3D-Software, Compositing, Studio, Technology, Top-Story, VFX, Virtual Set: 27.06.2018

Volucap: Volumetrisches Studio in Babelsberg eingeweiht

Die Volucap GmbH eröffnete am 12. Juni 2018 ihr volumetrisches Studio in Babelsberg — nach eigenen Angaben das erste seiner Art auf dem europäischen Festland.

Am 12. Juni eröffnete die Volucap GmbH in Babelsberg ein volumetrisches Studio. In einem volumetrischen Studio werden Menschen und Gegenstände von allen Seiten in allen Details erfasst, aber es entstehen keine klassischen Filmaufnahmen, sondern realgetreue, natürlich wirkende, authentische 3D-Darstellungen der Aufnahmeobjekte — sozusagen ein Echtzeit-3D-Scan.Es werden letztlich hologrammartige Darstellungen der realen Personen und Objekte erzeugt, die sich anschließend wie computergenerierte Modelle bearbeiten und animieren lassen. Auf dieser Basis sollen innovative Darstellungs- und Erzählformen für Film- und Industrieproduktionen möglich werden. 

Volucap-Geschäftsführer Sven Bliedung im Eingang der Lichtrotunde des volumetrischen Studios.
Hintergründe und Idee

Das volumetrische Studio ist auf 170 Quadratmetern im FX.Center auf dem Gelände von Studio Babelsberg untergebracht. Es mit 32 Kameras ausgestattet, die ringsum in einer knapp 4 m hohen Lichtrotunde installiert sind. In diesem Raum lassen sich Menschen und Objekte dreidimensional, lebensecht einscannen. Die dazugehörige Basistechnologie wurde vom Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut in Berlin entwickelt. Das Fraunhofer HHI betreibt seit Oktober 2017 den Prototypen eines volumetrischen Videostudios in den eigenen Institutsräumen, dieses Studio dient aber rein zu Labor- und Forschungszwecken. Nun gibt es mit dem Volucap-Studio in Babelsberg eine kommerzielle Produktionsstätte, die das Verfahren nutzt.


Firmenvideo: Das volumetrische Studio im schnellen Überblick.

Die Software »3D Human Body Reconstruction« erzeugt hologrammartige Darstellungen der realen Personen.

Die dort installierte Software »3D Human Body Reconstruction« erzeugt hologrammartige Darstellungen der realen Personen, die sich später dann wie computergenerierte Modelle bearbeiten lassen. Die so aufgenommenen Schauspieler können dann so in reale und virtuelle Welten platziert werden, wie das bisher nur mit animierten Charakteren möglich war — inklusive Interaktion mit der Umgebung. Ebenso ist es möglich, dass Zuschauer mit Hilfe von VR-Technik zusammen mit den »Hologrammen« diese Welten betreten und das Geschehen und die aufgenommene Person oder das aufgenommene Objekt aus jedem möglichen Blickwinkel betrachten.

Die so aufgenommenen Schauspieler können in reale und virtuelle Welten platziert werden.

Nicht nur in der Filmbranche könnten dadurch ganz neue Möglichkeiten eröffnet werden, bis hin zu Erzählformen wie einem »begehbaren Film«.

Als erstes kommerziell genutztes Studio auf dem europäischen Festland stellt das Volucap-Studio die neue Technik branchenübergreifend auch für professionelle Auftragsproduktionen in vielen Bereichen der Industrie wie Medizin, Automotive oder auch der Games-Branche bereit. Im Vergleich zu den bereits bestehenden Lösungen — darunter Studios in London und San Francisco — verfolgt Volucap ein neuartiges Konzept, das zukunftsorientiert auf hohe Qualität abzielt und langfristig auch für Kinoproduktionen verwendet werden soll.

Für die kommerzielle Nutzung wurde von den Gesellschaftern Arri Cine Technik, Fraunhofer-Gesellschaft, Interlake System, Studio Babelsberg  und UFA eigenes die Volucap GmbH gegründet.

Begehbarer Film

Über kommende Filme, »in die wir eintauchen können« freut sich schon mal Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber. Er brachte das Projekt mit 2 Millionen Euro Förderung – etwa der Hälfte des Investments – zusammen mit den Volucap-Gesellschaftern in Gang. Er hat dabei natürlich nicht nur das hohe wissenschaftliche Potenzial im Blick, sondern auch die Aufträge, die das Studio – und beileibe nicht nur aus den Kreativbranchen — in die Region holen soll.

Symbolischer Knopfdruck: Sven Slazenger (Interlake), Carl Woebcken (Studio Babelsberg), Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber, Peter Kauff (Fraunhofer HHI), Schauspielerin Emilia Schüle, Johannes Steurer (Arri), Frank Govaere (UFA), Volucap-Geschäftsführer Sven Bliedung.

»Der Inhalt ist bis jetzt immer in 2D gefangen«, erläutert Volucap-Geschäftsführer Sven Bliedung. »Wenn der Inhalt den Bildschirm verlässt, man sich im freien Raum bewegt und interagiert, dann wird man Teil der Geschichte.« Und man käme dem »Traum vom digitalen Menschen« näher. So ein »begehbarer Film« wäre die weitgehendste erzählerische Vision. 

Bisherige Motion-Capturing-Verfahren verwenden Spezialanzüge mit Markern, um die Bewegungsdaten realer Akteure auf Gittermodelle virtueller Charaktere zu übertragen und deren Aktionen überzeugend zu gestalten. Die Charakteranimation und die daraus entstandenen Arbeitsweisen haben ihren Ursprung schon in den 80er-Jahren. Mit heutiger State-of-the-Art-Technik entstehen so etwa Trailer und Intro-Filme für Computerspiele mit ihren höchst realistisch wirkenden Charakteren.

Volucap geht das Thema anders an. Für den Bewegtbild-Scanner braucht es keine Marker: Das digitale Pendant gibt dennoch alle Bewegungen des Vorbilds wieder und sogar dessen Mimik. Diese virtuellen Kopien kann man in beliebige 3D-Räume versetzen. Zuschauer können sich innerhalb des 360-Grad-Szenarios bewegen und das Geschehen dabei aus beliebiger Position verfolgen.

Die Hardware
LED-Licht und Kameras im Rondell.

Die »Hardware« dafür besteht wesentlich aus einer Ring-Arena im Studio 3 des Babelsberger FX-Centers. Auf der Außenseite sind zahllose Arri-Scheinwerfer montiert. Sie leuchten durch zylindrisch verspannten weißen Stoff – damit rundum und gleichmäßig – die Spielfläche aus.

Im Studio sind 32 »XiB«-Kameras des deutsch-slowakischen Herstellers Ximea installiert.

Öffnungen gibt es nur für die Optiken der für stereografische Anwendungen paarweise montierten 32 »XiB«-Kameras des deutsch-slowakischen Herstellers Ximea. Das schwingungsmäßig entkoppelte Kamerasystem bietet nach Angaben von Sven Bliedung 640 Megapixel und zeichnet in 12 Bit Farbtiefe auf. Pro Minute werden 1,6 Terabyte Rohdaten erzeugt. Eine Speicherkapazität von 90 Minuten steht zur Verfügung.

Das neue Babelsberg-Engagement passt gut zu Arris bisherigen VR-Projekten für Industriekunden. Johannes Steurer interessieren ebenso Erkenntnisse für künftige Kameraentwicklungen und Lichtprodukte. Arris Teamleader Future Trends & Technology setzt aber auch auf Erkenntnisse für die Bildsignal-Verarbeitung. Beim volumetrischen Studio geht es für Arri demnach vor allem um das Zusammenwirken der Ausleuchtung der Spielfläche und des Schauspielers oder Objektes darin mit den Eigenschaften der Kamerachips. Helligkeit und Farbtemperatur sind natürlich stufenlos regel- und programmierbar. Eine rundum gleichmäßige Ausleuchtung ist aber keinesfalls Pflicht. Real gedrehte Lichtsituationen – Steurer nennt beispielhaft die Reflexionen einer Lagerfeuer-Situation – könnte hier reproduziert werden, um Schauspieler in das für die Einstellung »richtige« Licht zu setzen.

Blick in den Aktionsraum.

Johannes Steurer ergänzt: »Für Arri ist die Beteiligung an Volucap eine Investition in die Zukunft. Mit der Lichtausstattung des Studios bringtArri bereits einen wesentlichen Beitrag zur Leistungsfähigkeit des Studios ein. Im Bereich der Postproduktionsdienstleistung ermöglicht die Nähe zu Volucap die konsequente Umsetzung anspruchsvoller VR- und AR-Projekte für Film- und Industriekunden. Und für den Geschäftsbereich Kamera liefert Volucap die Anwendungsszenarien und wichtige Impulse für die weitere Optimierung der Aufnahmetechnik. Wir wünschen der Geschäftsführung von Volucap viel Erfolg und Geschick bei der Umsetzung dieses ehrgeizigen und zukunftsweisenden Vorhabens.«


Firmenvideo: Stimmen zum volumetrischen Studio.
Paradigmenwechsel beim Lenken des Zuschauer-Blicks

Sven Bliedung sieht Volucap »eingebettet in die Produktionslandschaft von Studio Babelsberg« und der Gesellschafter. Das öffnet, wenn gewünscht, den Zugriff auf »eine komplette Service-Pipeline mit einem starken Netzwerk von Partnerunternehmen«. Dabei unterscheide sich die Postproduktion volumetrischer Aufnahmen wenig von den gewohnten Arbeitsweisen mit den bekannten 3D-Tools, meint Frank Govaere, VFX-Supervisor bei der UFA GmbH. Aber »die Regisseure und Drehbuchautoren müssen ganz anders umgehen mit ihrer Bildsprache. Es ist ja nicht mehr so, dass Regisseur und Kameramann festlegen, was der Zuschauer sieht, sondern der Zuschauer entscheidet das.« Zur Lenkung der Aufmerksamkeit werde der Ton mehr beitragen als bisher. Dazu erinnert Govaere an Verfahren zur räumlichen Verortung von Sounds aus der Games-Branche.