Branche, Top-Story: 27.09.2022

Unter Druck: Das ÖR-System in Deutschland

Wie reagieren ARD und ZDF auf den zunehmenden Druck und die Glaubwürdigkeitskrise?

© RBB/Thomas Ernst
Eine von vielen? An Patricia Schlesinger wurde hart kritisiert, was auch anderswo in der ARD prinzipiell kaum anders läuft als beim RBB: die Zweiklassengesellschaft innerhalb der Sender.

Die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland stehen unter Druck. Befeuert durch den Fall Schlesinger (Meldung) befindet sich die öffentliche Meinung zu ARD und ZDF derzeit auf einem Tiefstand — zumindest laut diverser Meinungsforschungsinstitute und zahlloser ÖR-kritischen Medien.

Die Antworten auf eine repräsentative Civey-Umfrage auf die Frage »Wie wichtig ist für Sie der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Vergleich zu anderen Medien?« fielen so aus: 43 Prozent fanden die ÖRs »wenig wichtig« oder »gar nicht wichtig«. Für »eher wichtig« oder »sehr wichtig« votierten 48 Prozent. Neun Prozent gaben an, sie seien bei der Frage »unentschieden«. Die Umfrage wurde im Auftrag der Wochenzeitung »Die Zeit« erstellt, durchgeführt am 5./6. September 2022 mit 2.501 Personen.

Das sollte die ÖR in höchste Alarmbereitschaft versetzen. 43 Prozent sind eben weit mehr als nur ein paar Querdenker, Quertreiber und Verschwörungsgläubige, die immer nur von den »Zwangsgebühren« sprechen.

Immer lauter wird also auch außerhalb des Lagers der Fundamentalgegner die Frage gestellt, ob öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland noch gebraucht werden. Und selbst viele, die das prinzipiell bejahen, haben zunehmend kritische Fragen, mahnen Reformen an und sind skeptisch, ob sich das ÖR-System überhaupt noch wirklich reformieren lässt. Oder würde jede ernsthafte Reform, die über ein paar PR-Maßnahmen hinausginge, an diesem System selbst scheitern?

Oft wirkt es so, als sparten die ÖRs einerseits am Programm sowie beim Personal unter dem »Fußvolk« ganz massiv, um andererseits die üppigen Gehälter, Abfindungen und Privilegien in der Chefetage bezahlen zu können — und die luxuriösen Betriebsrenten.

Diese Gemengelage führt bei vielen Medienexperten wie auch bei zahlenden Bürgern zu desaströsen Bewertungen des ÖR. Man könnte eine Glaubwürdigkeitslücke zwischen dem Selbstverständnis der Sender und der Realität diagnostizieren: Letztlich tödlich für jedes Medium.

Unter dem wachsenden Öffentlichkeitsdruck haben nun jedoch einige der ÖRs zumindest teilweise beschlossen, dieses Mal nicht einfach abzutauchen. Stattdessen ergreifen sie erste Schritte, um das Problem zumindest zu thematisieren. Vielleicht kann daraus mehr entstehen.

Ein interessanter Ansatz ist dieser Beitrag des BR-Magazins »Quer«:

 

ZDF, Logo, © ZDF
Ist der »ZDF Kompass« ein Befreiungsschlag?
Der »ZDF Kompass«

Das ZDF hat sich für diesen Weg entschieden:

»Das ZDF hat eine neue ganzheitliche Steuerungssystematik für das Management und die Aufsichtsgremien entwickelt: ZDF Kompass. Mit diesem Instrument können quantitative und qualitative Unternehmensziele besser überprüft und gesteuert werden, erklärte ZDF-Intendant Dr. Norbert Himmler vor dem Fernsehrat in Mainz. Dabei verknüpft die Systematik erstmals alle relevanten Messgrößen auf den Ebenen Nutzung, Qualität, Wirkung und Akzeptanz miteinander.« Soweit eine Pressemitteilung des Senders.

Und weiter: »Ein zentrales Element von ZDF Kompass ist die Qualitätsmessung. Damit greift das ZDF einen entsprechenden Punkt in der geplanten Novellierung des Medienstaatsvertrags auf. Um zu überprüfen, ob das ZDF die inhaltlichen und formalen Qualitätsstandards erfüllt, kann der Fernsehrat in Zukunft ein siebenstufiges Prüfverfahren anwenden. Die bei diesem Qualitätsaudit relevanten Dimensionen sind Gesellschaftsrelevanz, Vielfaltsdarstellung, Branchenwirkung, Zugänglichkeit, Glaubwürdigkeit, Kompetenzzuschreibung und Programmbewertungen.«

Das Publikum soll mitwirken: »Als ergänzendes Instrument zur Qualitätsmessung plant das ZDF das erste bundesweite öffentlich-rechtliche Publikums-Panel. In einem regelmäßigen Dialog und mit aktuellen Befragungen will das ZDF unter anderem die wahrgenommene Qualität einzelner Programminhalte überprüfen lassen. Diese Einbindung des Publikums wird sich auch auf das Programm auswirken: Nutzerinnen und Nutzer von ZDF-Angeboten werden frühzeitig in Entwicklungsprozesse einbezogen und können so die Weiterentwicklung der ZDF-Angebote mitgestalten.«

SWR, Logo, © SWR
Beim SWR meldete sich der Rundfunkratsvorsitzende zu Wort.
SWR-Rundfunkratsvorsitzender mahnt grundlegende Reformen an

Der SWR hingegen will die Reform offenbar von oben verordnen. So mahnt der SWR-Rundfunkratsvorsitzende Adolf Weiland eine Reform von ARD-Programmstrukturen an.

Weiland, in den SWR-Rundfunkrat entsandt durch den Landtag Rheinland-Pfalz, hat demnach in einer öffentlichen Sitzung des SWR-Rundfunkrats am 23. September 2022 eine Strukturreform als wichtigsten Baustein für die ARD-Vorsitzzeit des SWR angemahnt: »Wer glaubt, das lineare Programmangebot der ARD könne noch über Jahre hinweg einfach unverändert fortbestehen, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.«

SWR-Rundfunkratsvorsitzender Adolf Weiland, © SWR
SWR-Rundfunkrats-vorsitzender Adolf Weiland.

Die Einrichtung einer »AG Umschichtung« auf ARD-Ebene ist nach Auffassung des SWR-Rundfunkratsvorsitzenden zwar ein Schritt in die richtige Richtung, es dürfe aber nicht von vornherein die Alternative entfallen, ein lineares Programmangebot nicht lediglich umzuschichten, sondern schlicht auch einmal ersatzlos entfallen zu lassen: »Ich sehe es jedenfalls auch als Aufgabe der Gremien an, die Interessen der Beitragszahlenden nicht aus dem Blick zu verlieren«, so Weiland weiter. »Eine mögliche Überforderung der Beitragszahlenden ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.«

Weiland forderte auch, die Gremien künftig an der strategisch wichtigen Entscheidung der Bedarfsanmeldung bei der KEF zu beteiligen: »Es bedarf hierzu auf Ebene der Gremienvorsitzenden-Konferenz einer verbindlichen Koordinierung vor der Anmeldung und einer strategischen Debatte mit den Intendantinnen und Intendanten.« Die nächste Bedarfsanmeldung ist von der ARD im April nächsten Jahres abzugeben.

Die Aufgabe der Rundfunkräte

Da sich der SWR-Rundfunkratsvorsitzende Adolf Weiland sozusagen an die Spitze der Reformbewegung stellt, wirft das auch die Frage auf, was die Aufgaben der Rundfunkräte sind und wie sie bisher agiert haben und nun agieren. Haben die Bürger, die den ÖR bezahlen, nicht ohnehin ein Recht auf Kontrolle und Transparenz?

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages sagt dazu in einer Ausarbeitung zum Thema »Meinungsbildung in öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten« (hier): »Die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten sind verpflichtet, in regelmäßigen Abständen – bei der ARD im Zwei-Jahres-Rhythmus, beim ZDF jährlich – Geschäftsberichte vorzulegen. In den Leitlinien dazu ist Auskunft über Programmvorhaben zu geben. In demselben Rhythmus erscheinen Rechenschaftsberichte dazu. Diese werden von den Gremien beraten und verabschiedet. Bei einigen ARD-Anstalten sind diese Sitzungen der Gremien öffentlich.«

Sind in Wahrheit also lasche Gremien aus abnickenden Ja-Sagern das Problem? Damit macht man es sich ganz sicher zu einfach. Wie sollen ein paar Rundfunkräte wirksam ein großes öffentlich-rechtliches System kontrollieren, in dem es eben leider auch Mauscheleien, Vettern- und Günstlingswirtschaft gibt, die sich teilweise über Jahre eingeschliffen haben. Wer berichtet denn an die Rundfunkräte? Natürlich die höchste Kaste innerhalb dieses Systems. Und werden die ihre eigenen Privilegien offenlegen und beschneiden?

Das höchste Gremien jedes ÖR-Senders ist aber schließlich nun mal der Rundfunkrat, auch wenn der beim ZDF nicht so heißt, sondern Fernsehrat. Die Rundfunkräte sollen die Einhaltung des gesetzlichen Sendeauftrags der ÖR überwachen. Sie sollen aus Mitgliedern verschiedener Vereinigungen zusammengesetzt werden, etwa von Gewerkschaften, Frauenverbänden, Kirchen und Parteien. Der Rundfunkrat soll einen Querschnitt der Bevölkerung abbilden. Der »Anteil der staatlichen und staatsnahen Mitglieder« wurde vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auf höchstens ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums begrenzt, um die erwünschte Staatsferne sicherzustellen. Aber können die Rundfunkräte diesen Apparat innerhalb ihres Mandats überhaupt kontrollieren? Das ist eher unwahrscheinlich, schließlich üben sie dabei keine hauptamtlichen Jobs aus und müssen sich auf Infos und Zahlen des Systems verlassen, das sie letztlich kontrollieren sollen.

IRT als Mahnmal

Wäre es überhaupt vorstellbar, dass Institutionen wie die ÖRs verschwinden könnten? Mahnende Beispiele dafür, dass auch »Institutionen« verschwinden können, gibt es direkt in unserer Branche: Das Institut für Rundfunktechnik (IRT), wesentlich getragen von den ÖRs, wurde 2020 nach kurzem Abgesang geschlossen.

Vorher gab es einen massiven Finanzskandal, der aber letztlich in vielen Aspekten erfolgreich vertuscht wurde (Meldung). Der Wille, nachträglich den eigenen Laden aufzuklären und aufzuräumen, er fehlte. Über Jahre hinweg wurde ganz offenbar unsauber agiert. Trotzdem folgten im IRT-Finanzskandal keinerlei von außen sichtbare oder nach außen kommunizierte Folgen von Seiten der ÖR und des besonders eng mit dem IRT verbandelten BR. Fehlanzeige auch beim Thema Transparenz — mit der die öffentlich-rechtlichen Anstalten in anderen Bereichen beim Gebührenzahler angeblich punkten wollten. Was in den letzten Jahren teilweise ganz vielversprechend begonnen und praktiziert wurde, das sah in diesem Fall leider ganz anders aus. Aber mit den erläuterten Konsequenzen — einfach dichtgemacht: Klappe zu, Affe tot.

Die zentrale Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Die zentrale Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks — als auch der privaten Sender — ist laut Darstellung des wissenschaftlichen Diensts des Bundestages klar umrissen: Alle Sender sind demnach der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung ebenso wie der Meinungsvielfalt verpflichtet. Beide Rundfunksysteme müssen in der Lage sein, den Anforderungen des nationalen und des internationalen Wettbewerbs zu entsprechen.

Bildet das die Wirklichkeit ab? Derzeit klingt es wohl viel eher wie ein Appell.