Ist der Produktionsfunk gefährdet?
Immer größere Teile des nutzbaren Frequenzspektrums werden vom Staat verscherbelt. Was bleibt für den Produktionsfunk?
Als »digitale Dividende« wurde es bezeichnet, dass im Zuge der Rundfunkdigitalisierung, etwa mit DVB-T, Frequenzbänder freigeräumt und versteigert wurden. Zwei solche Wellen liegen schon hinter uns. 2010 und 2015 gingen dem Fernsehen und dem Produktionsfunk umfangreiche Ressourcen verloren.
Droht nun »digitale Dividende« Nummer drei? Und welche Perspektiven hat dann der Produktionsfunk? Helmut G. Bauer, der als Berater für Unternehmen der Rundfunkbranche tätig ist und Sprecher für die Initiative »Save Our Spectrum«, setzt sich für den Verbleib ausreichender Frequenzen für die Kreativwirtschaft ein.
Der »digitalen Dividende« musste schon das 700- und das 800-MHz-Band an den Mobilfunk abgegeben werden.
Das Fernsehen wurde – nur 15 Jahre nach dem Start von DVB-T — zur Einführung eines neuen Terrestrik-Standards gezwungen, um seinen Aufgaben im verbliebenen Rumpf-Spektrum zwischen 470 und 674 MHz nachzukommen.
In Mitleidenschaft gezogen wurden auch die PMSE-Anwender. Als »Programme Making and Special Events« werden der Durchsage- und Reportagefunk, drahtlose Mikrofone, Kameras und weiteres zusammengefasst. In der Praxis zählen dazu die Funkanwendungen für Film, Fernsehen, Konzerte, Kongresse und die Kreativwirtschaft insgesamt.
Nach zwei schon erfolgten »Digital-Dividenden« und der Mitte Juni 2019 beendeten Auktion von 5G-Frequenzen im 2- und 3,6 GHz-Bereich nimmt der Mobilfunk nun schon den besser einsetzbaren UHF-Restbereich zwischen 470 und 694 MHz ins Visier.
Wie und in welchen Frequenzbereichen hat sich der Bedarf des Produktionsfunks in der letzten Zeit entwickelt und welchen Bedarf sehen Sie für die Zukunft?
Helmut G. Bauer: Das UHF-Spektrum von 470 bis 694 MHz ist das Kernspektrum für professionelle Produktionen. Es verfügt über die für solche Produktionen notwendige Eigenschaft, mit einer geringen Sendeleistung über größere Strecken verlässlich senden zu können. Dabei werden die Lücken zwischen den TV-Frequenzen genutzt.
Das Publikum stellt seit Jahren immer höhere Anforderungen an die Veranstaltungsbranche sowie an die gesamte Kultur- und Kreativwirtschaft. Früher kam etwa der Eurovision Song Contest mit rund 70 drahtlosen Produktionsmitteln für die Künstler aus. Heute sind es rund 150. Zusätzlich berichten in der Regel 600 Journalisten; viele setzen ebenfalls drahtloses Equipment ein. Ein anderes Beispiel ist der Friedrichstadtpalast in Berlin, der 68 Funkstrecken benötigt. Das ist in dem in Berlin vorhandenen Spektrum kaum noch unterzubringen, obwohl der Bedarf an mehr Spektrum besteht, um die Darbietungen noch außergewöhnlicher zu gestalten.
Gleichzeitig steigt der Zwang zum Sparen. Jede Verkabelung kostet Geld, weil die Kabel gelegt und gesichert werden müssen. Es braucht mehr Vorbereitungszeit, teilweise müssen Veranstaltungsräume länger angemietet werden und mehr Personal ist erforderlich.
Die höheren künstlerischen Anforderungen und der Zwang zum Sparen führen dazu, dass immer mehr drahtlose Produktionsmittel eingesetzt werden und deshalb immer mehr Frequenzen benötigt werden. Dies belegen die Verkaufszahlen der Hersteller.
Nach zwei Wellen »digitaler Dividende« ist das UHF-Restspektrum unterhalb von 700 MHz – und damit die Zukunft sowohl von PMSE als auch von DVB-T2 – erneut zum Diskussionsstoff der Fachwelt geworden. Sie warnen vor einer dritten »digitalen Dividende«. Was ist der Hintergrund Ihrer Befürchtungen?
Helmut G. Bauer: Nach der Räumung des 700-MHz-Bandes haben schon jetzt viele Produktionen Probleme, ausreichend Frequenzen für eine Veranstaltung zu finden. Wenn auch noch das 600-MHz-Band wegfallen würde, wäre das auch das Ende des terrestrischen Fernsehens im DVB-T2-HD-Standard. Dann könnte die terrestrische TV-Verbreitung vielleicht über 5G-Broadcast erfolgen. Das hat ein kleineres Kanalraster und es gäbe keine Lücken zwischen den Sendern. Damit wäre nicht nur das 600-MHz-Band verloren, sondern der Rest des UHF-TV-Spektrums. Das hätte einen Kahlschlag bei der Kultur- und Kreativwirtschaft zur Folge, weil sonst kein ausreichendes und geeignetes Spektrum zur Verfügung steht.
Der Bundesrat machte 2017 die Sicherung der Frequenzen für den Rundfunk und PMSE und Kostenerstattungen für die Investments in neue Technik zur Voraussetzung seiner Zustimmung zum neuen Frequenznutzungsplan. Zuvor hatten die EU-Gremien das »Lamy-Papier« unterstützt und damit UHF für DVB-T2 und PMSE mindestens bis 2030 festgeschrieben. Ist eine Änderung dieser Zeitplanung zu erwarten?
Helmut G. Bauer: Das hängt davon ab, wie werthaltig solche Zusagen der Politik sind. Sorgen bereitet mir eine Antwort des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur auf eine Kleine Anfrage des FDP-Abgeordneten Dr. Jung. Dort ist das Ministerium erstmals von dem Datum 2030 abgerückt. In welchem Spektrum dann PMSE genutzt werden soll, ist völlig offen.
Welche Forderungen an die Politik verbinden Sie mit einem drohenden Verlust des UHF-Restspektrums für den Produktionsfunk?
Helmut G. Bauer: Der Mobilfunk verfügt gerade nach dem Abschluss der Versteigerungen der Frequenzen im 2- und 3,6-GHz-Bereich über mehr als genug Spektrum, das er mit effizienten Technologien nutzen kann. In Deutschland ist der Bedarf für viele Jahre gedeckt. Die Zeit muss die Politik nutzen, um zunächst ein Konzept zu entwickeln, in welchen Frequenzbereichen drahtlose Produktionsmittel auf Dauer eingesetzt werden können und sollen. Dabei wird sie nicht umhinkommen, eine Werteentscheidung zu treffen, ob ihr ein allumfassender Mobilfunk oder eine funktionierende Kultur- und Kreativwirtschaft wichtig ist. Nach einem solchen umfassenden Konzept brauchen die Hersteller Zeit, die Geräte zu entwickeln, und die Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen das Geld, um in neue Geräte investieren zu können.
Wann erwarten Sie die Wirksamkeit der Änderungen?
Helmut G. Bauer: Angesichts der noch notwendigen Forschung, ob 5G tatsächlich für drahtlose Produktionsmittel eingesetzt werden kann, und in Bezug auf die beschriebenen Abläufe erscheint mir die Zeit bis zum Jahr 2030 als ein notwendiger Zeitraum.
Welche Alternativen und Ausweichmöglichkeiten sehen Sie für die betroffenen Anwender?
Helmut G. Bauer: Es gibt unter anderem Frequenzen in den Bereichen 1.350 MHz, 1.452 MHz und 1.880 MHz, die grundsätzlich geeignet und für Funkmikrofone ausgewiesen sind. Sie reichen aber schon jetzt nicht aus, um den Verlust des 700-MHz-Bandes zu kompensieren. Für einige dieser Bereiche gibt es noch keine Geräte. Ein völliger Verlust des UHF-TV-Spektrums ist für mich unvorstellbar.
Kann 5G PMSE und die Rundfunkterrestrik — DVB-T2, UKW, DAB+ — kurz- oder mittelfristig ersetzen?
Helmut G. Bauer: 5G PMSE wäre ein revolutionärer Durchbruch bei der professionellen Produktion, weil es viele neue Anwendungen ermöglichen würde. Ob die Versprechen des Mobilfunks zu den Fähigkeiten von 5G Realität werden, bleibt abzuwarten.
Auch die Versuche zu 5G-TV-Broadcast stehen noch ganz am Anfang. Für Radio ist aus meiner Sicht der Zug abgefahren, hier hat sich DAB+ durchgesetzt. Dies gilt insbesondere für die öffentlich-rechtlichen Veranstalter. Die wenigen Befürworter von 5G-Radio tun auch nichts, um einen 5G Radio-Standard mit zu entwickeln. Außerdem gibt es dazu auch kein Spektrum für eine flächendeckende Versorgung.
Weitere Infos
Zu diesem Thema passen zwei eher im Bereich Politik angesiedelte Papiere (jeweils per Download als PDF):
- ein Papier der Bundesregierung mit dem Titel: Deutscher Mittelstand und Weltfunkkonferenz 2019
- ein Papier aus dem Landtag von Baden-Württemberg mit dem Titel: 5G-Mobilfunk in ländlichen Räumen und Landwirtschaft
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