Interview, Top-Story, Trend: 07.07.2022

Branchen-Trends: Wohin geht die Reise?

IP ist auch im Broadcast-Markt längst normal, die Cloud ist überall und KI ist durch die Hintertür gekommen – das findet Qvest-CTO Thomas Müller. film-tv-video.de hat mit ihm gesprochen.


Die Branche und der Markt haben sich in den vergangenen Jahren auch aus technischer Sicht stark verändert. Qvest ist in dieser Zeit massiv gewachsen und kommt damit ganz offenbar sehr gut klar. Was sind die Gründe dafür?

 

Thomas Müller ist CTO der Qvest-Gruppe.

Thomas Müller: Wir haben uns als Qvest schon frühzeitig Gedanken darüber gemacht, wo die Reise in der Systemintegration hingeht. Denn das ist einer unserer zentralen Unternehmensbereiche, der sich auf die anderen Expertisefelder auswirkt.

Die These war: Je mehr in die Cloud geht, desto weniger Hardware benötigt man. Und das Verkabeln und Installieren gehört zu den Aufgaben, wofür man — neben der Planung natürlich — einen Systemintegrator klassischerweise braucht. Deshalb haben wir uns intensiv mit Technologie-Trends beschäftigt und drei Tendenzen ausgemacht, die wir für besonders relevant halten:

History: Thomas Müller sammelte in den Anfängen seiner Karriere viel Broadcasterfahrung bei AZ Media und führte dort die bandlose Produktion ein.

Erstens die Transformation weg von SDI zu IP, weg von MAZen zu Servern und damit verbunden auch die Virtualisierung.

Trend Nummer Zwei: Wenn man das wiederum konsequent weiterdenkt, wird klar, dass auch das Thema Bandbreite mit der Zeit kein allzu großes Problem mehr sein würde und damit auch die Fernsehproduktion in der Cloud möglich würde. Das wiederum zog viele weitere Überlegungen nach sich. Etwa die, welche Anforderungen Broadcast-Kunden an Cloud-Produktion haben würden und wie es möglich sein könnte, die API-Schnittstellen unterschiedlicher Hersteller zu verbinden.

Aktuelle Trends zu erkennen ist für Qvest essenziell.

Der dritte Trend, den wir damals ausmachten, war Künstliche Intelligenz. Selbst Kunden, die ein großes, technisch gut organisiertes Archiv haben, nutzen es kaum. Das liegt daran, dass sie die Inhalte, die sie suchen, nicht schnell und komfortabel finden — etwa, weil es keine gute Verschlagwortung gibt.

Aus heutiger Sicht kann man sagen, dass all diese Trends, die wir identifiziert hatten, auch eingetreten sind.

 

Wo stehen wir aktuell beim Thema IP in der Broadcast-Branche? Wie würden sie 2110 und NDI einschätzen?

 

Bei Asharq realisierte Qvest eine der ersten IP-Installationen.

Thomas Müller: Beim Thema IP haben wir schon vor drei Jahren mit Asharq News in Dubai das bis dato weltweit größte IP-Broadcast-Projekt realisiert. Wir haben uns dabei für SMPTE 2110 entschieden, einen Standard, der sich damals noch in den Kinderschuhen befand und sehr komplex zu installieren ist.
Die 2110 Standards sind sehr flexibel, weil man damit auch unterschiedlichste Formate von HD bis UHD und viele Codecs administrieren kann. Eine Installation auf dieser Basis ist aber auch mit höheren Kosten verbunden, wenn man mit unkomprimierten Dateien arbeitet.

»IP ist da, und zwar in allen Bereichen«, sagt Thomas Müller.

NDI, ein weiterer wichtiger IP-Standard, ist im Vergleich dazu sehr viel einfacher zu installieren und auch deutlich günstiger. Wenn es allerdings ein Problem gibt, lässt sich das bei einer 2110-Installation deutlich leichter aufspüren als bei einer NDI-Installation.

Beide Defacto-Standards haben ihre Vor- und Nachteile, und man muss als Systemintegrator herausarbeiten, was in welchem Projektbereich das Richtige ist im Sinne der konkreten Kundenanforderung.

Eines kann man übrigens ganz sicher sagen: Bei Neu-Installation gibt es im Markt mittlerweile eigentlich keine konventionellen SDI-Signale mehr. Kurzum: IP ist da, und zwar in allen Bereichen.

»Broadcaster, die sich das Vertrauen ihrer Zuschauer erarbeitet haben, indem sie eine hohe journalistische Qualität bieten, sollten auch eine technische Plattform zur Verfügung haben, mit der sie sich in puncto Leistungsfähigkeit und Flexibilität differenzieren können.« – Thomas Müller


Thomas Müller über NAB2022-Messetrends.

 

Cloud ist ein weiteres Schlagwort, das uns nun schon seit vielen Jahren begegnet. Teilen Sie die Einschätzung, dass sich der Markt nun tatsächlich auf breiterer Basis in diese Richtung bewegt?

 

Thomas Müller: Wir sehen, dass jene Bereiche, die nahe am Endkunden sind, vergleichsweise leicht in die Cloud zu übertragen sind. Wenn es allerdings in den Bereich Produktion geht, brauchen Sie nun mal deutlich mehr Dynamik. Das bedeutet: Sie haben beispielsweise eine Produktion, die sehr viele Ressourcen benötigt, etwa bei einem Event. Dann wieder eine, die weniger Ressourcen erfordert und eher im Studio stattfindet. Für diese Dynamik gab es lange Zeit nur wenige Cloud-Lösungen — aber das hat sich spätestens mit der NAB 2022 geändert.

Mittlerweile gibt es auch vermehrt Cloud-Lösungen für den Produktionsbereich.

In Las Vegas haben wir gesehen, dass nahezu jeder Hersteller verstärkt Cloud-Lösungen für den Produktionsbereich anbietet. Ob sich der Schritt in die Cloud auch wirtschaftlich lohnt, muss jedes Unternehmen dann natürlich individuell ermitteln.

Eine weitere Frage, die manchen Kunden beschäftigt, ist rechtlicher Art: Was geschieht, wenn beispielsweise aufgrund des Patriot Acts ein US-Cloud-Anbieter Einsicht in die Daten eines Fernsehsenders in Deutschland gewähren muss? Mit solchen Fragen und dem Komplex der Cyber-Security beschäftigen wir uns auch intensiv.

Das Qvest Cloud-Produkt qibb bietet einen eigenen Bereich für die Kostenkontrolle.

Ein weiterer Aspekt ist, dass dynamische Produktionen in der Cloud auch dynamische Rechnungen erzeugen werden. Damit meine ich: Die Rechnungen können mal niedriger, aber auch mal deutlich höher ausfallen. Das ist nicht jedem Kunden klar.

Deshalb haben wir beispielsweise bei unserem eigenen Qvest Cloud-Produkt mit qibb den Bereich der Kostenkontrolle eingeführt. Aus unserer Sicht ist das eine essenzielle Funktion, denn in der Cloud zu arbeiten, heißt nicht zwangsläufig Kosten zu sparen.

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