der Story aufzeigt. Für ,Im Westen nichts Neues‘ schwebte uns ein naturalistischer Look mit authentischem Feel vor. Um der Umgebung und dem historischen Kontext gerecht zu werden.«
Als Hauptkamera diente eine Arri 65, unterstützt durch eine Alexa Mini LF auf einem Stabileye Gimbal. »Ed und ich sind das Drehbuch durchgegangen, um zu bestimmen, welche Aspekte des Films sich für welche Kamera eignen«, bemerkt Friend. »Die 65 hat sich gut bewährt, um beispielsweise die Enge in den Schützengräben realistischer fürs Publikum einzufangen.«
Da Friend am liebsten natürliches Licht verwendet, hat er sich mit Gaffer Daniel Kafka zusammengetan, um den Naturalismus im Film zu betonen.
Friends Vorliebe für einen authentischen Look stammt aus seiner Schulzeit, als er den Roman zum ersten Mal las. Für ihn stellt der Roman gerade in der heutigen Zeit besonders eindrucksvoll die wahren Gefühle über Krieg durch die Augen junger Soldaten an der Front dar.
»Der Stil sollte eher einem Dokumentarfilm und weniger einem Roman gleichen«, sagt Friend. »Natürlich haben wir uns andere Kriegsfilme angeschaut, um einen Eindruck von den sensorischen Elementen zu gewinnen. Zum Beispiel diente uns ,Der Soldat James Ryan‘ als wichtige Inspirationsquelle. Das darin durch Bild und Ton hervorgerufene beklemmende Gefühl ist unglaublich.«
Um die Farben der Uniformen detailgetreu nachzubilden, arbeiteten James und Berger eng mit der renommierten Kostümbildnerin Lisy Christl zusammen. »Lisy hat uns ein paar Uniformen aus der Zeit zur Inspiration vorgelegt«, erinnert sich Friend.
»Sie dienten uns als Grundlage für die Farbpalette des Films. Lisy und ihr Team haben die Originaluniformen und die nachgebildeten Varianten so gut angeglichen, dass man sie nicht mehr auseinanderhalten konnte. Sie ist ein wahres Genie.«
Laut Friend ist durch eine möglichst getreue Darstellung der Details ein Film entstanden, der von höchster Integrität und wahrem Realismus geprägt ist. »Zugleich wollten wir im Film jedoch auch recht viel Farbe«, erklärt er.
»Es gibt unfassbar viele Einstellungen mit Tarnuniformen in Erdfarbtönen und massig weiße Haut. Das entspricht zwar der damaligen Zeit. Aber das Blut ist rot und der Himmel ist manchmal blau. Also mehr als Sepiatöne und graue Wolken. Auch farbige Elemente sollten den Look mitprägen.«
Während der Dreharbeiten standen Daniel und Friend im regen Austausch mit dem leitenden VFX-Supervisor Frank Petzold, wobei Fortschritte offengelegt wurden, um die Zusammenarbeit und Diskussionen zu fördern. »Er war während des gesamten Gradings präsent, gab sofortiges Feedback und hielt uns über Fortschritte auf dem Laufenden. Neben dem Ideenaustausch lösten wir auch während des Gradings gemeinsam Probleme«, so Daniel.
Petzold geht von mehr als 460 VFX-Shots in dem Film aus: »Viele VFX-Anbieter verwenden traditionellere Plattformen. Doch ich entdeckte im Nu, dass wir in DaVinci Resolve viele VFX-Aufgaben wie das Mischen von gesperrten Abschnitten, Split-Screens oder Korrekturen in letzter Minute selber erledigen konnten.«
»Während Andrew mit dem Grading zugange war, konnte ich im selben Resolve Projekt auf meinem Laptop zwischendurch einen Schnitt oder ein Compositing testen und Andrew etwaige Änderungen miteinarbeiten.«
»Die Erschütterungseffekte in den Panzerschlachtszenen haben wir häufig mit dem Tool für Kamerawackler kreiert. Edward konnte die Vorschau auf dem Laptop sehen, ohne Andrew beim Colorgrading zu unterbrechen.«
»Damit Daniel beim Graden flexibler vorgehen konnte, musste das VFX-Team teils mehrere Versionen von VFX-Aufnahmen erstellen, jeweils mit und ohne bestimmte Elemente. »Ein gutes Beispiel ist die Szene, in der ein Panzer aus dem Nebel auftaucht und die im Schützengraben versteckten Soldaten zusehen«, erklärt er.
»Nebel ist stark vom Kontrast abhängig, weshalb wir ihn interaktiv anpassen können mussten. Dafür haben wir mehrere Versionen der gleichen Aufnahme gemacht, jeweils mit und ohne Panzer und Nebel. So konnten wir den Panzer in der Farbkorrektur nach Bedarf live ins Bild mischen.«
Die Zusammenarbeit innerhalb des Trios bei UPP in Prag lief prima, und Petzold begleitet den gesamten Grading-Prozess mit Begeisterung.
All das machte den Postproduktions-Workflow nahezu nahtlos.
»Auch die effiziente Ausführung des Finishings mit David Koubik und dem UPP-Team trug dazu bei, dass die Arbeit an der Produktion zu einem wahren Vergnügen wurde«, fasst Daniel zusammen. »Es war das reine Herzensprojekt.
Trotz des schwierigen Themas und der harschen Szenen gelingt es dem Film, mit schön wirkenden Bildern die wahren Schrecken des Kriegs und der Gefühle der Menschen zu veranschaulichen.«
»Im Westen nichts Neues« ist in ausgewählten Kinos und auf Netflix zu sehen.