»Schön waren nur die Spielerfrauen«
Beim Fußball scheint sich in Sachen Rollenbildern offenbar nicht viel verändert zu haben. Man kann sogar den Eindruck gewinnen, dass manch einer mittlerweile wieder in den 50er-Jahren angekommen ist.
1990 gewann Deutschland die Fußball-WM in Italien. Auch Fußballbegeisterte, die das nicht live sehen konnten, kennen die ikonischen Bilder, die den damaligen Teamchef Franz Beckenbauer zeigen, wie er in der »magischen Nacht von Rom« nach dem Spiel alleine und in sich gekehrt über den Platz schritt und den Titelgewinn auf sich wirken ließ.
Vier Jahre später gab es bei der WM in den USA dann das Kontrastprogramm: Stefan Effenberg zeigte beim Spiel gegen Südkorea enttäuschten Fans den Stinkefinger, er flog dafür aus der Nationalmannschaft. Und auch der Rest der Mannschaft verabschiedete sich dann früh aus dem Turnier, nach einer Niederlage gegen Bulgarien im Viertelfinale. Die üblichen Schuldigen für das Drama waren schnell gefunden: Trainer, Spieler, Vorbereitung …
Der Boulevard weidete sich damals unter anderem auch daran, dass man ausgerechnet gegen die Bulgaren verloren hatte, die angeblich statt auf gesunde Ernährung auf Pommes und statt auf Ruhe und Fokussierung vor dem Spiel auf Frauenbesuch gesetzt hatten. Zwischen den Zeilen schwang damals ganz unverhohlen auch eine gewisse Bewunderung für diese »echten Kerle« mit.
So ziehen Fußballfans derzeit oft Parallelen zu früheren Ereignissen und schwelgen in Erinnerungen. Das kann schön sein, aber eben auch ganz schrecklich: Denn obwohl fast 25 Jahre ins Land gegangen sind ist, scheint sich beim Fußball etwa in Sachen Rollenbildern offenbar nicht viel verändert zu haben — man kann sogar den Eindruck gewinnen, dass manch einer mittlerweile wieder in den 50er-Jahren angekommen ist. So titelte etwa die Bildzeitung nach der Niederlage der Deutschen gegen Mexiko: »Schön waren nur die Spielerfrauen« – und lieferte die passende Belege gleich mit. Die »heißesten Spielerfrauen« hatte das Boulevardblatt schließlich schon in den Wochen zuvor gekürt.
Die Werbung steht dem nicht nach: Bei Dr. Oetker hält eine attraktive Frau mit Schürze einen Fußballkuchen. Die passende Empfehlung steht drüber: »Back deinen Mann glücklich — auch wenn er eine zweite Liebe hat«. Frauen an den Herd, Männer ins Stadion oder vor den Fernseher. Dankeschön. Wem das noch zu harmlos ist, dem seien die unzähligen Altherren-Witze und -Cartoons zum Thema Frauen und Fußball auf den Social-Media-Kanälen empfohlen, die derzeit die Runde machen.
Große Fußballturniere scheinen einfach immer noch das passende Klima für Macho-Quatsch unterschiedlichster Ausprägung zu liefern — das hat sich auch im Jahr 2018 nicht verändert. Wehe, wenn es dann ein TV-Sender auch noch wagt, eine Frau in die Kommentatoren-Riege aufzunehmen: So wie das ZDF mit Claudia Neumann. Dass erstmals im deutschen Fernsehen bei einer WM eine Frau Spiele kommentiert, das ist für manche offenbar zu viel: Der Untergang des Abendlandes scheint unausweichlich. Eine Frau kommentiert! Und das, wo doch wirklich jeder weiß, dass Frauen nur Schuhe und Handtaschen kaufen und die Abseitsregel nicht begreifen.
Und so ergießt sich derzeit eine Welle des Hasses über Claudia Neumann, die selbst hartgesottene Social-Media-Kenner erschauern lässt. Manchmal, so scheint es, vergeht die Zeit im Flug. Aber bei manchen bleibt sie einfach für Jahrzehnte stehen – oder läuft sogar zurück. So wie für all jene Fußballfans, die sich von weiblichen Kommentatoren »belästigt« fühlen.
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